Bruce Nauman: Disappearing Acts im Schaulager Basel

Die Videoarbeit Mr. Rogers (2013) empfängt die BesucherInnen schon vor dem Eingang der Retrospektive Bruce Nauman: Disappearing Acts an der Fassade des Schaulagers. Aus der Sicht des 1941 geborenen Künstlers gedreht, zeigt das Video in Nahaufnahme wie Nauman in jeder Hand einen gespitzten Bleistift hält und versucht, einen dritten an beiden Enden angespitzten Bleistift in einer horizontalen Linie zu balancieren. Naumans Finger sind bei diesem Versuch nur kurz sichtbar. Diese Aufgabe wird durch die im Hintergrund langsam vorbeilaufende Katze des Künstlers, deren Name dieser Arbeit den Titel verleiht, irritiert – ihre Gelassenheit steht dem konzentrierten Vorhaben des Künstlers entgegen. Mr. Rogers ist ein gelungener Prolog zur Ausstellung und zeigt schon im Außenraum Themenbereiche des Künstlers, die sich in weiteren Werken der Ausstellung fortsetzen – wie beispielsweise in den performativen Handlungen, die Nauman schon Mitte der 1960er Jahre in seinem Atelier filmisch festhielt. Die Überblicksschau mit ungefähr 170 Werken wurde in Kooperation mit dem Museum of Modern Art, New York, organisiert und setzt sich das Ziel, einen retrospektiven Querschnitt Naumans künstlerischen Schaffens der letzten fünfzig Jahre zu geben. Die Ausstellung folgt dabei zumeist einer chronologischen Anordnung und zeigt in den ersten Ausstellungsräumen Zeichnungen, Skulpturen und Filme, die sich thematisch mit Naumans damaliger Fragestellung, was einen Künstler ausmacht, auseinandersetzen. Darauf fand Nauman eine in den 1960er Jahren noch ungewöhnliche Antwort, da er Kunst als umfassende Tätigkeit (des Künstlers) sieht, der kritisch unterschiedliche Haltungen zur Welt erprobt. Er begann in dieser Zeit, seinen Körper als Material in die Kunst einzuführen: Er filmte sich unter anderem bei selbst auferlegten performativen Handlungen in seinem Atelier, untersuchte das Verhältnis von Körper und Raum, wie etwa im Film Wall-Floor Positions (1968), und übertrug Abdrücke seiner Körperpartien in skulpturale Objekte aus Fiberglas oder Wachs. Damit führte er bis anhin eher selten verwendete Materialien in die Kunst ein, die seinen Werken zum Teil Modellcharakter verleihen, da die Materialien nicht bis zur Perfektion bearbeitet sind und Spuren der künstlerischen Arbeit sichtbar bleiben. Für Nauman steht die ästhetische Wirkung nicht im Vordergrund, sondern vielmehr die Veranschaulichung der Idee und der inhaltliche Kontext. Dieses Kunstverständnis Naumans Mitte der 1960er Jahre steht wiederum konträr zur Kunstentwicklung an der Ostküste Amerikas, wo die Minimal Art durch die Verwendung industriell gefertigter Materialien die klassischen Konventionen der Kunstproduktion zur Debatte stellte. Spuren der Künstlerpersönlichkeit traten dabei zugunsten der Präzision der Form in den Hintergrund. Konträr zu dieser Herangehensweise und ihrer Reduzierung auf geometrische Grundformen beschäftigt sich Nauman beispielsweise mit dem wiederkehrenden Motiv des Brunnens als Sinnbild des geniereichen Künstlerdaseins mit seiner nicht versiegenden Schöpferkraft. Die Skulptur Venice Fountain (2007) parodiert diese Vorstellung mit seinen in Wachs und Gips gegossenen wasserspeienden Konterfeis, aus deren Mündern Wasserschläuche in Bassins geleitet werden. Bereits vierzig Jahre zuvor beschäftigte Nauman dieses Thema in der Zeichnung Myself as a Marble Fountain (1967) und in der Fotoserie Eleven Color Photographs (1966-67), die auch in der Ausstellung zu sehen sind. Weitere früh entstandene Arbeiten sind unter anderem die Ölmalerei Untitled (1964-1965), deren schmale und am oberen Ende leicht gebogene Leinwandform die bald darauf entstehenden Fiberglasskulpturen bereits vorwegzunehmen scheint. Eine Zeichnung wie Sheet Lead (1966) fasziniert durch ihre Wiedergabe von realer Stofflichkeit und lässt die Idee der potentiellen Skulptur erahnen.

Abb. 1: Bruce Nauman, Myself as a Marble Fountain, 1967, Feder mit Tusche, laviert, auf Papier, 48.3 × 60.8 cm, Emanuel Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel

Zwischen diesen Arbeiten der frühen Phase wird ein Film gezeigt, dessen Inhalt auf ein Werk verweist, das als besonderer Angelpunkt in Naumans Schaffen gesehen werden kann. Durch  seine eher unscheinbare Platzierung in der Ausstellung ist der für einen kalifornischen Fernsehsender produzierte Film Untitled (Flour Arrangements) aus 1967 aber beinahe zu übersehen. In dem Film wird der Entstehungsprozess der ein Jahr zuvor entstandenen Arbeit Flour Arrangements nachgestellt. Diese Arbeit besteht aus sieben Farbfotografien, die die Ergebnisse einer monatelangen Aufgabe im Atelier und somit einen künstlerischen Prozess abbilden, sich aber leider nicht in der Ausstellung befinden. Nauman hatte eine große Menge Mehl auf seinem Atelierboden verteilt, die er im Laufe eines jeden Tages unter Körpereinsatz neu formierte und deren Anordnungen er fotografisch festhielt, bevor sie durch sein Eingreifen wieder in neue ephemere Arrangements übergingen. Flour Arrangements ist eine der ersten „process sculptures“1, wie Benjamin Buchloh betont. Gegen Ende des Films drückt Nauman seinen Zeigefinger in verschiedenen Haltungen ins Mehl, was auf die im Jahr zuvor entstandene Fiberglasarbeit Wax Impressions of the Knees of Five Famous Artists (1966) verweist. Diese wird in der Ausstellung erst zwei Räume weiter gezeigt, wodurch die werkinterne Verbindung dieses Filmzitats schwierig auszumachen ist.

Abb. 2: Bruce Nauman, Wax Impressions of the Knees of Five Famous Artists, 1966, Fiberglas und Polyesterharz, 39.7 × 216.5 × 7 cm, San Francisco Museum of Modern Art.

Die Ausstellung zeigt auch Gegenüberstellungen von Werken, wie beispielsweise die spiralförmige Neon-Arbeit The True Artist helps the world by revealing mystic truths (Window or Wall Sign) aus 1967, mit ihrem an Wittgenstein angelehnten Verweis auf das Mystische im Sinne des Unsagbaren. Die Arbeit wird in direktem Dialog mit dem schmerzhaft anzusehenden Film Poke in the Eye / Nose / Ear (1994) gezeigt. Ein Dialog, der im ersten Moment durch die Intensität der beiden Arbeiten irritiert: Die Neonröhren reizen aufgrund des hellen Lichts unsere Sinne und fordern die BetrachterIn auf, sich körperlich einzulassen, denn um den Satz richtig lesen zu können, müssen wir unseren Kopf leicht neigen. So versuchen wir der Bedeutung näher zu kommen und werden mit einer Ungewissheit über den Inhalt zurückgelassen. Poke in the Eye / Nose / Ear zeigt den Künstler im Loop bei der ungewöhnlichen Handlung wie er seinen Zeigefinger bis zum Schmerzempfinden in Auge, Nase und Ohr drückt. Das Geschehen wird zudem durch das Abspielen in Zeitlupe in ein abstraktes Moment transferiert, das unsere Aufmerksamkeit weckt und die schmerzvolle Handlung nachempfinden lässt. Auf den zweiten Blick provoziert die Gegenüberstellung der beiden Arbeiten einen Querbezug: Poke in the Eye / Nose / Ear scheint die mit einem Zwinkern versehene Illustration der Aussage des spiralförmig geschriebenen Satzes zu sein, die in ihrer absurd wörtlichen Umsetzung ein irritiertes Schmunzeln hervorbringt.

Abb. 3: Ausstellungsansicht mit Bruce Nauman, The True Artist Helps the World by Revealing Mystic Truths (Window or Wall Sign), 1967, Neonröhren auf Klarglasröhren-Aufhängerahmen, Sammlung des Künstlers, Ausstellungskopie

Räume, die einem einzigem Kunstwerk gewidmet sind – etwa Art Make-Up: No. 1 White, No. 2 Red, No. 3 Green, No. 4 Black (1967–1968) oder Mapping the Studio II with color shift, flip, flop, & flip / flop (Fat Chance John Cage) (2001) –  bieten eine willkommene Konzentration, die ein ungestörtes Eintauchen und eine verdichtete Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Werk ermöglichen.

Ausgehend von den performativen Handlungen, die Nauman früh in seinem Atelier ausführte, entwickelt er Anfang der 1970er Jahre bedrückende begehbare Raumsituationen und Korridore, die es den partizipierenden BetrachterInnen erlauben, ähnliche Erlebnisse nachzuempfinden. Auch im Schaulager sind zwei dieser Erfahrungsräume begehbar. Mit Corridor Installation (Nick Wilder Installation) (1970) wird eine Nachbildung jenes Korridors, den Nauman selbst in seinem zwei Jahre zuvor entstandenen Film Walk with Contrapposto (1968) im rhythmischen Wechsel von Stand- und Spielbein durchschritt, ausgestellt. Ein weiterer Erfahrungsraum ist Double Steel Cage Piece (1974), der aus zwei ineinander gestellten Stahlkäfigen besteht, wobei nur der äußere, leicht größere Kubus zugänglich ist. Die BesucherInnen sind in der engen transparenten Gitterstruktur gefangen und der Außenwelt ausgeliefert, während gleichzeitig die vollkommene Isolation des Innenkäfigs vor Augen liegt.

Abb. 4: Ausstellungsansicht mit Bruce Nauman, Model for Trench and Four Buried Passages, 1977, Gips, Fiberglas und Draht, Glenstone Museum, Potomac, Maryland

In den 1970er Jahren schuf Nauman unter anderem die Model for Tunnel-Serie2, die meist unterirdisch angelegte Tunnelgänge modellartig visualisiert. Eine Arbeit aus dieser Schaffensperiode wird im Erdgeschoß gezeigt: Model for Trench and Four Buried Passages (1977). Diese Model for Tunnel stehen für Konstruktionen wie Schächte, Gänge, Tunnel oder Rampen – meist ohne Eingang oder Ausgang. Erst durch die eigene Vorstellungskraft der Betrachtenden werden die ursprünglich gedachten, baulichen Situationen nachempfunden. Der Ausführungsgrad und die Dimensionen dieser Models for Tunnel sind unterschiedlich, was zum Beispiel am kleineren vis-à-vis platzierten Model for Underground Tunnel, made from Half Circle, Half Square, Half Triangle (1981) anschaulich wird. Darauffolgende Arbeiten der 1980er Jahre gehen immer mehr in eine die Gesellschaft betreffende Thematik über, die das Verhalten von ZeitgenossInnen und der Öffentlichkeit in den Blick nimmt. In dieser Zeit, als Berichte von Folterszenarien aus Diktaturen wie Südamerika und Südafrika bekannt wurden und Nauman sich, laut einem Interview mit Joan Simon3, mit der Thematik von politischer Folter befasst, entstanden seine raumgreifenden Skulpturen, die Phänomene der physischen und psychischen Gewalt thematisieren: beispielsweise White Anger, Red Danger, Yellow Peril, Black Death (1984). Diese Arbeiten stehen in der Ausstellung stellvertretend für die Serie Musical Chairs (1981–1984) aus den 1980er Jahren. Ihre Grundform besteht aus einem fast auf Augenhöhe von der Decke hängenden Kreuz aus zwei sich überlagernden Stahlträgern. Drei farblich unterschiedliche Stühle sind an je einem Trägerende befestigt. Ein weißer Stuhl hängt, wie ein Außenseiter, an einem Seil von der Decke. In Naumans großen Neon-Arbeiten werden diese eben angesprochenen gewaltbezogenen Themen weiter vertieft: One Hundred Live and Die (1984) konfrontiert die BetrachterInnen mit existentiellen Thematiken wie Leben und Tod. Marionettenhaft sich rhythmisch bewegende männliche Figuren wie etwa in Sex and Death by Murder and Suicide (1985), denen Sexualsymbole und Waffen zugeteilt sind, visualisieren figurativ und zeichnerisch den schmalen Grat zwischen Sexualität und Gewalt.

