„Florian, why do you still have a studio?“

Ein Gespräch mit dem Wiener Konzeptkünstler Florian Pumhösl

Atelier von Florian Pumhösl

Das Atelier ist den alltäglichen Lebenszusammenhängen insofern enthoben, als dass sich Vorstellungsbilder daran knüpfen, die es als Wirkungsstätte des Künstlerischen ausweisen. Erwartungen und Klischees stilisieren den Arbeitsort des Künstlers zu einem Kultraum der Originalität, in dem der Arbeitsprozess einem Schöpfungsakt gleichkommt. Somit ist das Atelier nicht nur ein Ort, an welchem künstlerische Impulse ausgearbeitet werden, sondern auch symbolisch aufgeladener Topos.[1] Auf den Spuren dieser mythischen Aufladung ergab sich im Rahmen einer Lehrveranstaltung die Gelegenheit, den Konzeptkünstler Florian Pumhösl in seinem Atelier zu besuchen.[2] Das Vorgefundene entsprach nicht dem klassischen Bild der Künstlerwerkstatt. Vielmehr erweckte das Studio den Eindruck eines Büros und auch die Inaugenscheinnahme aktueller Arbeiten war nicht möglich. „Ich habe ein straßenseitiges Atelier. Das bedeutet, dass Dinge raus sollen und nicht rein“, erklärte Pumhösl schmunzelnd. Die Struktur des Raumes legt die Assoziation mit einem Denkgehäuse nahe, von dem aus Ideen nach draußen strömen. Somit wird deutlich, dass neue künstlerische Verfahren sichtlich Erfordernisse und Beschaffenheit des Ateliers verändert haben.[3]

Ein Atelier dient nicht nur der bohèmienhaften Imagesetzung, die den Künstler mit den äußeren Prädikaten eines Künstlerdaseins ausstattet, die Außenwirkung kann die Inszenierung des Künstlersubjekts lenken und zur Legendenbildung beitragen, denn das Bild der Künstlerwerkstatt ist eng verwoben mit der Vorstellung vom Künstlertum selbst. Geistesund ideengeschichtlich lassen sich solche Annahmen, Ideen und Motive aus langfristigen Entwicklungen ableiten, den historischen Rahmen bilden grundlegende Veränderungen auf dem Gebiet der künstlerischen Produktion. Nachdem im 18. Jahrhundert höfische Auftraggeber und Mäzene zunehmend an Bedeutung verloren, ein moderner Kunstmarkt entstand und damit auch eine wachsende Bedeutung des Publikums und bürgerlichen Auftraggebers einherging, geriet das Künstlersubjekt in die Rolle des sozialen Außenseiters. Antibürgerlichkeit wurde zum Markenzeichen und die Herstellung eines Kunstwerkes im Atelier und außerhalb der bürgerlichen Konventionen zu einer gezielt gesetzten Handlung, die eine künstlerische Gegenwelt herstellt. Das Atelier wird zum Kunstraum und nimmt eine Sonderstellung ein: Einerseits Ort privater Abgeschlossenheit, ist es andererseits auch ein Platz potentieller Öffentlichkeit. Diese Schnittstelle zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, Lebens- und Arbeitsraum setzt die Künstlerwerkstatt ins Zentrum eines Geflechts aus Künstler, Werk, Arbeitsprozess und Öffentlichkeit und ermöglicht es, davon ausgehend interessante Fragestellungen zu eröffnen.[4]

KATRIN MIGLAR: Nachdem wir heute die Gelegenheit haben, in Ihrem Atelier sein zu können, würden wir Sie insbesondere dazu befragen wollen, welchen Stellenwert ein Atelier für einen zeitgenössischen Künstler haben kann. In der Literatur stößt man eher auf den postmodernen Anspruch der Künstler, den Atelierraum zu verlassen. Deswegen die Frage: Welche Bedeutung und Relevanz kann ein Atelier noch haben und inwiefern ist Ihre künstlerische Tätigkeit an diesen konkreten Ort gebunden?

