1962 veröffentlicht Clement Greenberg in Art International einen Essay, der bereits durch seinen Titel – After Abstract Expressionism – eine Zäsur im modernistischen Diskurs markiert.[1] In dem kontrovers diskutierten Aufsatz macht der wohl einflussreichste Kritiker der US-amerikanischen Nachkriegszeit einen neuen Trend in der zeitgenössischen Malerei aus. Dabei stützt er seine Ausführungen auf die Prämisse, dass künstlerische Stile kontinuierlich und gemäß einer Progressionsreihe verlaufen. Einem solchen kulturevolutionistischen Denken verpflichtet, versucht Greenberg, der in seiner ungleich bekannteren Schrift Modernist Painting die „Flächigkeit“ („flatness“) zum Zeichen einer selbstreflexiven, modernen Malerei gemacht hatte, die Nachwirkungen des Abstrakten Expressionismus auf die jüngere Generation von Künstlern zu skizzieren.[2] Warum Greenberg, der als einer der ersten Jackson Pollocks Malerei des „All-Over“ als genuin amerikanische Malerei propagierte, nun die Farbfeldmalerei eines Morris Louis favorisiert, soll im Folgenden anhand zentraler Textpassagen nachvollzogen werden. Im Fokus steht dabei ein von der Forschung bisher kaum beachteter Begriff, der für Greenbergs Praxis als Kritiker jedoch eminent wichtig war: Gemeint ist die sogenannte „Offenheit“ des Bildes, die in seinen Aufsätzen zu einem ästhetischen Qualitätsmerkmal, ja sogar zu dem zentralen Kriterium für die Bewertung von Kunst avanciert.[3]
Der insbesondere in der deutschsprachigen Kunstwissenschaft erfolgreiche Terminus wird in After Abstract Expressionism im Zusammenhang einer schematischen Analyse vorbereitet, in der die Errungenschaften der ersten Generation „abstrakter Künstler“ abgewägt werden.[4] Entscheidend, so Greenberg, war für jene Maler zunächst die Auseinandersetzung mit dem synthetischen Kubismus, den er durch klare Konturlinien, flachen Farbauftrag und durch „geschlossene, mehr oder weniger regelmäßige Formen“ charakterisiert.[5] In einem zweiten Schritt wird dieses feste Kompositionsschema dann durch Anregungen aus dem Surrealismus „aufgelockert“, wodurch sich Greenberg zufolge eine stärker „malerische“ Ausrichtung, eine „new open abstract art in New York“ ergibt.[6]
Greenberg beginnt seinen achtseitigen Essay folglich mit einer klassischen Opposition zweier Begriffe – „geschlossen“ versus „offen“ – und schließt damit an Heinrich Wölfflins binäres Kategorienrepertoire an. So ging Wölfflin, der Wegbereiter einer ,formalistisch‘ orientierten „Kunstgeschichte ohne Namen“, in seinen 1915 zuerst publizierten Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen von fünf sogenannten „Kategorien der Anschauung“ aus. Letztere gebraucht er, in Abgrenzung zur Erkenntnistheorie Immanuel Kants, als Strukturgerüst, um die „Stilentwicklung“ von der klassischen zur barocken Kunst zu untersuchen.[7] Neben dem Begriffspaar der „geschlossenen“ und „offenen“ Form gehört dazu unter anderem auch die Gegenüberstellung von „Linearem“ und „Malerischem“, wobei sich alle katalogartigen Merkmale Wölfflins gegenseitig bedingen. Greenberg, der seinen Begriff der „Offenheit“ bezeichnenderweise ebenfalls aus einem adjektivischen Gebrauch heraus entwickelt, beruft sich explizit auf Wölfflins Grundbegriffe, um dessen für die barocke Kunst entwickelte Kategorie des „Malerischen“ zu übernehmen.[8] Übersetzt als „Painterliness“ wird sie bei Greenberg zu einem weiteren Schlagwort, das er als Charakteristikum der amerikanischen abstrakten Kunst ausmacht. Jedoch – und dies ist für ihn als Verfechter einer unbedingt „flachen“ Malerei der entscheidende Punkt – tendiere diese „malerische Abstraktion“ zu einer dreidimensionalen, „illusionistischen“ Räumlichkeit, die sich aus der Art des sich aufschichtenden Farbauftrages ergebe.