Abb. 5: Bruce Nauman, Sex and Death by Murder and Suicide, 1985, Neonröhren auf Aluminium montiert, 198 × 199 × 32 cm, Emanuel Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel

So wie die Ausstellung mit frühen Werken aus Naumans Arbeit im Atelier beginnt, so endet sie mit der neuesten Videoarbeit Contrapposto Split (2017), die den Künstler in seinem heutigen Atelier in New Mexico zeigt. Es handelt sich dabei um eine thematische Wiederaufnahme der Kontrapost-Performance aus dem Jahr 1968, die jedoch mit neuester 3D-Technologie erweitert wurde. Das Wiederaufgreifen von Themen findet sich vermehrt in Naumans Arbeitsweise. Themen und Werkelemente werden im Laufe der Jahre wieder aufgenommen, teils mit neuen Techniken realisiert und bieten über eine Rekontextualisierung Potenzial für veränderte und neue Fragestellungen.

Die Ausstellung Disappearing Acts im Schaulager bildet einen Querschnitt durch die vielfältigen Themen und Materialien mit denen Bruce Nauman sich in den letzten fünfzig Jahren auseinandersetzte. Der Ausstellungstitel kann dabei als roter Faden dienen, der BesucherInnen beim ersten Gang durch die umfangreiche Ausstellung als ordnendes Element in der Betrachtung leitet. Die Kuratorin Kathy Halbreich hat das Verschwinden als Leitfaden in Naumans Werk ausgemacht: „Das ‘Verschwinden‘ – als Schaustück, Konzept, Wahrnehmungstest, Zaubertrick, Arbeitsmethode und Metapher – ist angesichts von Naumans Kunst ein stets naheliegendes und hilfreiches Stichwort“4. Aspekte des Verschwindens sind ohne Frage in einigen Ansätzen bei Nauman zu finden, doch es wäre eine starke Verengung, die Arbeiten nur unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Naumans Werk sperrt sich nur schon durch die thematische und materielle Diversität gegen eine derart zugespitzte Betrachtung, was die Frage aufwirft, ob durch diese Subsumtion unter ein Thema eine bereichernde Perspektive auf Naumans Schaffen gewonnen ist. Die umfangreiche Ausstellung lässt kaum ein Thema aus, mit dem sich der Künstler beschäftigt hat. Dies ermöglicht eine breite und zugleich tiefe Auseinandersetzung mit dem Werk dieses für die Kunstentwicklung der letzten fünfzig Jahre so bedeutenden Künstlers: Nauman bringt seinen eigenen Körper als Material und Modell in die Kunst ein und beschreitet in der Skulptur anhand neuer Materialien und Ideen neue Wege. Er führt Themen des Lebens wie Gewalt, menschliches Verhalten und Unsicherheit in die Kunst ein und involviert uns als BetrachterInnen. Naumans Kunst konfrontiert uns mit uns selbst, der eigenen Wahrnehmung und lässt uns nach der Konstruktion von Realität fragen. Oder wie Halbreich zur Eröffnung der Ausstellung im Schaulager feststellte: „It`s all about who we are“.

Begleitend zur Ausstellung sind ein Katalog sowie ein Reader mit wissenschaftlichen Beiträgen mehrerer AutorInnen erschienen, der zur aktuellen kunsthistorischen Diskussion zu empfehlen ist. Bruce Nauman: Disappearing Acts ist noch bis 26. August 2018 im Schaulager Münchenstein/Basel und vom 21. Oktober 2018 bis 17. März 2019 im MoMA New York zu sehen. Parallel zur Ausstellung im Schaulager werden weitere Arbeiten von Bruce Nauman im Kunstmuseum Basel gezeigt.


1 Benjamin H. D. Buchloh, Process Sculpture and Film in Richard Serra’s Work, 1978, in: Ders. (Hg.), Neo-Avantgarde and Culture Industry: Essays on European and American Art from 1955 – 1975, Cambridge, The MIT Press, 2000, S. 414.

2 Naumans Inspiration hierfür war, wie er in einem Interview betont, Samuel Becketts Kurzgeschichte Le dépeupleur. Bob Smith, Bruce Nauman Interview 1982, in: Janet Kraynak, Cambridge/MA London: The MIT Press, 2003, S. 297.

3 Nauman gibt im Interview an zu dieser Zeit V.S. Naipaul The Return of Eva Perón: with The Killings in Trinidad gelesen zu haben, was ihn zu diesen Arbeiten inspirierte. Joan Simon, Breaking the Silence, in: Robert C. Morgan, Bruce Nauman, Baltimore/Maryland, 2002, S. 280.

4 Laurenz-Stiftung, Schaulager/The Museum of Modern Art (Hg.), Bruce Nauman: Disappearing Acts (Kat.), Münchenstein/New York, 2018, S. 24.

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Was hätte Virginia Woolf dazu gesagt?

Ich stöbere meine Bücherregale durch und frage mich: Was schreiben Frauen heute über Frauen? Was schreiben Frauen heute über die Lage der Frauen? Was schreiben sie über die Bedingungen, zu produzieren, darüber, eine Produktivkraft zu sein?

Ich frage mich: Welche Bücher haben Euphorie bei mir ausgelöst? Und weiß nicht so recht, wo anfangen. Frauen haben mittlerweile viel geschrieben, was sie schreiben füllt ganze Bücherschränke, ganze Bibliotheken, sie haben sich in allen Schattierungen ausgedrückt und die Umschläge ihrer Bücher sind in allen Farben bedruckt. Ich blicke also wie gebannt auf meine bunte Bücherwand, so intensiv, dass diese vor meinen Augen zu verschwimmen beginnt und die Farben durcheinanderfließen – als es plötzlich an der Tür klingelt. Aufgeschreckt laufe ich hin und öffne. Ich blicke in das zarte Gesicht einer Dame. Mir fallen die durchscheinende Haut und das feine unmerkliche Lächeln auf. Irgendwie kommt mir das Gesicht bekannt vor. Ich blicke sie an, von oben bis unten. Sie ist zierlich und auffällig altmodisch gekleidet und wirkt sehr distinguiert. Die elegante Dame fragt, ob sie hereinkommen könne. Und dann dämmert es mir…

– Guten Tag, ich bin Virginia Woolf.

– Sie sind doch tot, rutscht es aus mir heraus.

Sie lächelt ihr feines Lächeln und ich kriege es ein bisschen mit der Angst zu tun, aber meine Neugierde überwiegt meine Furcht. Und ich bitte sie herein und führe sie in mein Arbeitszimmer. Virginia ist neugierig. Es sprudelt aus ihr heraus:

– Frauen haben ein Zimmer für sich allein? fragt sie, auf mein Arbeitszimmer deutend. Schreiben Frauen? Was schreiben Frauen und wie schreiben sie?

– Ja, Frauen schreiben, sage ich. Sie schreiben über alles und jedes. Es gibt großartige Schriftstellerinnen und es gibt berühmte Schriftstellerinnen. Aber ich zweifle daran, ob schreiben, denken und dichten selbst noch eine große Bedeutung haben. Was heute den Geist der Zeit bewegt, sind Zahlen, nicht Texte.

– Bei all den Büchern in diesem Raum? Wie kommen Sie denn zu diesem Schluss?

– Wissen Sie, Sie hatten von den alten Gebäuden der Universität geschrieben. Davon, wie viel Geld in den Bau von Universitäten floss, als „das Zeitalter der Vernunft angebrochen war.“1 Sie schrieben, „dass derselbe Strom von Gold und Silber, der vorher aus der Schatulle des Königs in den Glauben floss, im Zeitalter der Vernunft aus den Truhen der Kaufleute und Fabrikanten, aus den Geldbörsen von Männern, die, sagen wir, als Unternehmer ein Vermögen gemacht hatten, in die Universitäten, an denen sie ihr Handwerk gelernt hatten, floss, um diese mit noch mehr Lehrstühlen, Stipendien und Stiftungen auszustatten.“2 Und weiter fügten Sie hinzu: „Daher die Bibliotheken und Labore, die Observatorien, die vorzügliche Ausrüstung mit teuren und raffinierten Instrumenten.“3 Und sie hatten notiert, dass das Fundament aus Gold und Silber wahrlich solide sei.

Leider muss ich Ihnen sagen, dass dieses Fundament wackelt, dass der Putz in vielen Universitäten von den Wänden bröckelt, und dass das Geld aufgehört hat zu fließen. Dass viele von denen, die an Universitäten arbeiten, ärmer sind als es ihre Hausangestellten waren.

– Aber wie ist das möglich, das Zeitalter der Vernunft braucht doch Universitäten, um sich zu legitimieren.

– Ich bin mir nicht so sicher, ob wir noch im Zeitalter der Vernunft leben: Die Marktwirtschaft braucht die Vernunft nicht. Sie braucht die industrielle Produktentwicklung, ja. Ich muss aber zugeben, dass die technische Entwicklung weiter boomt und dass technische Universitäten hingegen nicht allzu sehr unter Budgetkürzungen leiden müssen.

Aber dort, wo der soziale Fortschritt zur Debatte steht, dort, wo ephemeres Denken stattfindet, kommen die Bürokraten mit der Heckenschere oder lassen den Garten ganz einfach verwildern, denn das verkauft sich nicht so gut. Und es kann sogar gefährlich werden, wenn das Denken tiefer geht – wenn es die Fundamente der Marktwirtschaft selbst in Frage stellt. Die einfachste Weise dieses lästige Denken loszuwerden ist, nicht dafür zu bezahlen. Wie sie selbst so klug geschrieben haben: „Geld verleiht Dingen Würde, die unbezahlt als frivol gelten“4 – und das vor allem in Zeiten, in denen Geld der Maßstab aller Dinge ist. Leider adelt das häufig frivole Dinge und nicht soziale oder intellektuelle Entwicklungen.

– Sie meinen, meine literarischen Werte, Shakespeare und Austen, haben heute keinen Wert mehr? Und was meinen Sie, was muss man tun?

– Frau Woolf, ich weiß nicht, warum Sie gerade mich aufsuchen, ich bin nur eine kleine unbekannte Schreiberin, und kann Ihnen nicht die Wahrheit über meine Zeit erklären. Aber, wenn es Ihnen lieb ist, kann ich natürlich Vermutungen anstellen…

– Erzählen Sie mir doch bitte von den großartigen Autorinnen Ihrer Zeit!

– Ich kann Ihnen gerne eine in meinen Augen großartige Autorin vorstellen; aber diese ist eine sehr persönliche Wahl. Und nach einer kurzen Sprechpause sage ich zu Virginia:

– Setzen Sie sich doch bitte, und zeige auf einen Sessel. Nachdem sie sich gesetzt hat, mache ich es mir auf meinem unbequemen Bürosessel, den ich neben sie schiebe, bequem. Sobald ich sitze, fällt mir auf, wie unhöflich ich gewesen sein muss und ich frage schleunigst:

– Möchten Sie etwas trinken?

Doch zu meiner Erleichterung, denn ich will mich nicht erheben, winkt sie ab und ich fahre fort.

– Können Sie sich noch daran erinnern, dass Sie geschrieben haben, man müsse die Geschlechter zusammendenken? Mann und Frau müssen ein Team bilden. Sie müssen zusammenarbeiten. Und zwar nicht nur als Personen, sondern als Prinzipien im Geiste. Sie schrieben: „Bevor der Schöpfungsakt vollbracht werden kann, muss im Geiste eine Zusammenarbeit zwischen Mann und Frau stattfinden. Eine Form von Hochzeit der Gegensätze muss vollzogen werden. Der Geist muss als Ganzes weit offen stehen, wenn wir das Gefühl bekommen sollen, dass der Schreiber uns seine Erfahrung in vollkommener Fülle vermittelt.“5 Und an anderer Stelle hatten Sie diesen Gedanken noch vertieft, Sie schrieben, „ein großer Geist sei androgyn“6 und damit meinten Sie nicht eine Festschreibung bestimmter geschlechtlicher Merkmale, die sich in einem Verhältnis der Balance ausgleichen sollten, sondern eine geistige Verfasstheit, die mitschwingend, durchlässig, ungehindert Gefühle vermittelnd, schöpferisch, weißglühend und ungeteilt sei.7 Ich denke, dass diese Position hochaktuell ist, aber leider eine Utopie, auch wenn sich die Ideen dahinter von Zeit zu Zeit hartnäckig bemerkbar machten und machen. Meines Erachtens hat diese Idee der Androgynität indirekt ein Buch beeinflusst, das für eine – meine – Generation von Frauen von großer Bedeutung war. Nur: Wo ist es noch gleich?

Ich erhebe mich und suche mein Bücherregal ab. Virginia folgt mir mit ihren Augen.

Es ist lila, daran kann ich mich genau erinnern, sage ich zu Virginia.

– Ach, das war schon im 19. Jahrhundert die Farbe der Frauenbewegung. Das hat sich also erhalten?

– Mich hat es damals eher geärgert, dass der Verlag mit einem lila Einband so plakativ auf die Frauenbewegung verweist und das Buch damit stigmatisiert. Ah, da ist es. Judith Butlers Werk Das Unbehagen der Geschlechter8. Zumindest hilft die Farbe des Einbands bei der Suche.