FLORIAN PUMHÖSL: Ich würde unterscheiden zwischen der symbolischen Komponente des Ateliers und der Notwendigkeit des Ateliers. Die symbolische Komponente des Ateliers interessiert mich wenig, die Notwendigkeit interessiert mich sehr. Erstens glaube ich – aber das ist auch sehr temperamentabhängig – es ist wichtig in einem Raum zu sein, in dem ich die Konzentration finde und die Umgebung, wo mich Dinge nicht substanziell stören. Für mich hat sich die Notwendigkeit des Ateliers ergeben. Bei einer Podiumsdiskussion habe ich gewitzelt, ich bin ein Roboter, der versucht, im Atelier sich selbst auszutricksen. Dann hat ein Kollege, ein honoriger Konzeptkünstler namens John Knight gesagt: „Florian, why do you still have a studio?“ Ich fand das sehr sympathisch. Für diese Generation war es wichtig mit diesem Nimbus zu brechen. Michel Asher und John Knight, die wirklich wichtige Figuren der konzeptuellen Kunst sind, haben sich sehr stark als non-studio artists verstanden mit dem Effekt, dass sie jetzt in ihren Häusern Hals über Kopf in ihren Archiven stecken. Das sind praktische Notwendigkeiten. Ich habe bis vor einigen Jahren ein größeres Arbeitszimmer in meiner Wohnung gehabt und das war mir auch sehr angenehm bis zu dem Zeitpunkt, wo regelmäßig Leute mitgearbeitet haben. Das ist auch eine der Notwendigkeiten ein Studio zu haben.

KATRIN MIGLAR: Sie haben direkt den symbolischen Gehalt vom praktischen Aspekt getrennt. Glauben Sie wirklich, dass der Topos des Ateliers gestorben ist, diese mythische Dimension, wenn man sich im Atelier des Künstlers aufhält, wo man quasi dem künstlerischen Schaffensprozess hautnah sein kann? Hat das für uns heute keine Bedeutung mehr?

FLORIAN PUMHÖSL: Das glaube ich nicht. Ich sehe, dass es für viele Leute eine Bedeutung hat. Mich wundert es auch zum Teil ein bisschen. Ich sage den Leuten: Wissen Sie, dass mein Atelier der Ort ist, an dem Sie am aller unwahrscheinlichsten eine Arbeit von mir sehen werden? Es gibt Sammler oder mäzenatische Gruppen und es gibt diesen Nimbus des Studio Visits, wo man denkt, man könne die Arbeiten schon vor der Ausstellung sehen. Das ist für mich sehr schwierig, gerade wo es um Verräumlichung geht oder Installationen und Filme. Ich kann hier nicht auch noch ein Kino haben.

Atelier von Florian Pumhösl

KATRIN MIGLAR: Das Atelier kann also nicht nur private Abgeschlossenheit sein, sondern erlaubt auch öffentliche Präsentation. Lässt sich damit auch eine Repräsentation, eine Selbstinszenierung oder ein Image gestalten?

FLORIAN PUMHÖSL: Nein. Als Imagesache sehe ich es nicht. Ich habe es gern, wenn Leute da sind, aber zur Repräsentation ist es mir nicht wichtig.

JULIA GELSHORN: Das hängt auch von der Art der Kunst ab, die man macht. Wenn hier nichts zu sehen ist, verliert es genau diese Bedeutung.

KATRIN MIGLAR: Dann kann man sagen, dass durch die Ausweitung des Werkbegriffs auch das klassische Atelier sich verändert hat. Ich weiß nicht, ob ich jetzt nicht zu weit gehe, wenn ich die Verbindung ziehe, dass der Bedeutungsverlust des Ateliers anzeigt, dass sich auch das Künstlersubjekt als solches verändert hat.

FLORIAN PUMHÖSL: Ja, das glaube ich wohl auch.

KATRIN MIGLAR: In meinem Kopf existiert die Vorstellung vom einsamen Künstler, der in Abgeschiedenheit verzweifelt an seinem Werk bastelt.

FLORIAN PUMHÖSL: Das ist schon so.

KATRIN MIGLAR: Der Künstler als Intellektueller und Kritiker hat eine Rolle im gesellschaftlichen Gefüge. Wenn Künstlerpersönlichkeiten aus dem Atelier hinausgehen und aktiv in die gesellschaftlichen Vorgänge eingreifen, partizipieren sie dann auf diese Weise?