[9] Eine Ausnahme bildeten Greenberg zufolge lediglich Künstler wie Still, Newman und Rothko, die der malerischen Tiefenräumlichkeit entsagten, die Farbe selbst zum primären bildnerischen Element machten und dadurch „wahre Offenheit“ („true openness“) erzeugten.[10] Der in diesem Kontext erstmals substantivierte Begriff bezeichnet dabei das „Ziel“ des Malerischen, das jetzt auf seine ihm angeblich wesentlichen Eigenschaften zurückgeführt werden könne. In dieser essentialisierenden Denkbewegung vollzieht Greenberg weiterhin einen Brückenschlag, der die Dialektik zwischen „Malerischem“ und „Nicht-Malerischem“ auflöst, sie in einer Hegelschen Synthese „transzendiert“, um darauf aufbauend eine neue ,modernistische Farbfeldmalerei‘ zu konstruieren.[11]
Grundlegend für dieses dreigliedrige Stufenmodell ist die Annahme, dass sich erst durch jene neue Art des ,flachen Malerischen‘ der endgültige Bruch mit dem Kubismus ereignet. Dabei kommt Clyfford Still in Greenbergs Kunstgeschichte die Rolle des Initiators zu. Denn in seinen Bildern sei erstmals nach den spät-impressionistischen Gemälden eines Monet – in denen er ebenfalls „a new kind of openness“ erkennt – die Malweise des Raum konstituierenden Hell-Dunkels, des Schattierens also, aufgegeben worden (Abb. 1). Stattdessen sind es nun „reine Farbtöne“ („pure hues“), die miteinander kontrastiert werden.[12] Genau dadurch seien die Bilder letztlich als „Farbfelder“ („fields of color“) wirksam geworden, wobei die Farbe – trotz oder eben weil stärker „autonom“ – eine eigene Art der Räumlichkeit entwickeln kann. Diese zeichne sich durch ein „freies Fließen“, einen anscheinend „unendlichen Raum“ aus. Die in den Abschnitten über Still, Newman und Rothko so häufig deklarierte „Offenheit“ der Bilder wird demnach durch die Begriffe des „Feldes“ und des „Raumes“ konturiert. Dabei vermag insbesondere die Idee des Feldes aufgrund ihrer aus der Physik stammenden semantischen Prägung auf ein Kräfteverhältnis hinzuweisen, das sich zwischen Werk und Betrachter entfalten kann. Zentral für eine solche gleichsam dialogische Situation sind deshalb die bildlichen Bewegungsimpulse, die exemplarisch auch an Clyfford Stills baumrindenartigen Faserstrukturen sichtbar werden. Die vertikalen Maserungen, die den äußeren Rahmen innerbildlich verdoppeln, lassen eine periphere Drift und ein Spannungsgefüge entstehen, in dem das Auge zu keinem Zentrum findet. Diese von Greenberg erkannte Strategie der Betrachteraktivierung scheint weiterhin mit der latenten Auffassung des Bildes als Organismus zusammenzuhängen. Erneut könnte hierfür Heinrich Wölfflin vorbildhaft gewesen sein, da für ihn „jedes Kunstwerk ein Geformtes“ und ein „Organismus“ war.[13] So versteht Wölfflin das barocke Bild aufgrund seines Kolorits als einen „atmenden Körper“, der den „ganzen Bildraum“ beweglich macht.[14] Dem entspricht, dass an der Stelle, wo Greenberg 1955 zum ersten Mal vom „Öffnen“ des Bildes spricht, eben dieser Vorgang zu einer Verlebendigung der flachen Leinwand führt und die Farbe zu „atmen“ beginnt:
A concomitant of the fact that Still, Newman, and Rothko suppress value contrasts and favor warm hues is the more emphatic flatness. Because it is not broken by sharp differences of value or by more than a few incidents of drawing or design, color breathes from the canvas with an enveloping effect, which is intensified by the largeness itself of the picture. The spectator tends to react to this more in terms of decor or environment than in those usually associated with a picture hung upon a wall.[15]