Virginia lächelt ihr unmerkliches Lächeln. Ich nehme das Buch aus dem Regal, reiche es Virginia und setze mich wieder. Sie schlägt es auf und blättert darin. Die Seiten sind mittlerweile ziemlich vergilbt, stelle ich mit einem Blick über ihre Schulter in das aufgeschlagene Buch fest.

– Das ist ja ein altes Buch, ruft sie empört aus. Ich suche etwas Aktuelles.

– Das Buch stellt immer noch einen Wendepunkt feministischen Denkens dar und mein Exemplar sieht so zerfleddert aus, weil ich es so häufig in die Hand genommen und gelesen habe. Leider hat die weitere gesellschaftliche Entwicklung ganz ungeahnte neue Kombinationen der Macht hervorgerufen, die Butler so damals nicht hätte voraussehen können und die all die hoffnungsvollen Ideen in ihrem Buch aus heutiger Sicht weniger glanzvoll erscheinen lassen.

Virginia schlägt das Buch auf und liest:

– „Die feministische Theorie ist zum größten Teil davon ausgegangen, dass eine vorgegebene Identität existiert, die durch die Kategorie ‚Frau(en)’ bezeichnet wird. Die feministische Kritik muss begreifen, wie die Kategorie Frau(en), […] gerade durch jene Machtstrukturen hervorgebracht […] wird.“9

Virginia schaut auf. Sichtlich beeindruckt, sagt sie:

– Also dass Frauen in der Lage sind, so kompliziert zu schreiben, so unpoetisch doch umso rationaler und abstrakter als ich das je von einer Frau gelesen habe… Das ist ja wirklich beachtlich!

– Butler ist Philosophin, sage ich.

– Es gibt also Philosophinnen! Nicht nur ungebildete Autorinnen wie ich eine war. Sie hält inne und strahlt dabei übers ganze Gesicht, Frauen schreiben und sie schreiben Texte, die man nur einem Mann zugetraut hätte und dennoch scheint dieser Text ganz augenscheinlich nicht von der Hand eines Mannes geschrieben zu sein. Schon in den ersten Thesen ist sie sehr radikal… Aber was meint sie genau, wenn sie schreibt, dass Frauen nicht sie selbst sind, sondern ein Produkt?

– Denken Sie an Charlotte Brontes Begehren, daran, wie sie an ihre Grenzen stieß, aber diese ihr auferlegt waren. Es waren Grenzen, die ihr das enge Leben als Frau auf dem Lande aufgebürdet hatte. Erinnern Sie sich daran, dass Sie geschrieben hatten, ihr Geist sei nicht frei gewesen, weil er von den Bedingungen einer sehr beschränkten Erfahrungswelt begrenzt war. Butler geht es nun um noch mehr als nur darum, Frauen nach London oder um die Welt zu schicken, um ihren Erfahrungsschatz zu erweitern. Entschuldigen Sie, wenn ich damit Ihr Denken verkürze.

– Das ist in Ordnung, wenn es unserer Erkenntnis dient.

– Also Butler argumentiert, dass in einer Welt, in der das Patriarchat als universell gilt, das heißt grenzenlos ist, Frauen überall davon eingeholt werden. Es geht Butler daher darum, das Patriarchat nicht nur als Produktionsstätte sogenannter weiblicher Werte, sondern als Produktionsstätte des Subjekts Frau, der Frau an sich, zu entlarven, ob dies nun auf dem Lande oder in London sei.

Ich nehme Virginia das Buch aus der Hand, blättere darin und zeige auf eine Textstelle:

– Schauen Sie, hier fragt Butler: „Lässt sich die Besonderheit der Frauenkultur unabhängig von ihrer Unterdrückung unter die hegemonialen maskulinen Kulturen denken?“10

Virginia überlegt. Sie sieht angestrengt dabei aus, denke ich, und dann sagt sie:

– Die Frage ist sehr prägnant, so hätte ich die Frage selbst noch nicht stellen können. Ich hatte noch von Werten geschrieben, die bei Frauen einen ganz spezifischen Sinn erhalten. Aber ich sehe schon, was sie meint: dass diese Werte nicht genuin weiblich sind, sondern als solche im Patriarchat produziert werden.

– Butler hat auch erkannt, dass sich daraus eine grundlegende und weitreichende Problematik für feministische Praktiken ergibt. Der feministische Repräsentationsdiskurs stolpert über das Subjekt, das er repräsentieren will. Denn, warum sollten sich Frauen mit einem feministischen Subjekt identifizieren, wenn sie als Subjekte – als mit Handlungsvermögen und Begehren ausgestattete Subjekte, denn auch Frauen dürfen im Patriarchat in bestimmten Grenzen handeln und begehren – hervorgebracht wurden? Wie sollen sie sich da von einem feministischen Subjekt repräsentiert fühlen?

– Wirklich eine kluge Frau, diese Judith Butler. Ich hätte es damals gar nicht gewagt, solche Fragen anzusprechen. Ich habe mich vielmehr davor gedrückt, die wahre Natur der Frauen zu behandeln, indem ich mich auf die materiellen Bedingungen für ihr Schreiben zurückgezogen habe und damit insgeheim gehofft habe, eine Vielstimmigkeit weiblichen Schreibens anzuregen.

– Das haben Sie auch sehr meisterlich gemacht! Ich bewundere Ihr Buch, aber hören Sie zu, Frau Woolf, Butler geht in ihrem Buch noch weiter. Aber dafür muss ich jetzt noch weiter ausholen und auf eine andere großartige Frau zu sprechen kommen, ohne die Butlers Werk nicht hätte entstehen können. Diese andere Frau ist Simone de Beauvoir.

Ich stehe auf und suche im Bücherregal ihr Buch Das andere Geschlecht11. Es ist nicht lila, daran kann ich mich noch erinnern, aber glücklicherweise sehr viel dicker als Butlers Buch und so werde ich auch diesmal bald fündig.

– Simone de Beauvoir? Der Name kommt mir bekannt vor… Hat sie nicht schon zu meiner Zeit gelebt?

– Ja, und sie beruft sich auf Sie in ihrem Buch, Frau Woolf.

– Oh, sagt Virginia Woolf verlegen.

Ich fahre fort, denn ich will den Faden meiner Gedanken nicht verlieren und Virginia nicht in ihrer Verlegenheit vorführen:

– Das Buch von Simone de Beauvoir ist nur acht Jahre nach Ihrem Tod erschienen und wurde eines der berühmtesten Werke der Frauenbewegung, mit weitreichenden Auswirkungen bis hin zur zweiten Frauenbewegung…

– Eine zweite Frauenbewegung? Davon weiß ich ja gar nichts!

– Ach, das war in den neunzehnsiebziger Jahren. Es war eine sehr verheißungsvolle Zeit für Frauen in der sogenannten westlichen Welt. In Europa und Nordamerika gab es viele feministische Gruppen, die aktionistisch das Patriarchat angegriffen haben – so wie die Suffragetten etwa. Nur waren ihre Themen andere, denn das Wahlrecht hatten Frauen fast überall in den liberalen Demokratien der westlichen Welt erobert.

– Und was forderten sie dann? Entschuldigen Sie, aber war ein Zimmer für sich allein da noch eine wichtige Forderung?

– Ihre Forderung ist, glaube ich, immer noch wichtig, aber ich denke, Frauen stellten damals fest, dass sie erst einmal herausfinden mussten, was es heißt, kein Zimmer für sich allein zu haben. So gründeten sie vor allem in den großen Städten der USA Consciousness Raising Groups. Das waren Gruppen, in denen Frauen ihre Erfahrungen untereinander austauschten, um gemeinsam herauszufinden, wo sie unterdrückt werden. Sie erfanden so die unglaublich radikale Forderung ‚Das Persönliche ist politisch‘.

– Und diese Gruppen existieren noch?

– Nein, aber lassen Sie mich vielleicht erst einmal wieder zu Butlers Buch zurückkehren, denn sie weist darauf hin, dass die Vorstellungen hinter der Forderung ‚Das Persönliche ist politisch‘ nicht so radikal waren, wie sie es für nötig hielt. Sie schreiben sich in die Logik ein, dass es eine Unterscheidung zwischen biologischem und kulturellem Geschlecht, zwischen Sex und Gender, gebe, um die sogenannten weiblichen Werte, das Persönliche, in Frage zu stellen. Damit besteht das weibliche Geschlecht aus einem unabänderlichen Referenten, dem Körper, und einem veränderbaren anerzogenen kulturellen Referenten. Und Butler hat das kritisiert. Simone de Beauvoir hatte die Geschlechtsidentität zwar für eine Konstruktion gehalten, doch Butler weist darauf hin, dass de Beauvoirs Formulierung einen Handlungsträger, ein cogito, das die Geschlechtsidentität irgendwie übernommen oder sich angeeignet hat, voraussetzt.12

– Entschuldigen Sie, dass ich Sie schon wieder unterbreche, aber ich bin ganz entzückt, dass Frauen sich aufeinander beziehen. Ich habe den Eindruck, dass sie es geschafft haben, ein eigenes Gedankengebäude zu errichten, mit Zinnen, Türmen und Arkaden, eine Tradition, in der sie sich miteinander vernetzen können. Aber fahren Sie bitte fort!

Ich lächele bei der Vorstellung, wie sich de Beauvoir und Butler um das Turmzimmer streiten, will Frau Woolf aber unbedingt die Bedeutung von Butlers Buch vermitteln und schließe folgendermaßen an:

– Butler zufolge geht de Beauvoir nicht weit genug, denn mit dem Verweis auf ein cogito führt sie in den Augen Butlers das Wesen der Frau weiterhin auf einen unveränderbaren Referenten zurück und Butler stellt diesen in Frage. Sie behauptet etwa, dass auch unser Körper eine patriarchale Konstruktion ist.

– Sie hält unsere Körper für eine patriarchale Konstruktion? Das heißt für künstlich, oder? Welch’ verwegener Gedanke! ruft Virginia mit aufgerissenen Augen aus.

Sie schaut an ihrem zierlichen Körper herab. Vielleicht um die Spuren des Patriarchats daran zu entdecken, denke ich ein wenig amüsiert.

– Vielleicht ist es präziser zu sagen, dass Butler die Determinierung des Körpers als heterosexuell für konstruiert hält. Sexualität ist ihr zufolge nicht biologisch, sondern kulturell bestimmt. Wir Frauen sind eben nicht nur über bestimmte Werte und einen Verhaltenskodex konstituiert, sondern auch mit einem bestimmten Begehren ausgestattet.

Jetzt leuchten Virginias Augen:

– Es ist möglich geworden, Heterosexualität anzugreifen?! Ich hatte damals noch gemutmaßt, ob ich bei der Autorin Mary Carmichael (dabei zwinkert sie, denn Mary Carmichael war ja nur ein Pseudonym für sie selbst gewesen) das erste Mal in der Geschichte der Literatur auf eine Frau gestoßen war, die eine andere Frau mochte (liebte). Chloe mochte Olivia, aber eine offene Kritik an der heterosexuellen Ordnung hätte ich nicht gewagt. Man lebte ja so manches, aber offen darüber sprechen, das taten wir nicht.

In Woolfs Augen blitzte ein heller Schein auf, doch noch bevor ich sie auf ihre Liebesbeziehung zu Vita Sackville-West ansprechen kann, lenkt sie das Gespräch zurück zu Judith Butlers Buch:

– Und was steht weiter in dem Buch?

– Butlers Buch nimmt tatsächlich noch eine aufregende Wendung, sage ich, sie schlägt Praktiken vor, mit denen man diese Subjektivierungen subversiv unterlaufen kann. Wie man, wenn man selbst schon innerhalb der Grenzen eines heterosexuellen Regimes hervorgebracht wurde, mit ihnen spielen kann. Und zwar mit Mitteln der Parodie, der Travestie und einer Re-Inszenierung der Körper.

– Mit Mitteln der Parodie und der Travestie?

– Sie meinen, das klingt nicht sehr politisch?

– Nun, das klingt vielmehr amüsant, aber nicht sehr kämpferisch, nicht heroisch.

– Tja, an diesem Vorschlag haben sich seither auch viele feministische Akademikerinnen die Zähne ausgebissen. Denn es bleibt in der Schwebe, ab wann Parodie subversiv wird und ab wann sie aufhört, subversiv zu sein. Butler selbst räumte ein, dass Parodie nicht per se subversiv ist, behauptete aber, dass die Parodie ein politisches Potential hat, wenn, ich zitiere, „(d)ie Möglichkeiten zur Veränderung der Geschlechtsidentität […] gerade in dieser arbiträren Beziehung zwischen den Akten zu sehen sind, d.h. in der Möglichkeit, die Wiederholung zu verfehlen bzw. in einer De-Formation oder parodistischen Wiederholung, die den phantasmatischen Identitätseffekt als eine politisch schwache Konstruktion entlarvt.“13

– Das klingt jetzt wieder sehr kompliziert. Und wie interpretieren Sie das persönlich?