FLORIAN PUMHÖSL: Ich bin immer relativ skeptisch, wenn es um Berufsbilddiskussionen geht. Das beobachte ich seit zwei Jahrzehnten, dass es ständig um die Normalisierung des Künstlerbildes geht. Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich muss weder ein Architekt sein noch ein Politiker. Ich finde, man kann in der Kunst all das verhandeln. Es ist ein Raum auf den wir uns geeinigt haben, wo alle diese Dinge Platz haben, aber das bedeutet nicht, dass ich mir als Künstler jede Woche ein neues Rollenbild suchen muss. Ich kann mich auch kunstimmanent mit solchen Fragen befassen. Ich kann auch als Künstler einen politischen Anspruch haben. Mich interessieren diese Rollenbilddiskussionen nicht, ob der Künstler ein Forscher oder ein Architekt ist oder was immer. Das sind Ablenkungsdiskussionen. Letztlich geht es darum, ob einem etwas Relevantes gelingt und was immer man dafür tun muss, muss man halt tun.

JULIA GELSHORN: Das scheint eine gewisse Diskursmacht zu sein, gegen die man sich in der Praxis wehren muss beziehungsweise die man ignorieren muss. In diesem Sinn wird immer wieder die Frage gestellt, wo die zeitgenössische Kunst im gesellschaftlichen Zusammenhang steht. Es ist durchaus ein Statement, wenn du sagst, die Kunst sei ein mit Autonomie ausgestatteter Bereich (der Begriff Autonomie ist natürlich weit), der in Wechselwirkung steht mit gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen, aber doch eine autonome Schaffenszone ist. Es geht dann letztlich auch darum etwas herzustellen und auch das ist in großen Kunstrichtungen in Frage gestellt worden.

FLORIAN PUMHÖSL: Ein Werk muss ja auch nicht hergestellt werden. Das hat man ja auch durchaus bewiesen in der konzeptuellen Kunst, dass das Werk auch im Sichtbarmachen von Relationen liegen kann.

JULIA GELSHORN: Ja klar, aber trotzdem ist es was anderes, ob ich Sozialarbeiter werde oder ob ich auch aus formalen Problemen heraus etwas entwickle, das in unterschiedlichste Medien einfließen und ganz unterschiedliche Themen betreffen kann.

FLORIAN PUMHÖSL: Auf der einen Seite finde ich, dass der Freiraum der Kunst genutzt wird, um sozusagen eine Feigenblattfunktion zu haben, das heißt, wenn man die Sozialarbeit in der Kunst erledigen kann, muss man sie in der Gesellschaft nicht mehr erledigen. Wo ich aber schon Recht geben würde, mit dem modernen Kunstbegriff, dieser Raum der Autonomie ist schon wohl verhandelt. Der hat schon auch einen Sinn.

KATRIN MIGLAR: Die Kunst wäre demnach also auch ein Reservoir für all jene Dinge, die im alltäglichen Leben nicht möglich wären.

FLORIAN PUMHÖSL: Ich suche in der Hinsicht auch überhaupt nicht nach einer Funktion. Es braucht keine Legitimation, es soll es nur geben. Man muss keinen Grund dafür finden, es soll es einfach nur geben.

CLARA KUCHAR: Was ist Ihre Motivation, sich mit Kunst zu beschäftigen?

FLORIAN PUMHÖSL: Eine Grundmotivation ist, dass ich immer wieder von Kunst angezogen werde, dass ich sie gern anschaue und dass sie mir immer wieder Dinge aufgibt. Ich finde, es ist sehr profitabel, mit Kunstwerken und mit deren Auseinandersetzung zu leben, weil sie einem immer auch Dinge eröffnen, weil sie eine Möglichkeit der Erfahrung sind, die doch eine hohe Flexibilität hat und einen immer wieder überrascht. Was auch eine Motivation ist, dass Kunst keine alltägliche Beschäftigung ist. Sie funktioniert anders als Medien oder Alltag. Das ist eine gewisse Sehnsucht, die man hat. Dass es etwas gibt, das außerhalb von konventioneller Sprache existiert und auch im Stande ist, eine gewisse Komplexität zu repräsentieren.