Der Verzicht auf farbliche Abschattierungen und die Minimierung graphischer Oberflächengestaltung führen demnach dazu, dass die Leinwand eine atmosphärische Strahlkraft ausübt, die über die Grenzen des Formats diffundiert. Dieses Ausufern des Bildes in den physischen Raum des Betrachters, auch zu verstehen als eine Verschiebung, vielleicht sogar Verwischung der ästhetischen Grenze, schafft für Greenberg implizit ein Gegenmodell zum illusionistischen Raum gegenständlicher Malerei. Dabei gewinnt das Bild eine Eigendynamik und transgressive Qualität, die seine Wirkung, verglichen mit einem traditionell an die Wand gehängten Bild, intensiver erscheinen lässt. Ausgehend von dieser Beobachtung beziehungsweise Erfahrung nimmt Greenberg 1957 eine Neubestimmung des Spätwerks von Monet vor und macht ihn zum Wegbereiter der Abstrakten Expressionisten:
[…] today those huge close-ups which are the last Water Lilies say – to and with the radical Abstract Expressionists – that a lot of physical space is needed to develop adequately a strong pictorial idea that does not involve an illusion of deep space. The broad, daubed scribble in which the Water Lilies are executed says that the surface of a painting must breathe, but that its breath is to be made of the texture and body of canvas and paint, not of disembodied color; that pigment is to be solicited from the surface, not just applied to it.[16]
Folgt man Greenbergs metaphorischer Formulierung, muss sich der „Atem“ aus der Materialität der Leinwand selbst ergeben. Auch deshalb kann es nicht ausreichen, Farben lediglich unvermittelt auf die Leinwand zu setzen, vielmehr müssen sie mit dem Untergrund eine körperliche Einheit bilden.[17]
Dieses organistische Bildkonzept wird drei Jahre später radikal modifiziert und zugespitzt auf die Sphäre des Visuellen. Nicht zufällig sind es dabei Morris Louis’ Bilder, welche durch das Gießen sehr flüssiger Acrylfarbe auf die rohe, am Boden liegende Leinwand entstanden, die 1960 die Greenbergsche Umorientierung begleiten (Abb. 2). So wird die Farbe nunmehr als „körperlos“ beschrieben: Eingesogen in das Trägermaterial und untrennbar mit diesem verbunden, vermittelt sie einen zunehmend „rein optischen Effekt“. An die Stelle des „körperhaften Bildes“ rückt folglich das Ideal einer strikt „visuellen Entität“; jedoch gilt auch für letztere, dass die Farbe – ergänzen könnte man: und der weiße Grund – einen Raum „eröffnet“, der sich scheinbar über die Grenzen der Leinwand hinausbewegt:
The effect conveys a sense not only of color as somehow disembodied, and therefore more purely optical, but also of color as a thing that opens and expands the picture plane. The suppression of the difference between painted and unpainted surfaces causes pictorial space to leak through – or rather, to seem about to leak through – the framing edges of the picture into the space beyond them.[18]
Dass Greenbergs durchaus treffende Beschreibung optischer Effekte zugleich auf die Ausschaltung anderer Sinneswahrnehmungen, insbesondere der taktilen Reize, gerichtet ist, kündigt sich an dieser Stelle bereits an. Zwar lässt sich die Homogenität der Oberfläche am Beispiel von Louis’ transparent wirkenden Twined Columns gut nachvollziehen, jedoch bedeutet die von Greenberg vollzogene Verabsolutierung des Augensinns eine einseitige Konzentration auf die phänomenale Dimension des Bildes und kann gedanklich zu dessen physischer Auflösung überleiten.[19] Das Verb des „Öffnens“ markiert dabei den Umschlag des flachen Bildes in einen quasi immateriellen Farbraum, eine imaginäre dritte Dimension, die ausschließlich dem Betrachterauge gehören soll.