– Ich war damals wie gesagt ganz begeistert von dem Buch, auch wenn ich heute glaube, dass sein Reiz zum Teil in der Ungreifbarkeit lag, in einem Versprechen, das einem immer wieder durch die Finger gleitet, sobald man danach greift. Und das tut es für mich an dieser Stelle. Dennoch ist es sehr interessant, sich Butlers Vorschlag der Parodie vor der Folie der Mainstreamkultur anzusehen, denn dort hat die Re-Inszenierung des Körpers und vor allem des weiblichen Körpers eine breite Bühne gefunden. Frau wird heute gemeinhin als Inszenierung verstanden und nicht als naturgegebenes Wesen. Frauen spielen ihre Rolle. Das hat sie aber nicht davon entbunden, diese möglichst gut spielen zu müssen.

– Unglaublich, darf ich das noch einmal wiederholen? Sie meinen, dass es so etwas wie die Natur der Frau nicht mehr gibt, dass alle Wesenhaftigkeit als Schauspiel verstanden wird?

– Genau.

– Das ist ja eine Revolution!

– Wenn es nur nicht so wäre, dass von Frauen dennoch ständig verlangt werden würde, ihre Rolle perfekt zu inszenieren.

– Eine tragische Komödie!

– Schön wär’s.


Meike Gleims neueste Monografie „Was hätte Virginia Woolf dazu gesagt?“ erscheint im Herbst 2018 bei Martha Press, Hamburg in der Reihe „Substanz“. Ein herzliches Dankeschön an den Verlag für die freundliche Genehmigung dieses Vorabdrucks sowie an Jenny Dünser, Eva Schörkhuber und Mona Schwitzer für ihr Feedback, das die Entstehung dieses Beitrags mehr als nur phantomartig begleitet hat.

1 Virginia Woolf, Ein Zimmer für sich allein, Stuttgart 2012, S. 13ff.

2 Woolf 2012, S. 13ff.

3 Woolf 2012, S. 13ff.

4 Woolf 2012, S. 89.

5 Woolf 2012, S. 59.

6 Woolf 2012, S. 134.

7 Vgl. Woolf 2012, S. 134.

8 Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp 1991.

9 Butler 1991, S. 17.

10 Butler 1991, S. 19.

11 Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, Rowohlt 1992.

12 Vgl. Butler 1991, S. 25.

13 Butler 1991, S. 207.

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A Very Nuanced Scandal

The following article will explore “one of the greatest scandals in art circles of fin-de-Siècle Vienna.”1 The affair around Gustav Klimt and his rejected University Paintings (1900–1905) was considered a defining ordeal for the artist. It is a tale that is often told to illustrate how Klimt was misunderstood and how the world was not ‘ready’ for his monumental works which took him years to complete. An artist abolished by fearful and conservative people. Numerous authors have applied the trope of the misunderstood genius – a myth so often encountered in the history of art – to Klimt due to this affair. In this article, I would like to demonstrate that this narrative mythologises and distorts a much more complex and nuanced debate. I argue that the University Paintings affair was not a clash between the prudes of the ‘Establishment’ and a heroic, unflinching artist and his unusually open-minded supporters. Rather, the scandal revolves around much more nuanced – and a lot less sensationalist – questions about the freedom and constraints of applied works of art.

There is a pervasive notion that the Klimt scandal, which lasted from 1903 to 1905, shows how hostile and ignorant his environment was. Doris Guth, for instance, writes:

Klimt may not have been murdered in the literal sense, but one can certainly call it a character assassination, this manner in which Klimt’s physical and mental integrity were challenged.2

In addition, the University Paintings scandal’s narrative is often peppered with quotes from the Viennese press to show how keen his contemporaries were to label his work not just as scandalous, but as pathological and degenerate, even adding anti-Semitic remarks to an already offensive mix. Claude Cernuischi for instance writes:

And when Klimt’s proposed University Paintings were causing scandal and controversy amongst the faculty, Klimt’s opponents attempted to defame Klimt and his defender, the art historian Franz Wickhoff, by painting both men as the willing participants of a Jewish conspiracy…3

Whilst Alfred Werner states: “They [the University Paintings] were rejected as ‘immoral’, even ‘pathological.’”4

However, one could also say that because the affair dragged on for several years before being resolved, this proves that Vienna offered a lot of space for its artists. Rather than viewing it as a ‘scandal’, one could also consider it a far-reaching debate into the function and potential limits of modern art. I argue that there were not necessarily purely conservative or purely progressive factions. Rather, all parties involved operated in a complex manner that was both traditional and experimental – most of all, Klimt himself.

Today, the works Gustav Klimt is most known for, such as Der Kuss (1907-1908), Danae (1907-1908) or the portrait of Adele Bloch-Bauer (1907) combine minutely painted faces and hands that show his academic training, whereas their bodies are covered in cloaks filled with symbolist, abstract imagery. His use of colour also unites contrasting elements: opulent gold leaf offsets the feverishly red cheeks but otherwise pale faces of his heavy-eyed subjects. Many figures in his works look as though they were in the throes of an all-consuming fever, whilst at the same time the paintings exude a strange melancholy calmness. Despite the use of expensive materials, parts of many of Klimt’s canvases are left almost raw, unfinished. His works are classical as well as modern, simultaneously feverishly alive and morbid. I argue that when Klimt applied for the commission of the University Paintings in 1894, he did not bring together these seeming oppositions so boldly. He was still a mostly classical, uncontroversial artist then – but by the time he displayed all three large canvases Philosophie, Medizin and Jurisprudenz in 1903, he had firmly stepped into the realm of independence, controversy and modernity, defying the expectations of his audience.

Fig. 1: Gustav Klimt, Theater at Taormina, 1886–1888, mural at Wiener Burgtheater

Raised by his engraver father to become an artistic craftsman like himself, Klimt began his career as a painter in service of architecture. After training at the Kunstgewerbeschule, Klimt, his brother Ernst and their friend Franz Matsch quickly became successful artists receiving commissions to create murals for prestigious buildings including in the new Viennese Burgtheater (executed between 1886 and 1888). The Burgtheater was part of the new Ringstraße – a wide ring around Vienna’s old city centre made up of spectacular, monumental buildings. The main building of the University, where the controversy around Klimt’s painting erupted, was on this boulevard, as were many other new public buildings, including the parliament, the city hall and the opera. The Burgtheater had been designed in the neo-Baroque style, one of the different “neo” styles of Historicism – e.g. neo-Gothic or neo-Renaissance – that marked the architecture of the Ringstraße. Just as the Burgtheater’s design honoured historical architecture, the murals by Klimt and Matsch paid homage to the history of theatre. Stylistically and thematically, the works are marked by a harmonious classicism (fig. 1). Continuing his ascent, Klimt painted portraits of the Emperor’s mistress, Katharina Schratt − for which he received the prestigious Emperor’s Prize in 1890 − and of the city’s populist mayor Karl Lueger in the same year. In addition, this was all followed by murals for the new Museum of Art History in 1891 where Klimt’s work was rooted in classicism and history, presenting harmonious female figures such the goddess Athena as allegories of the arts.5

Fig. 2: A view of the Festsaal today

Fig. 3: The ceiling of the Festsaal with reproductions of Klimt’s University Paintings

In 1894, Klimt and Matsch were commissioned to create allegorical paintings for the Großer Festsaal of the new University of Vienna building. The structure, designed by architect Heinrich von Ferstel, had been completed in the neo-Renaissance style a decade earlier. Due to a lack of funds, the paintings were commissioned more than ten years after the architect’s death, but Ferstel’s vision endured. The room was lavishly decorated, with ornate tiles and intense colours (fig. 2-3). According to Ferstel’s design the ceiling had already been divided into different segments by ornamental dividers.6 Thus, Klimt and Matsch literally worked within the framework and colourscheme of the architect. The entire building was a vision of harmonious coherence, of light over darkness. Its neo-Renaissance style was directly inspired by Italian universities such as Bologna and Rome, which Ferstel had visited in 1871 to develop his designs.7 Like many other Ringstraße buildings, this was supposed to be a spectacular, yet harmoniously realised building, where all elements  – from the main design to the smallest decoration – told one story.8 In the case of the University, the building’s message was one of positivism and harmony: here was the home of scholarship, where all disciplines were equal and complementary – and scholarship itself was a triumph of light over darkness.9

Fig. 4: Gustav Klimt, Portrait of Joseph Lewinsky as Carlos in Clavigo, 1895, 64 x 44cm, oil on canvas, Österreichische Galerie Belvedere

Since Klimt had created many works for buildings in the previous years, and he and Matsch had already proven the effectiveness of their harmonious collaboration. It seemed as though both Klimt and the University knew what to expect from one another. Klimt’s earlier, more academic style already displayed some of the characteristics of symbolism (fig. 4), but it had been a subtle ‘flavour’ in his earlier commissions. Meanwhile, in his University Paintings, it became the uncompromising, main ingredient.

In 1894, Klimt received the commission for the Festsaal paintings. In 1900, audiences could have a first look at first of his three allegorical ceiling paintings at the Secession exhibition of 1900, which drew over 30,000 visitors.10 The description of Philosophie in the Secession exhibition catalogue sounds neutral enough: “Group of figures to the left: Creation, the fertile Being, Demise. To the right: the Globe, the Mystery of the World. Emerging from below, an enlightened figure: Knowledge.” 11 The original works were lost in a fire in 1945, but even the black-and-white reproductions convey the unusual intensity of Klimt’s allegories (fig. 5-7).  

Fig. 5: Reproduction of: Gustav Klimt, final version of Philosophie, lost in a fire in 1945

Philosophie prominently features twisted naked bodies and the full frontal male nude figure at the bottom, and a profound melancholy pervades it all. The large but transparent figure of Knowledge on the right side, with its impassive expression and closed eyes, could not be called a straightforward allegory that provides light in this darkness. Medizin is characterised by a similar upward and linear vertical composition. Its proud figure of Hygeia appears to be an adequate allegory for a University building, but the effect is changed by the closed eyes and thrown-back heads of numerous female nudes, all entwined with each other by long strands of hair and connected by a veiled skeleton. The morbidity is enhanced by the disjointed torso-like appearance of the male figure crouching with his back to us at the bottom right of the painting. Finally, Jurisprudenz is even more experimental both in form and technique, arranging the allegorical nudes in an almost abstract pattern, their forms cut out into round, organic shapes with enormous strands of hair in the foreground. Their expression is wistful, asleep or even angry, with another dramatic figure at its center: an emaciated body that seems to slowly be engulfed by a giant kraken. What Klimt offered here was such a leap from his earlier Ringstraße works, that it is no surprise that the discussion about these works was to last from 1900 until 1905.

Fig. 6: Reproduction of: Gustav Klimt, final version of Medizin, lost in a fire in 1945

In 1900, a petition addressed to Minister of Culture Wilhelm Ritter von Hartel, an advocate of modern art,12 signed by the majority of the University Professors, called for the rejection of Klimt’s paintings, even before two of them, Medizin and Jurisprudenz had been displayed by the artist. Philosophie was potent enough in itself to provoke a flurry of debates and a deluge of newspaper articles, so many in fact that in 1903, Hermann Bahr – an author and a friend of Klimt’s – published a collection of all the negative press Klimt had received, calling it ‘Gegen Klimt [Against Klimt].’

Unlike the aforementioned pervasive narrative of a brilliant artist facing a wave of ignorant criticism, it turns out that the University Paintings were not flat-out rejected. Instead, they were analysed, discussed and chewed over by seemingly anyone who had anything to do with art and culture. For the sake of brevity, this article will focus on the negative reception of the first painting, Philosophie,13 which prompted the petition and thus may be considered the painting at the heart of the scandal.