CLARA KUCHAR: Wie politisch darf ein Künstler sein? Wie beeinflusst die Politik das Werk eines Künstlers?

FLORIAN PUMHÖSL: Das sind gute Fragen. Wie politisch darf ein Künstler sein? Wir leben in einer sehr luxuriösen Situation, was das betrifft. Nicht alle haben die Möglichkeit, das selber festzulegen. Wir dürfen so politisch sein, wie wir es eben in unserer krisengebeutelten, nicht immer vorwärtsgerichteten kleinen Demokratie sein dürfen. Das lege auch nicht ich fest. Wenn ich mich dadurch beschnitten fühlte, würde ich es wahrscheinlich sagen. Ich glaube, es ist ein Fehler zu fragen, wie die Politik das Werk eines Künstlers beeinflusst. Es ist nicht produktiv von der Politik und der Kunst auszugehen. Es ist immer interessanter solche Einflussnahmen im Einzelnen zu untersuchen. Die Kunst bildet politische Situationen und auch einen gewissen Zeitgeist ab, daraus kann man auch zum Teil schließen, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Wenn ich auf eine Kunstmesse gehe und ich sehe kleine Aquarelle, Porträts von Millionären und sehr mächtigen Leuten und ich stelle fest, dass das viele Leute interessiert, dann kann ich sagen, das ist schon ein Zeitbild. Das nächste ist der Begriff der Kreativität. Das ist etwas, was ich in Frage stelle. Es gibt bestimmte Eigenschaften und Wahrnehmungen, denen man folgen kann. Die Kreativität ist nichts, was ich genuin oder körperlich hervorbringe, sondern es kommt aus einer spezifischen Situation. Es kommt auch sehr stark aus der Zeit. Für mich macht die Zeit eine Arbeit, nicht unbedingt die Möglichkeit, etwas sofort aufs Papier zu bringen. Wie lange kann ein Gedanke reifen und sich auch mit anderen Erfahrungen verbinden. Irgendwann gibt es die Möglichkeit, das in einer Arbeit zu artikulieren.

JULIA GELSHORN ist seit April 2010 Professorin für Neueste Kunstgeschichte und Kunst
der Gegenwart am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien.
CLARA KUCHAR studiert Kunstgeschichte in Wien.


[1] Vgl. Michael Diers/Monika Wagner (Hg.), Topos Atelier: Werkstatt und Wissensform, Berlin 2010.
[2] Gespräch im Rahmen der Lehrveranstaltung „Kunstszene Wien – Räume, Institutionen, Akteure“, Institut für Kunstgeschichte, Universität Wien, Prof. Dr. Julia Gelshorn, Wintersemester 2010/11. Das Interview führten Clara Kuchar, Katrin Miglar und Krisztina Pauer.
[3] Vgl. Sabine Breitwieser (Hg.), Designs für die wirkliche Welt, Katalog der Generali Foundation, Wien 2002 sowie Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (Hg.): Florian Pumhösl. 678 (Kat.), Beitr. von Eric de Bruyn, Jaleh Mansoor & Matthias Michalka. Interview von Matthias Michalka, Wien 2011.
[4] Vgl. Verena Krieger, Was ist ein Künstler? Genie, Heilsbringer, Antikünstler. Eine Ideen- und Kunstgeschichte des Schöpferischen, Köln 2007 sowie Verena Krieger: Sieben Arten, an der Überwindung des Künstlersubjekts zu scheitern. Kritische Anmerkungen zum Mythos vom verschwundenen Autor, in: Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, Martin Hellmold (Hg.), München 2003, S. 117 – 148.

Quellennachweis: Katrin Miglar, „Florian, why do you still have a studio?“. Ein Gespräch mit dem Wiener Konzeptkünstler Florian Pumhösl, in: ALL-OVER, Nr. 1, Juli 2011. URL: http://allover-magazin.com/?p=427.

Katrin Miglar studiert Kunstgeschichte und Germanistik in Wien.
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