[20] Obwohl „Flächigkeit“ und „Offenheit“ demnach gegensätzliche Tendenzen in Greenbergs Bildkonzept darstellen – auf der einen Seite die tendenzielle Negation dreidimensionaler Tiefe und auf der anderen Seite die farbräumliche Entgrenzung – verhalten sie sich dennoch komplementär zueinander. Vor allem weil „Flächigkeit“, als medienspezifische und notwendige Bedingung für eine modernistische Malerei, die Konsequenz ergab, dass bereits die bloße Leinwand ein Bild darstellen konnte, formte Greenberg seinen Begriff der „Offenheit“ zu einem Korrektiv aus:
Openness, and not only in painting, is the quality that seems most to exhilarate the attuned eyes of our time. Facile explanations suggest themselves here which I leave the reader to explore for himself. Let it suffice to say that by the new openness they have attained, Newman, Rothko and Still point to what I would risk saying is the only way to high pictorial art in the near future.[21]
Zum Maßstab für eine teleologisch motivierte ‚Hochkunst‘ geworden, verliert Greenbergs Qualitätsmerkmal jedoch an dieser Stelle seine produktive Kraft und wird stattdessen zu einer gattungsübergreifenden ,Zauberformel‘. Im Gegensatz zu der oben aufgezeigten Verwendung als ein formales Analysemittel wird hier lediglich verallgemeinernd behauptet, dass „Offenheit“ die wirkungsmächtigste Eigenschaft des zeitgemäßen Bildes sei. Auch deshalb erscheint es besonders trickreich, zu unterstreichen, dass eben jene Qualität, um überhaupt wahrgenommen zu werden, ein darauf ‚abgestimmtes‘ Auge benötigt. Betont wird – zugespitzt formuliert – ein ,elitäres Sehen‘, das nicht für alle gleichermaßen erfahrbar ist. Die Kritik an Greenbergs Verallgemeinerung muss sich implizit also mit dem Vorwurf des ungeschulten Auges konfrontiert wissen.
In Verbindung mit der Ausbildung einer Urteilsskala – als Kritiker war Greenberg immer zugleich auch Richter – steht abschließend der Versuch, die Farbfeldmalerei als eigenständigen Stil zu klassifizieren. Newman, Rothko und Still werden hierfür als „first serious abstract painters, the first abtract painters of style, really to break with Cubism“ bezeichnet.[22] Greenbergs Strategie ist dabei einerseits, die heterogene Richtung des Abstrakten Expressionismus auf die Form einer gestischen Malerei, auf eine ,Materialschlacht‘ zu reduzieren. Andererseits nutzt er diese Aufspaltung, um die aktuelle Malerei eines Morris Louis oder Kenneth Noland über eine eigenständige Tradition zu legitimieren und sie – im Gegensatz zu der von ihm verkannten Pop-Art – als folgerichtige Weiterführung zu deklarieren.
Dass diese Form der Geschichtskonstruktion zugleich beansprucht, zukünftige Entwicklungen vorherzusagen, hat insbesondere Greenbergs früherer Freund und späterer Gegenspieler Harold Rosenberg erkannt. Polemisch betitelt er zwei Jahre später einen auf Greenberg gemünzten Artikel mit After next, what? und wendet sich dort, ohne Namen zu nennen, gegen eine normativ prophezeiende Kunstkritik.[23] Differenzierter noch antwortet der Kunsthistoriker Max Kozloff in einem umfangreichen Brief an den Herausgeber von Art International.