The majority of the negative articles do not simply cry in outrage, but try to explain why they think the images are inappropriate. One such reason is that they feel the image is not a suitable allegory:

It [Philosophie] neither fulfills its visual purpose, to serve as a dignified decoration for an Italian Renaissance-style stairwell,14 nor is the work’s message an appropriate one […] Even if modern philosophy is nothing less than the mystical-metaphysical pondering of unsolved riddles […] [still] the painter should then depict this riddle, not create a new one himself [italics added].15

Fig. 7: Reproduction of: Gustav Klimt, final version of Jurisprudenz, lost in a fire in 1945

Others even deconstruct the image into various parts, and praise one part while criticising another:

Klimt’s command of pathos is outstanding, this he has also demonstrated in the left corner of Philosphy with his representation of the Fertile Being,16 but what to make of the interpretation of the Mystery of the World? All human knowledge may be patchy. This however is a banal patchwork. 17

For all the mentions about Klimt overstepping, a lot of the criticism does not seem directed at the nudity or the darkness of the work. Rather, Klimt is accused of crossing another boundary, that of a kind of artistic hubris, as in the excerpt above. Too much of his own artistic, conceptual and philosophical ideas had seeped into a work that was intended to be subordinate to the architecture and the self-image of the Faculties. A safe and pleasant allegory was expected of him; decorative grand but humble in its conceptual innovation. A Deutsches Volksblatt article exemplifies:

[…] this failed attempt at the enlightenment of Philosophy […] The painting can only find a place in a secessionist building, where its strangeness would blend in, however it is not appropriate for the tasteful Renaissance setting of the University of Vienna, in this enchanting building by Ferstel.18

The main criticism in catholic, conservative publication Das Vaterland is similar: “The painter himself is an insufficiently profound soul, to be of any interest beyond this aphorism.“19

The majority of the articles against Philosophie collected in Hermann Bahr’s Gegen Klimt volume complain that the image is vague, not suited to the architecture or simply strange. The word ‘wahnsinnig’ [insane] is used, but it is used mildly, in terms of ‘overtly fantastic’ rather than as a synonym for ‘pathologically insane.’ Only four of the articles use arguments that could be construed as offensive, three making reference to mental instability of the pathological kind and one making blatant anti-Semitic remarks, as the unknown author of the Deutsches Volksblatt20 writes:

This jewish shamelessness is already well-known, which has turned the proclamation of the lowest and meanest common denominator into its leading priciple, in order to poison the population.21

However, although the three other articles do use terms relating to insanity in the pathological sense – rather than ‘crazy’ in the colloquial manner – even these three texts are hyperbolical, satirical and humorous. In all likelihood, they refer to pathology as a rhetorical device, rather than genuinely stating that Klimt’s work is a testimony to the artist’s declining mental state. A sentence from the first article in Plein-Air has often been quoted to emphasise how harshly and unfairly Klimt’s work was criticised, when the anonymous author speaks of Philosophie’s “saccharine, nervous and flat-chested elegance,”22 but this is mostly a critique of the small format, embedded in an article that, in fact, mostly praises Klimt for his talent.

The second article mentioning insanity posits that “dieser Wahnsinn ansteckend wirkt.” Taken out of context (see the excerpts from Werner and Guth, above), this may sound exactly as though Klimt was branded as a dangerous, contagious ‘degenerate.’ But the author does not, in fact, refer to Klimt, but rather to people who apparently over-interpret the work:

[…] last year he once more brought such a new painting to the Secession. I think it was called “Wellenspiel” or something like that. It looked as though an entire bucket of paint had been tipped over. The youngest members of the Secession prostrated themselves in the dust in front of this work. The visitors were too embarassed to admit, that they did not understand it.  And the dangerous thing about this is, that this insanity is contageous. So much has been said about this paiting, that some people have come to believe that this work has a deeper philosophical meaning.”23

Thus, it appears the author is talking about the insanity of the hype surrounding Klimt’s work, rather than Klimt as a pathological artist. The third article, which states that neurotics living in sanatoriums24 are Klimt’s target audience, is an entirely hyperbolic and absurd piece: it also deliberates, for instance, whether or not people should eat a Papier-mâché chicken. This satirical and humorous article was moreover written by a great admirer of modern art – and of Klimt’s friend Egon Schiele, whose works may be considered more overtly transgressive than Klimt’s.25 These three texts aside, not a single article complains about the nudity or melancholy of the work itself.

Had the professors not started a petition, would it have actually come to such a scandal in the first place? They had to resort to writing a petition because the University’s board of directors was initially unsympathetic to their cause. Originally, the petition, despite being signed by 87 professors, was simply filed without prompting any further action.26 In addition, 12 other professors responded with a counter-petition.27 After the petition, the University had ample opportunity to intervene, and steer Klimt’s work in a less controversial direction (Klimt was still working on Medizin and Jurisprudenz at the time of the petition), but chose not to do so. This can be inferred from minister Von Hartel’s statement to the press:

The sketch for Klimt’s ceiling painting was presented to the art committee, supported by the University’s of Vienna’s artistic committee, and was – with  a few minor changes which were willingly accepted by the artist – accepted unanimously. The commission was granted upon request of the aforementioned committee. 28

This is surprising, considering the prominent symbolic connection between Klimt’s works and the Faculties’ objectives: Klimt’s allegories were intended for the most ceremonial room of the enormous University complex. He and Matsch had not simply been invited to create paintings for this space, rather, they had responded to an open call – and won.29 Even though Klimt was already successful when he received the commission, he was still in an unequal hierarchical relationship with his patrons – he had offered his services to the University, hoping he would win. As such, Klimt was part of a large workforce of artists who were called in to provide the finishing touches to the vision of the architects and landlords of the Ringstraße buildings with sculptures, paintings or frescoes. Ringstraße buildings may have been eclectic in the sense that they were inspired by different neo-styles, nevertheless classicism, symmetry and harmony were paramount. And thus, Christian Griepenkerl painted Greek gods and goddesses on the ceiling of the parliament’s Festsaal; Moritz von Schwind depicted the figures from Mozart’s Zauberflöte in flowing togas and symmetrical arrangements for the Oper; and even Josef Urban and Heinrich Leflers wall paintings for the Rathauskeller’s Rittersaal, though clearly inspired by Jugendstil, are still harmonious and historical.

Fig. 8: Franz Matsch, Naturwissenschaft, c1905, Festsaal, University of Vienna

Therefore, Klimt and Matsch were expected to literally create works that would fit in. Even the Festsaal’s decoration reinforced this hierarchy, adorned as it was with the Emperor’s coat of arms and heraldry. The lay-out of the ceiling (fig. 4) appears to mirror the architectural layout of the building: a main hall, with the main rooms on the faculties directly above their allegorical paintings. In this light, Klimt was not just painting any old allegory of the Arts and Sciences, he was creating the main image for each of these new faculties. Franz Matsch’s works in this sense are much more conventional, such as a scientist looking through a microscope in the figure of Naturwissenschaft (fig. 8). When looking at the abbreviated, published version of the petition by the University professors, the only argument against Klimt’s work is architectural, which, introduction aside, ultimately only argues for the following two points, namely that:

1. The opinion should be expressed, that the aforementioned [work] does not match the style of Ferstel’s Renaissance building.

2. That the request should be made to his Excellency [the minister of Education] to halt, if possible, the installation of the painting in the aula.30

In the press, further defying the idea that the criticism of Klimt’s work was proudly small-minded, the professors hastened to assert that they did not reject the work because they were shocked by it. Their defensiveness here further hints at the quite progressive values that were generally held dear in Vienna’s cultural climate. This runs counter to the pervasive notion of Vienna as a place where now world-renowned artists such as Klimt (or other contemporaries such as Egon Schiele and Oskar Kokoschka) were consistently repressed. Vienna was not simply a hostile city that resisted all its rich artistic innovation by default. Rather, the city was both progressive and traditionalist, where Secession could draw thousands of visitors but also where Entartung [Degeneracy], Max Nordau’s 1892 attack on the decadence of modern life – including modern art –  became a bestseller- A place where new ideas brewed both in coffee houses and proto-fascist societies. The Klimt controversy shows that Viennese society did not hold on to a rigid framework of what was right, wrong or beautiful. Neither is it possible to simply consider critics of Klimt as enemies of modern art.

This is illustrated for example by the statement of Professor Friedrich Jodl, one of the petitioners against Klimt, who was also an admirer of modern art:

We distance ourselves entirely from such proclivities as those expressed in the Lex Heinze. 31 We are not opposing the painting’s nudity, but its unsightliness [“Hässlichkeit”]. In addition, we believe that the dark, unclear symbolism of the image, which few people will grasp and understand, runs counter to the function of the painting. 32

An explanation accompanying the petition even explicitly refrained from making an aesthetic judgement, unlike Jodl’s accusation of “Hässlichkeit”:

We would like to refrain from criticising the unclear movements, contrived shapes and numerous deformities of the represented bodies. It is possible, that these stem from certain artistic ideas of the painter, even if these are unrecognisable to the viewer […] concerning the palette, we gladly acknowledge the virtuosity, with which the painter strives to capture an an obscure, fantastical atmosphere.33

Ultimately, Philosophie, the work with which the scandal began, failed to provoke a reaction that was ‘prudish.’ It appears as though there was no room for convenient, moralising truisms: if people wanted to criticise the paintings, they had better argue their case well. The Deutsches Volksblatt even presents their criticism of the paintings as the opposite of representing ‘the Establishment,’ implying instead that they are a brave, rare voice going against public opinion, when they said the painting was entirely inappropriate for a University setting.

We’re anxious to find out if any other influential voices, who share our views, will make themselves heard in Vienna, or whether we are the only ones, who dared to tell the truth.34

In fact, Klimt had many supporters in Viennese society, from journalists to wealthy patrons, who were defending him with gusto. Eventually, the affair ended in 1905, when the decision was finally made by the University not to put up the images in the Festsaal. Following this decision, Klimt decided to buy the paintings back; supported by wealthy industrialist August Lederer, he returned the money he had been paid for the paintings. It was the first time, after years of public debate and others arguing on his behalf, that Klimt himself made a public statement: ‘Enough of censorship […] I want to get away […] I refuse every form of support from the state, I’ll do without all of it.’35

Rather than seeing the University Paintings as a scandal that resulted from the friction between an artist that was misunderstood by a society that was not ready for him, I would like to offer a different interpretation. Klimt indeed overstepped a boundary, but it was the boundary between being a hired hand to being a fully autonomous artist. Prior to the University Paintings, Klimt had put his art in the service of the entire conception of the building he made the work for, here he decided to create a work that matched his artistic ideas rather than the architectural décor. This may have been the real cause that sparked the outrage, and this may have been the element of modern artistdom that a part of Vienna was not ready for. Not everyone may have liked that so many artists and architects began to abandon Historicism in favour of Jugendstil and other more experimental forms, but there was still room enough for avant-garde artists to eventually become successful.

However, in this case, the sanctity of the artist, their artistic autonomy and moral right – or even obligation – to uncompromisingly follow their own concept, was not the freedom that was ultimately afforded to Klimt at the time. He was required to create a work for a building, within the confines of a commission. In that sense, his situation may not have been very different from the position of most artists that had come before him throughout the history of art. After all, so many artists had to adjust their style to the architectural concept, aesthetic ideas or message of their patrons.

Perhaps the resistance Klimt faced for his University Paintings is considered such a crude act of censorship and small-mindedness, because we have come to think of Klimt as a great avant-garde artist. In hindsight, it seems difficult to imagine that anyone could reject the vision of such a master. And yet, I would argue that this is not the clash between an artist ahead of his time and a society that was not ready to see his brilliance. In fact, the reception of Klimt’s works was complex, nuanced – and even his fiercest detractors did not provide simplistic judgements. There are many more recent cases where commissioned artists created unexpectedly transgressive images. Unlike in Vienna, these were not mulled over for years – instead, they were simply destroyed, e.g. Diego Rivera’s mural at the Rockefeller Centre in 1934 or Karel Appel’s 1949 mural at the Amsterdam city hall cafeteria. And what to think of the recent covering up of a parking lot painting by high school student Tamia Williams dedicated to the Black Lives Matter movement in 2016?36 In that sense, it could be argued that the Viennese were actually ahead of their time.

In the University Paintings controversy, Klimt asserted his artistic autonomy, and when he failed to be accepted, he withdrew from state commissions altogether. He could afford to do this, since his period at the Secession had provided him with a wide circle of wealthy clients. Of course this still raises the question whether Klimt ever achieved the zenith of artistic autonomy, or whether he was able to trade a more extreme form of subordination for a much milder dependency upon the generosity and support of his affluent friends.

Whether he ever became entirely independent or not is a question that might never be answered. But one thing is certain: Klimt was not a ‘free agent’ when he received the University Paintings commission. Rather he had (with his brother and Franz Matsch) actively pursued monumental commissions that had to adapt to the architecture – which were a contribution and reinforcement of the concept and style of the building. In a letter asking to work for the new Ringstraße buildings, they wrote:

[…] it would be our dearest wish, if we would at least once be granted the opportunity of creating a larger work in our hometown, and perhaps such a possiblity does indeed exist […]37

Neither did this mean that Klimt was no longer appreciated by the establishment. Two letters from 1903 show an exchange in which Klimt ‘reluctantly’ offers the Ministry of Culture and Education his portrait of Emilie Flöge for the hefty sum of 10,000 Kronen (ultimately, the deal fell through because the price was too high).38

The affair of the University Paintings is not the rejection of a misunderstood artist by an unreceptive, ignorant audience – it rather shows the limits of artistic autonomy, which still exist today. Public art commissioned in our age also frequently attracts anger, debate, petitions or protests regarding its aesthetic, underlying message, or faces accusations over the ‘misuse of public funds.’ In that sense, the scandal is perhaps not a story about the adversity faced by modernist pioneers in less enlightened times, but rather a fascinating example of an issue that remains unresolved: when it comes to works of art commissioned to benefit a wider audience, where does public interest begin and artistic autonomy end?


1 Kurt Mühlberger, Palace of Knowledge: A Historical Stroll through the Main Building of the Alma Mater Rudolphina Vindobonensis. Vienna etc. 2008, p.130. For some reason, many authors use exactly this description of ‘greatest’ or ‘one of the greatest scandals’ of this period.

2 Doris Guth, “Das ist kein Zeichen der Zeit, das ist ein Zeichen der Überspanntheit,” in: Tobias Natter and Max Hollein (eds.), Die Nackte Wahrheit: Klimt, Schiele, Kokoschka und andere Skandale. New York etc. 2005: p. 67 – 76. “Im konkreten wird Klimt wohl nicht ermordet, doch als Rufmord kann man diese Infragestellung Klimts körperlicher und geistiger Integrität in jedem Fall bezeichnen.” All translations, unless stated otherwise, by Nausikaä El-Mecky.

3 Claude Cernuschi, Re/casting Kokoschka: Ethics and Aesthetics, Epistemology and Politics in Fin-de-Siècle Vienna. Cranbury etc 2002, p.129.

4 Alfred Werner, Gustav Klimt: 100 Drawings. New York 1972.

5 Carl E. Schorske, Fin-de-Siècle Vienna: Politics and Culture. Cambridge 1981, p. 212.

6 Julia Rüdiger, Die monumentale Universität: Funktioneller Bau und repräsentative Ausstattung des Hauptgebäudes der Universität Wien. Vienna 2015a, p. 120.

7Julia Rüdiger, The Main Building: An Architectural Victory of Light over Darkness, in: Julia Rüdiger and Dieter Schweizer (eds.), Sites of Knowledge: The University of Vienna and Its Buildings: A History. Vienna 2015b, p. 165–192, p. 166.

8 Rüdiger 2015b, p. 188.

9 Rüdiger 2015b, p.  180–184.

10 Guth 2005, p. 68.

11 Edwin Lachnit, Miszelle: neuentdeckte Dokumente zur Professorenstreit um Klimt’s “Philosophie,” in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, XXXIX, 1986, p.208. “Linke Figurengruppe: das Entstehen, das fruchtbare Sein, das Vergehen. Rechts: die Weltkugel, das Welträtsel. Unten auftauchend eine erleuchtete Gestalt: das Wissen.”

12 Schorske, 1981, p. 237.

13 The reception of Medizin which is also collected in Bahr’s Gegen Klimt has a similar tenor.

14 The author may have confused the planned location of the painting here, as Philosophie was not meant to be in a stairwell, but rather on the ceiling of the Festsaal.

15 Author unknown, title unknown, in: Plein-air, 12.3.1900, cited from Bahr 1903, p. 43. “Es erfüllt weder seinen äußerlichen Zweck, die Dekke eines in italienischer Renaissanceform gehaltenen Stiegenhauses stilvoll zu zieren, noch deckt es sich inhaltlich mit seiner Aufgabe. […] auch [wenn]
die moderne Philosophie nichts weniger als mystisch-metaphysisches Dahinträumen unter ungelösten Rätseln [ist] […] Der Maler soll das Rätsel darstellen, aber nicht selbst eines aufgeben.“

16 The original text speaks of “das furchtbare Sein,“ – which means “the terrible state of existance instead of “das fRuchtbare Sein.“ I have assumed this is a typo, as the author appears to follow Klimt’s own description of the figures throughout the article.

17Author unknown, title unknown, in:  Neue Sonn-und Montagszeitung, 12.03.1900, cited from Bahr, 1903, p. 43. “Klimt verfügt über die höchste pathetische Kraft, das hat er auch in der linken Philosophenecke mit der Darstellung des furchtbaren Seins gezeigt, aber was soll man zur Auffassung des Welträtsels sagen? […] Alles menschliche Wissen ist zwar Stückwerk. Hier aber ist es ein banales Kopfstückwerk.“

18 Karl Schreder, title unknown, in: Deutsches Volksblatt, 17.03.1900, cited from Bahr 1903, pp. 44-45. “[…]der missglückte Versuch, Philosophie zu erleuchten […] Das Bild kann nur in einem secessionistischen Hause Platz finden, wo es sich in seiner Sonderbarkeit einem ebenbürtigen Stile anpasst, aber nicht in der geschmackvollen Renaissanceumrahmung der Wiener Universität, in diesem herrlichen Bau Ferstels.”

19 Author unknown, title unknown, in: Vaterland, 17.03.1900. “Der Maler selber ist ein zu wenig tiefer Geist, um über dies Epigramm hinaus zu interessiren [sic].”

20 Deutsches Volksblatt was a publication known for its extreme-right views and anti-Semitism.

21 Author unknown, Secession und Christenthum in der “Philosophischen Gesellschaft,” in: Deutsches Volksblatt, 15 May 1900, p. 4. “Man kennt ja diese jüdische Unverschämtheit, welche, um mit ihrem Gifte die Bevölkerung zu durchsetzen, die Proclamation der niedrigsten und gemeinsten Gesinnung sich zum Principe gemacht hat.“

22 Author unknown, title unknown, in: Plein-Air, 12.3.1900, cited from Bahr, 1903, p. 44. “[…]süßliche, nervöse und schmalbrüstige Eleganz,”

23 Author unknown, title unknown, publication unknown, 30.3.1900, cited from Bahr 1903, p. 60. “[…] im Vorjahre brachte er wieder ein neues Gemälde in die Seces- sion. Ich glaube, es hieß „Wellenspiel“ oder so ähnlich. Da schien ein ganzer Eimer mit Farbe darauf verschüttet zu sein. Die Jüngsten aus der Secession lagen im Staube vor diesem Bilde. Die Besucher schämten sich zu gestehen, daß es ihnen nicht verständlich sei. Und das Gefährliche daran ist, daß dieser Wahnsinn ansteckend wirkt. Man hat so viel von dem Bilde gesprochen, dass es Menschen gibt, welche schließlich glauben, dass ein tiefer philosophischer Sinn darinnen steckt.”

24 Friedrich Stern, title unknown, in: Unknown, 30.5.1900, cited from Bahr 1903, p.67.

25 See e.g. Friedrich Stern, Wiener Kunstausstellungen: Sezession – Hagebund, in: Neues Wiener Tagesblatt, 11.4.1912, ESA 283r and ESA 283v.

26 Susanne Kühberger, Gustav Klimt und der Staatsauftrag, in: Österreichisches Staatsarchiv Website, 1.12.2017, accessible online at: http://www.oesta.gv.at/site/cob__49436/currentpage__0/6644/default.aspx.

27 AT-OeStA/AVA Unterricht UM Präsidium Akten 266, Zl. 1126/1900

28 Ill., no title, in: Wiener Extrablatt, 26.3.1900 cited from Bahr 1903, p. 49.

“Die Skizze zur Klimt’s Deckengemälde hat der Kunstcommission, verstärkt durch das artistische Comité der Wiener Universität, vorgelegen und wurde mit einigen kleinen Änderungen, welche der Künstler bereitwilligst zugestanden hat − einstimmig angenommen. Auf den Antrag der genannten Commission hin wurde der Auftrag erteilt.“

29 See e.g. Catherine Horel, Austria–Hungery 1867–1914, in:  Robert Justin Goldstein and Andrew M. Nedd (eds.), Political Censorship of the Visual Arts in Nineteenth-Century Europe: Arresting Images. New York 2015, p. 88 – 129, p. 119.

30 Rudolf Chrobak, Friedrich Jodl, et al. ‘Petition’, reproduced in: author unknown, title unknown, Neue Freie Presse, 28.3.1900 cited from Bahr, 1903, p.50. “1. Der Meinung Ausdruck gegeben werden soll, daß dasselbe nach dem Styl dem Renaissancebau Ferstel’s nicht entspreche. 2. An Se. Excellenz die Bitte gestellt werden soll, die Anbringung des Bildes in der Aula, wenn möglich, hintanzuhalten.“

31 This law passed in Germany in 1900 against sexual transgressiveness contained a controversial paragraph against ‘unsittliche Darstellungen’ in art and literature, which was often used to censor artists using nudity and allowed for legal confiscation of their work.

32 Author unknown, Die Agitation gegen Klimt’s “Philosophie”, Neue Freie Presse, 26.3.1900, p. 3. “Tendenzen, wie sie in der Lex Heinzezum Ausdruck kommen, liegen uns vollständig ferne. Nicht das Nackte auf dem Bilde, sondern das Häßliche wird von uns angefochten. Wir sind ferner der Meinung, daß die dunkle, unklare Symbolik  des Bildes, die nur von wenigen erfaßt und verstanden werden dürfte, der Bestimmung des Gemäldes zuwiderläuft.“

33 Österreichisches Staatsarchiv, AT-OeStA/AVA Unterricht UM Präsidium Akten 266, Zl. 1126/1900, page 3. “Wir wollen es unterlassen, an den unklaren Bewegungen den [sic] gekünstelten Formen und den zahlreichen Missbildungen der dargestellten menschlichen Leiber Kritik zu üben. Es ist möglich, daß der Maler damit bestimmte, dem Beschauer allerdings nicht erkennbare künstlerische Betrachtungen verbunden habe […] was die Wahl der Farben betrifft, so erkennen wir gerne die Virtuosität an, mit der der Maler eine der trüben Phantastik des Bildes entsprechende Stimmung festzuhalten versucht hat.“

34  Author Unknown, Universitätsprofessoren gegen Klimt’s Gemälde “Die Philosophie“, in: Deutsches Volksblatt, 25.03.1900, p. 6. “Wir sind begierig zu erfahren, ob sich denn nicht in Wien noch einige einflussreiche Stimmen erheben werden, die unserer Ansicht sind oder ob wir allein den Muth [sic] hatten, die Wahrheit zu sagen.“

35 Giles Néret, Klimt. Cologne 2005, p. 8.

36 Erin Fenner, Mountain Home Black Lives Matter portrait painted over, in: Idaho Statesman, 26.9.2016, accessible online at: http://www.idahostatesman.com/news/state/idaho/article104225416.html.

37 Letter from the ‘Malercompagnie’ (Klimt, his brother and Matsch) to Direktor Eitelberger, 2.2.1884, Bibliothek Wien, no. 22 Y 39. “[…]unser sehnlichster Wunsch wäre daher, wenn wir einstens in unserer Vaterstadt eine größere Arbeit ausführen könnten und vielleicht wäre eben diese Möglichkeit vorhanden […]

38 Akt des Ministeriums für Kultus und Unterricht, 8.2.1904, Östa – VA, ZL 4197 / 1904, as well as Klimt’s letter to the Ministerium from the 17.1.1903, Östa – AV, ZL 4197 / 1904.

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Diagnostische Unterbrechungen

Die Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin Johanna Braun widmet ihr Buch der Gerechtigkeit und stellt ihm einen Warnhinweis voran: Dort heißt es emphatisch, „dem Mädchen“ wurde „das Recht auf eine eigene Stimme zugesprochen“ (11) – im Doppelsinn von voice und vote1. Vorausgeschickte Rufe stehen anstelle der konventionellen Vorbemerkung, Befragungen an der Türschwelle markieren die Rahmung des Forschungsinteresses und den methodischen Zugang. In drei Hauptkapiteln wird ein Triptychon zwischen literarischen, filmischen und seriellen Gothic Girls etabliert. Schließlich erfolgt in Home Sweet Home das Fazit, Fußnoten sind als Nachgestellte Einflüsterungen und die Bibliographie als Gespenstische Erbschaften angeführt.

In diesem gewagten Re-naming wissenschaftlicher Parameter erschließt sich die Vorgehensweise der „Heimsuchung als wissenschaftliche wie künstlerische Forschungsmethode“ (17), die Braun gleich zu Beginn ankündigt. Ihre Heimsuchung ist eine, die vermittelt: „das Mädchen [schlüpft] in die Rolle der Kommunikatorin des Justizsystems“ (18) und seiner Lücken. Als im Gesetzestext nicht Repräsentierte erzählt das geisterhafte Mädchen von der Justiz. Das „Close Reading des Beweismaterials“ (17) lässt eine Rhetorik der Dringlichkeit anklingen. Heikle Angelegenheiten, die unsere Aufmerksamkeit einfordern, werden über „performative Abtastungsprozeduren“ (21) untersucht. Auffällig bei der detaillierten Analyse ist der Sprachduktus der freien Nacherzählung einer großen Dichte an Romanen, Filmen und Serien. Dies liegt an der hybriden narrativen Rahmung der Mädchenfigur. Eingebettet in einen der psychoanalytischen Medientheorie entlehnten Begriffshorizont erzählt Braun die heimgesuchte polyphone Migrationsgeschichte der Vereinigten Staaten, indem sie eine historische Genealogie des All-American-Gothic Girl vollzieht. Denn die einst aus Europa kommenden Gothic Girls scheinen besonders explizit Verdrängungen und Enteignungen zu bezeugen. Die daraus folgende Traditionsirritation äußert sich narrativ als Traditionserfindung baulicher, rechtlicher und medialer Architekturen.

Im Modus einer affirmativen Kritik bespricht die Autorin zunächst transatlantische Wechselwirkungen der Gothic,2 die sie in seiner kristallartigen Ausformung entlang von Genre (26), Gender (28), Mode (30) und Law (33) auffächert. Für Braun wird die Idee des All-American Girl (stereotypes Mädchen mit Vorbildfunktion) speziell in „politisch-explosiven Momenten“ aktiviert, „in welchen das nationale Rechtssystem infrage gestellt wird“ (19). Es ist ein besonderer Kniff, in dieses ein Gothic einzuführen; denn wesentlich zur Imagination des All-American Girl trug, ihrer Einschätzung nach, das Gothic-Genre bei, das politisch wie ästhetisch deutlich mit rechtsausübenden Gebäuden verknüpft ist (19). Anhand von Romanen und theoretischen Abhandlungen zeichnet Braun sehr schön die wandelnden Implikationen des „Gotischen“ als englischer „Erbschaftsmythos“ aus der Zeit des Bürgerkriegs in den 1640er Jahren nach, als sich das republikanische Rechtssystem bildete (24). Weiters verweist sie darauf, dass die Gotik ab 1750 in Literatur und Architektur ein politisch aufgeladenes Revival erfuhr (24–25). Sie hebt damit hervor, wie das Haus zum Operator eines heimgesuchten Rechtssystems wurde –nicht bloß als szenischer Ort gotischer (Familien-)Dramen, sondern in seiner Architektur selbst als ein mitstreitender Akteur in juristischer Krisen personifiziert (25).

Ihrer Figur zugeneigt entwirft Braun das erstarkende Selbstbewusstsein des All-American-Gothic Girl entlang historischer Eckpunkte der amerikanischen Gesetzgebung. Bevor jedoch Morde an Mädchen und Frauen in den 1980er und 1990er Jahren „eine vehemente Revision des US-amerikanischen Justizsystems“ (124) brachten, bestimmten düstere juristische Realitäten jene der Mädchen. Zentral in der Analyse von Transferprozessen durch vertragliche Regelungen der Familienstruktur ist das Common Law (richterrechtliches englisches Gewohnheitsrecht), das ein breites Auslegungsspektrum zuließ: Während das Mädchen durch Heirat zur feme covert und dadurch entrechtet wurde, unterlag die feme sole dem Dilemma, gar nicht im Gesetzestext vertreten zu sein (35–36). An eben jener rechtlichen Leerstelle macht Braun ihre Mädchenfigur „als eine Ausformung politischer Haltung“ (20) fest. Dieses nicht-vertretene Mädchen nutzt ihre nomadische Position, um als „free agent of justice“ (36) zu agieren und dem Transfer von Besitz im Moment des Eheschlusses zu entgehen. In vielen Erzählungen sind Gothic Girls „unverheiratet, oft kinder-, ja sogar mutterlos, sind noch keinerlei rechtliche Verträge eingegangen und somit eindeutig als feme sole auszumachen“ (39). Hier klingt eine radikal romantische Vorstellung an, die Braun jedoch bricht, indem sie anmerkt, „dass das weiße Mädchen der bürgerlichen Mittelschicht in ihrem Auftreten bis heute vom US-amerikanischen Multikulturalismus nicht viel mitbekommen zu haben scheint“ (20). Sie liest dies als ein Symptom des Horrors der Kolonialisierung (ebd.). In Form eines Exkurses zur „Südstaaten-Gothic“ (60-66) zieht die Autorin einen Vektor zwischen der Enteignung von PlantagenarbeiterInnen, Erbschaftsproblematiken und einer Gegenhegemonie, die sie als „haunt back“ (62) fasst. Diese Ausführungen sowie eine mögliche Nähe von (Black) Gothic und Slave Narratives, im Rahmen der Anti-Sklavereibewegung um die 1830er Jahre, regen interessante Gedanken an, bleiben aber leider nur angedeutet.

Beharrlich fragt die Autorin nach der Gültigkeit bestimmter Motive rund um das Gothic Girl und ihrer Transformation. So erkennt sie beispielsweise „zwei Erzählstränge“ aus dem 17. Jahrhundert, die bis in die Gegenwart wirken: „das besessene Mädchen, das im Namen der Justiz brüllt und ganze Ortschaften heimsucht, und das entführte Mädchen, das durch eine brutale Heimsuchung noch brutaler eine Restitution einfordert“ (47). Weitere geschichtliche Stationen werden angeführt und im Kontext des Mädchens gelesen: Mit der Unabhängigkeitserklärung 1776 stabilisierten sich sowohl die nationale Identität, als auch baulich die bis dato charakteristische fragile Hütte – Cabin in the Woods – in der die ersten europäischen SiedlerInnen gewohnt hatten (56). Insofern äußere sich die Individualisierung des Rechtssystems im Status des – scheinbar autonomen – US-amerikanischen suburbanen Einfamilienhauses. Als „prototypischer US-amerikanischer Schauplatz juristischer Dramen“ (ebd.) manifestiert sich die Emanzipation der einstigen Kolonie vom gotischen englischen „Muttergenre“ architektonisch: von der aristokratischen Schlossruine hin zum viktorianischen Einfamilienhaus in den nördlichen Bundesstaaten sowie zum Familienanwesen auf den von Rassismus geplagten Südplantagen (ebd.). Auffallend ist hierbei Brauns psychoanalytische Charakterisierung dieser Häusertypen als „disfunktional“ (57), heimgesucht durch den gewaltvollen Umgang mit indigenen Bevölkerungsschichten und animiert durch „mediale Körper“ (55) der Mädchen und Frauen. Eindrucksvoll zieht Braun auch hier wieder den juristischen Bogen, denn heimgesucht werden ebenso die Ehe- und Mietverträge. Sich weiter auf die Gegenwart zubewegend erkennt die Autorin einen Zusammenhang zwischen dem Wachstum moderner Großstädte und deren zunehmender Konflikte um 1850 auf der einen, sowie einer höheren Empfängnisbereitschaft der Bevölkerung für spirituelle Erklärungsmodelle auf der anderen Seite; Mädchen sind ihrer Argumentation nach auch hier zentrale Akteurinnen in dieser „übersinnlichen Kommunikationsschleife“ (72).

Braun spaltet ihr All-American-Gothic Girl, um es gleich wieder zu synchronisieren. Sie positioniert das ermittelnde Terror Girl genealogisch und zeitlich vor dem gesuchten Horror Girl, meist Mutter oder geschiedene Frau (39); rachsüchtig und medienbewusst hat das Horror Girl in vielen Erzählungen einen Migrationshintergrund (121). Während das Horror Girl anklagt und Beweise gegen den Gothic Villain findet, sorgt das Terror Girl auf Basis dieser Beweise für Recht und Ordnung im Haunted House (40). Die dialektische Wirkung beider Mädchen jedoch mündet in einer Synthese: Das „Gerechtigkeit einfordernde Mädchen“ bekommt in Film und Literatur des 21. Jahrhunderts einen ambivalenten Beigeschmack, denn das Gothic Girl, ein Konglomerat aus Terror und Horror Girl (120), handelt nun im Sinne der Selbstjustiz, mit nebulösem Rechtssinn und wohlwissend über die (gesetzliche) Lage der Republik: es wirft „mit Referenzen und Querverweisen nur so um sich“ (120).

Die Möglichkeit einer autobiografischen Rezeption ist in den Befragungen an der Türschwelle angelegt. Die Autorin, selbst heimgesucht von American Dreams, macht sich transdisziplinär (33) und dissoziativ (32) fotografisch auf die Spuren des mit eben jenen Zügen charakterisierten Mädchens. Die sich durch den Band ziehende Fotostrecke zeigt zum einen Collagen des untersuchten Bildmaterials, zum anderen die Autorin im Nachthemd die Türschwellen von Einfamilienhäusern, die Prunksäle von Luxushotels und Orte der Filmindustrie betretend. Durch das Fehlen von Bildunterschriften bleibt bewusst unklar, um welche konkreten Orte es sich handelt. Braun bezieht die heikle Position einer migrantisch durch die anglo-amerikanischen Kulturwissenschaften geisternde Ermittlerin, die narrative Spuren filmischer und literarischer Materialien hinsichtlich der Mädchenfigur einer „symptomatischen Lektüre“3 unterzieht. Trotz vielfältiger zeitlicher Verweise geht Braun sparsam mit historischen Quellen um, als wäre die US-Geschichte aus einem medial-politischen Unbewussten gespeist. Die Heimsuchung des Mädchens bringt es dazu, zu „ermitteln“: Die einst kleine Magd, die in der Etymologie des Mädchens steckt und sich zwischenzeitlich in die freche Göre, das Girl, verwandelt hat, befindet sich nun in der Hauptrolle (18) und erahnt Ereignisse. Welche Art des Detektivischen beschwört die Autorin hier? Scheinbar weniger jene der rein rationalen Analyse, als jene der hysterischen Eingebung, des halluzinatorischen Orakels, in dem sich Affektives und Argumentatives mischt.

Methodisch vermengt sich an mancher Stelle die beschriebene Vorgehensweise der realen und fiktiven Mädchen als Agentinnen des Justizsystems mit der Vorgehensweise der Autorin, die als Interessenvertreterin die Praktiken der „heimsuchenden und heimgesuchten Mädchen“ (ihrer „Kolleginnen“) durch „das dekonstruktive Lesen des Gesetzestextes“ (126) zu unterstützen gedenkt. Wesentlich, um den Stil des hier besprochenen All-American-Gothic Girl zu beleuchten, sind auch die von der Autorin gewählten Präsentationsformate: Braun machte ihre Dissertation erstmals in Buchform im Rahmen einer gespenstischen Lesung im Depot in Wien im Juni 2017 publik. Seither wurde ihre Monografie auf der Frankfurter Buchmesse sowie der Kunsthalle Wien im Format der „Störung“ vorgestellt, indem sich Braun medial aus Los Angeles dazu schaltete. Diese performativen Aktivierungen zeichnen das Werk in seiner interdisziplinären Dimension besonders aus; zudem steckt in diesem ein Plädoyer für den stärkeren Einbezug juristischer Fragestellungen in medientheoretisch-kulturwissenschaftliche Ansätze zur Spektralität.4 Nicht zuletzt unternimmt Braun eine positive Umkehrung der Freud‘schen Konnotation der Hysterikerin; das Mädchen wird zur äußerst begehrenswerten Subjektivierungsform: Es ist wandlungsfähig, unberechenbar und bewegt sich auf Augenhöhe mit dem Gesetz, das es gegenwartsdiagnostisch durch interruptions beeinflusst.


Johanna Braun
All-American-Gothic Girl
Wien: Passagen Verlag 2017
216 Seiten, zahlreiche Abbildungen

1 Dies ist der Festtagung Stimme als Voice & Vote zu Ehren des 60. Geburtstages von Diedrich Diederichsen im November 2017 an der Akademie der bildenden Künste Wien entlehnt.

2 Während aus einer mitteleuropäischen Sicht „Gothic“ konventionell eine Stil-Epoche der Architektur bezeichnet, zeigt Braun, dass der Begriff in einem US-amerikanischen Kontext historisch und juristisch umfangreich beladen wurde und noch immer ein produktiver Begriff ist. Die erwähnte Mehrbödigkeit von Genre (26), Gender (28), Mode (30) und Law (33) ist ein wesentlicher Ankerpunkt Brauns Arbeit.

3 Diese Methode geht auf Louis Althusser und sein Werk Das Kapital lesen aus 1972 zurück.

4 Der Begriff der „Spektralität“ folgt der Verwendung in der Publikation Maria del Pilar Blanco/Esther Peeren (eds.), The Spectralities Reader. Ghosts and Haunting in Contemporary Cultural Theory, Bloomsbury 2013. Die kritische Figuration der „Hauntology“ – zwischen haunting und ontology – zur Beschreibung einer Dimension jenseits der Pole ab- und anwesend geht zurück auf Jacques Derrida, Marx’ Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt am Main 2003.

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Begegnung mit einem Phantom

Was hätte Virginia Woolf zur heutigen Situation der Frauen im sogenannten Westen gesagt? Und was zur feministischen Theorieproduktion, die unter anderem aus A Room on One’s Own1 Inspiration bezog? Die Philosophin und Künstlerin Meike Gleim gibt ihren Spekulationen einen diskursiven Rahmen, indem sie eine schier unmögliche Begegnung sprachlich Wirklichkeit werden lässt. Zumindest in den Köpfen der Lesenden findet das Gespräch zwischen ihr und der Schriftstellerin Virginia Woolf2 ‚wirklich‘ statt: Als Gesprächsprotokoll angelegt, das aus Gleims Perspektive erzählerisch präsentiert und kommentiert wird, lädt sie ein, die Entwicklungsgeschichte der Frauenbewegung in Gedanken ‚Revue passieren zu lassen‘ und deren Status quo unter dem Eindruck eines ‚kognitiven Kapitalismus‘3 zu denken. Das als ungeplant inszeniertes Aufeinander- und Zusammentreffen der beiden Frauen – ihr Altersunterschied beträgt 90 Jahre – ist Rede und Gegenrede, ein Frage-Antwort-Spiel und Streitgespräch gleichermaßen. Es geht von imaginierten Körpern und ausgewählten Ideen aus, lässt Austausch und einen Möglichkeitsraum entstehen. Die beiden Frauen haben einander fest im Blick, so ein Leseeindruck; ein Gespräch zwischen den Zeilen: entre-vue. Denn was Meike Gleim interessiert, ist der Blick auf das Dazwischen und das, was fraglich und ambivalent bleibt. Oder um den Authentizitätseffekt von direkten Zitaten zu bemühen: „Es geht mir um das, was zwischenmenschlich passiert, was uns durch die Finger gleitet“4, so Gleim. Dass sie sich für Formen des Gesprächs und im Zuge dessen nicht zuletzt auch für Interviews interessiert, um mithilfe der materiellen und sprachlichen Bedingungen und Konventionen, die diese vorgeben, feministische Belange zu verhandeln, ist – mit einem Blick auf ihre künstlerische und wissenschaftliche Arbeit seit den 1990er Jahren – weder ein Novum noch zufällig: Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter5 ist insbesondere während ihrer ‚Anfangsjahre‘ im Kunstbetrieb unentbehrlicher theoretischer Referenzpunkt für Gleim.6 Mit der Herausgabe einer adaptierten Version des von José Pierre herausgegebenen Bandes Recherchen im Reich der Sinne. Die zwölf Gespräche der Surrealisten über Sexualität7 schließt Gleim ihr Kunststudium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien ab.8 Das Besondere daran: Unter aktiver Einbringung befreundeter Künstlerinnen9 verlegt Gleim darin die ursprünglich zwischen 1928 und 1932 geführten Salongespräche kurzerhand in die 1990er Jahre und schreibt diese im Hinblick auf eine feministische Perspektive hin um beziehungsweise neu. Eine Gruppe an Frauen ermächtigt sich der Parolen der Grands Monsieurs und ersetzt diese durch ihre eigenen Lesarten von Geschlecht, Sexualität und Kunst. In der Videoarbeit Nachgefragt ohne Pardon wiederum versagt eine Künstlerin darin, sich in einem fiktiven TV-Interview karrierefördernd darzubieten: Allein ihr ungleich erfolgreicherer Ex-Mann, wohlgemerkt ebenso Künstler, ist für die Kulturjournalistin von Interesse, was das Bemühen, die eigene künstlerische Arbeit abseits von biografisch motivierter Interpretation in den Vordergrund zu rücken, rasch zu einem Sisyphus-Unterfangen werden lässt.10

Alle diese Begegnungen, die sich in diesen Arbeiten nicht nur auf Papier oder als binärer Code beziehungsweise Bewegtbild, sondern durch den Akt der Rezeption auch in den Köpfen der Lesenden und Sehenden abspielen, reklamieren den Akt des Aufeinandertreffens von Körpern, Stimmen, Aussagen als Angelpunkt der künstlerischen Arbeit. Qua Gesprächs- und Interviewformat schafft Gleim Situationen, in denen sich Entwicklung und im weitesten Sinne Handlung durch Dialog oder auch Missverstehen, jedenfalls aber durch mündlich oder schriftlich angelegte Sprechakte vollziehen. Daraus resultierend wird die Aufmerksamkeit auf die, dem Wortsinn nach, zwischenmenschlichen Dynamiken zwischen den Beteiligten und ihr Verhältnis zueinander gelegt. Es sind die Zwischenräume des Gesagten, die Gleim hier genauso wie die Frage nach den Bedingungen, nach dem bedeutungsgebenden Rahmen von Sprechen und Gesprochenem auslotet.

Die sogenannte Eigendynamik des Gesprächs zwischen Meike Gleim und Virginia Woolf ist freilich durchkomponiert, hier wurde nichts dem Zufall überlassen. Schon allein die Auswahl der Figuren (die mitnichten zur selben Zeit leben oder gelebt haben könnten) exponiert die Fiktionalität von Beginn an – mit der Konsequenz, dass jeglichem Anschein von Echt- und Glaubwürdigkeit flugs der Boden entzogen wird.11 Ein Gespräch nachzulesen bedeutet durch den zeitlichen Abstand zwischen Ereignis und Dokumentation und die Überführung ins Medium der Schrift, die mit dieser zusammenhängt, eine Geste der Distanznahme und damit einen kräftigen Schritt weg von Unvermitteltheit, oder besser: die Suggestion von nicht einholbarer Unvermitteltheit.

Doch um welche Rollen handelt es sich hier? Die beiden Figuren kreisen um Gegensätze wie Wissen und Nichtwissen, was sich klar abzeichnet, wenn Gleim ihre Macht mithilfe von Theoriereferenzen demonstriert oder Woolf etwa besonders erstaunt reagiert: Der Druck der ungelesenen Bücher bringt Woolf beinahe zum Verstummen. Wer Butler und Simone de Beauvoir nicht gelesen hat, kann nicht mitreden und das nicht nur in der Academia. Lektüre als Ausschlusskriterium gilt auch hier im Schreibzimmer: eine Konvention, die die (nicht minder politische) Privatheit einer persönlichen Begegnung durchdringt und den Vollzug von Kontaktaufnahme entscheidend mitbestimmt. Die Konstitution der/s Anderen mitsamt der darin inbegriffenen Implikationen von Macht – Geschlecht, Status, Alter – wird hier nachvollzieh- und analysierbar gemacht: Auf der einen Seite ist da Virginia Woolf, Idol der Frauenbewegung, durch ihre Wiedergeburt als Phantom in die Situation gebracht, nicht mehr ‚mitreden’ zu können, und auf der anderen Seite Meike Gleim, die ihre Thesen durch Woolfs Konterpart formulieren und infolge auch aussprechen, zu einer Art Bekenntnis werden lassen kann. Im Austausch miteinander, im Akt des Einübens erhalten Rollen und ihre asymmetrische Beziehung zueinander überhaupt erst ihre Gestalt und evozieren nicht zuletzt aufgrund des Kontextes, in den sie eingebettet sind – der Gesprächssituation nämlich – jenen Unmittelbarkeitseffekt, der auch für Interviews im engeren Sinne bezeichnend ist. En gros ist es doch Gleim, die den Ton angibt und ihre Thesen nicht zuletzt deshalb ausführen und entwickeln kann, da sie mit Virginia Woolf eine geduldige Zuhörerin entworfen hat. Die ihr zugeordnete Rolle des Phantoms ist nicht zuletzt auch eine, aus der sie per se nicht für sich selbst sprechen kann. Nun: Was hätte Virginia Woolf dazu gesagt? Am Ende des Tages wissen wir es nicht. So wie die historische Virginia Woolf in diesem Zwiegespräch eine abwesende bleibt, wird auch in den restlichen genannten Arbeiten Gleims auf Abwesende verwiesen: In der Wiederaufnahme der Surrealisten-Gespräche oder in Nachgefragt ohne Pardon sind es die Männer, die – unwiederbringlich Teil des Systems – dieses auch als Abwesende noch bestimmen und konfigurieren.

Der Umstand, dass Gleim die direkten Reden durch ihre erzählerische Perspektive rahmt und Woolf sozusagen ‚beim Wort nimmt‘, weist Woolfs Handlungsspielraum klar in die Schranken. Und ebenso unmissverständlich wird uns dies in diesem Gespräch, das nie stattgefunden haben kann, aber sich doch ereignet (hat), vorgeführt – eingedenk der Überzeugung, dass auch das, was sich zwischen den Zeilen eines Gespräches abspielt, nie ganz ausbuchstabiert und erklärt werden kann: „Die Gespräche haben eine Eigendynamik, die parallel zu den inhaltlichen Themen der Gespräche eine weitere Ebene einschieben. Eine Ebene, die sich trotz vorsätzlichem Bemühen nicht zur Gänze analytisch fassen lässt.“12 Umso eindringlicher erschließt sich anhand dieses Gesprächsauszugs aber, inwiefern die Form des Gesprächs und seine Inhalte – hier ein Einblick in die historische Entwicklung der Frauenbewegung – einander wechselseitig bedingen und hervorbringen. Gleim stellt zur Diskussion ob das Wie der Präsentation von Inhalten entscheidend ist. Die in Gesprächen und Interviews wirkenden Herrschaftsverhältnisse sind, so ließe sich schließen, diesem Wie bereits eingeschrieben.


1 Virginia Woolf, Ein Zimmer für sich allein, Stuttgart 2012.

2 1882 geboren in Kensington, 1941 gestorben in Lewes.

3 Unter der Bezeichnung ‚kognitiver Kapitalismus‘ werden international gegenwärtige Produktionsweisen diskutiert, die Kreativität, Erfindungskraft und Wissen als zentrale Ressourcen ansehen. Vgl. hierzu Isabel Lorey/Klaus Neundlinger (Hg.), Kognitiver Kapitalismus, Wien 2012.

4 Aus einem Gespräch der Autorin mit Meike Gleim am 13.02.2018.

5 Judith Butler, Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity, New York u. a. 1990; Dt. Ausgabe: Das Unbehagen der Geschlechter. Aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke, Frankfurt am Main 1991.

6 Vgl. Meike Schmidt-Gleim, Subversion in Ketten: zum Verhältnis von Hegemonie und Widerstand in “Das Unbehagen der Geschlechter” von Judith Butler. Wien 1998.

7 José Pierre (Hg.), Recherchen im Reich der Sinne. Die zwölf Gespräche der Surrealisten über Sexualität, 1928-32. Aus dem Französischen von Martina Dervis, München 1993.

8 Recherchen im Reich der Surrealisten wurde gemeinsam mit Arbeiten von Maria Hahnenkamp und Dagmar Trampisch im Rahmen der Gruppenausstellung „I will always, die“, kuratiert von Hemma Schmutz, präsentiert und als Teil der Ausstellungsreihe Experiment 5 (05.07.–26.08.2001) in der Wiener Secession gezeigt, http://www.secession.at/art/2001_experiment5_e.html [09.11.2015].

9 Anna Artaker, Agnes Barley, Heidrun Holzfeind, Ruth Kaaserer, Lilli Kern, Ulrike Müller, Eva Nowotny, Wally Salner, Anne Schneider, Jutta Strohmaier, Carola Platzek, Sigrid Pohl.

10 Ein Auszug dieses gefilmten Interviews erschien 1995 in schriftlicher Form in einer Sonderausgabe der Wiener Kunstzeitschrift „Vor der Information“, welche jene Ausstellung im Salzburger Kunstverein begleitete, in der Gleim 1995 die Videoinstallation „Nachgefragt ohne Pardon“ zum ersten Mal präsentierte. Bewusst wird in „Vor der Information“ eine Art Illustrierten-Ästhetik suggeriert, ein Künstler-als-Celebrity-Interview, das aus der optischen Aufmachung der restlichen Seiten der Zeitschrift klar herausfällt. „Vor der Information. Zeitschrift für Kunst, Film, Theorie und Politik“ existierte mit Erscheinungsort Wien zwischen 1994 und 2000 und wurde als künstlerisches Medienprojekt von Jo Schmeiser in Zusammenarbeit mit Gabriele Marth, Antke Engel, Johanna Schaffer, Chaz Pigott, Octavian Trauttmansdorff, Jane Heiss, Richard Ferkl und Simone Bader herausgegeben. An der dazugehörigen Ausstellung „Kunstbetrieb. What am I doing here?”, kuratiert von Silvia Eiblmayr, nahmen neben Gleim folgende KünstlerInnen teil: Uli Aigner, Artfan, Bernhard Cella, Robert Jelinek, Kai Kuss, Karl Leitgeb, Dorit Margreiter, Gerhard Paul, Octavian Trauttmannsdorf sowie die Gruppe „Vor der Information“.

11 „(D)as sogenannte Authentische, das Unmittelbare von Interviews und Gesprächen in Frage (zu) stellen“ ist ebenso Gleims Bemühen wie „die Annahme, der befragten Person im Gespräch wirklich nahe zu kommen und nicht nur ein Bild oder eine Rolle von ihr“ mit einem Fragezeichen zu versehen. Gespräch der Autorin mit Meike Gleim am 13.02.2018.

12 Gespräch der Autorin mit Meike Gleim am 13.02.2018.

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