[24] Dort arbeitet er detailliert die Reduktionismen heraus, die Greenberg zu seiner Schlagkraft verhalfen und gibt zu bedenken, dass ein evolutionistisches Stilmodell nach dem Abstrakten Expressionismus seine Aussagekraft verloren hat. Bemerkenswerter ist jedoch, dass Kozloff den Begriff der „Offenheit“ aufnimmt und ihn zu präzisieren versucht. So unterscheidet er am Beispiel der Arbeiten Mark Rothkos „Offenheit“ erstens in Bezug auf das Format und zweitens angewandt auf die gesteigerte Wirkung der Farbe. Genau dadurch nimmt er gleichwohl der Greenbergschen Verwendung ihre Pointe, ging es doch bei dieser letztlich um die Interaktion beider Momente, ihre Verflechtung zu einem Farbraum und um ein dynamisches Bildkonzept, das, ungeachtet seiner zweifelhaften Totalisierung des Augensinns, die ikonische Grundspannung zwischen Faktizität und ästhetischem Schein zu umkreisen vermochte. Auch wenn Greenberg und sein Konzept des „Modernismus“ ab den 1970er Jahren zunehmend kritisiert werden, können seine Beobachtungen deshalb auch heute noch eine ungebrochene Reibungsfläche bilden, um das eigene Sehen zu schärfen und zur Sprache zu bringen.[25] Die Koinzidenz, dass After Abstract Expressionism im selben Jahr erscheint wie Umberto Ecos grundlegendes Buch Opera aperta kann darüber hinaus sichtbar machen, dass Greenberg – ausgehend von seiner Arbeit am Bild – Ecos Idee einer unabschließbaren Kommunikationssituation zwischen Werk und Betrachter produktiv zu nutzen wusste.[26]
[1] Clement Greenberg, After Abstract Expressionism, in: Art International, Vol. 8, Oktober, 1962, S. 24-32; wieder in: John O’Brian (Hg.), Clement Greenberg. The Collected Essays and Criticism, Chicago/London 1986 (Vol. 1, Vol. 2), 1993 (Vol. 3, Vol. 4), hier: Vol. 4, S. 121-134. Eine deutsche Übersetzung findet sich in: Karlheinz Lüdeking (Hg.), Clement Greenberg. Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, übers. v. Christoph Hollender, Amsterdam/Dresden 1997, S. 314-335.
[2] Modernist Painting erschien 1960 als schriftliche Fassung eines Radiobeitrages für Voice of America in Forum Lectures, Washington D.C; wieder in: O’Brian 1993, 4, S. 85-93.
[3] Die prekäre Bedeutung des Begriffs erwähnt Rosalind Krauss in ihrem Beitrag The Crisis of the Easel Painting, in: Pepe Karmel (Hg.), Jackson Pollock. New Approaches (Kat.), New York 1999, S. 155-179; wieder in: Ellen Landau (Hg.), Reading Abstract Expressionism. Context and Critique, New Haven/ London 2005, hier insb. S. 652.
[4] Zur heuristischen Verwendung des Begriffs in der deutschsprachigen Forschung vgl. Valeska von Rosen, Art. Offenes Kunstwerk, in: Ulrich Pfisterer (Hg.), Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 2003, S. 256-258; sowie zuletzt den Tagungsband Öffnungen. Zur Theorie und Geschichte der Zeichnung, (Hg.) Friedrich Teja Bach/Wolfram Pichler, München 2009.
[6] Ebd., S. 123. Greenberg paraphrasiert hier Robert Coates, der in seinem Artikel The Art Galleries [1946, New Yorker] die Bezeichnung „Abstrakter Expressionismus“ erstmals auf US-amerikanische Künstler übertrug. Zur Begriffsgeschichte siehe David Anfam, Art. Abstract Expressionism, in: Jane Turner (Hg.), The Dictionary of Art, Vol. 1, London 1996, S. 83 ff.
[7] Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, Basel/Stuttgart 1979 [erstmals 1915], insb. S. 264. Das Buch lag ab 1932 auch in englischer Übersetzung bei Dover, New York unter dem Titel Principles of Art History. The Problem of the Development of Style in Later Art vor.
[11] Ebd., S. 130, vgl. dort auch die folgenden Zitate.
[12] Greenberg grenzte die Farbtöne („hues“), die als Spektralfarben zu verstehen sind, von den Farbwerten („values“) ab, die er als farbliche Abschattierungen beschrieb. Diese Terminologie verteidigte er bereits 1955 in einem Schriftwechsel mit dem Maler und Kritiker Fairfield Porter. (O’Brian 1993, 3, S. 236-240.)
[13] Wölfflin 1979 [1915], S. 147.
[15] Clement Greenberg, ,American-Type‘ Painting [1955, Partisan Review], in: O’Brian 1993, 3, S. 231- 232. Zuvor wurde Clyfford Still als derjenige beschrieben, der den Weg ebnete, das Bild zu „öffnen“.
[16] Clement Greenberg, The Later Monet [1957, Art News Annual], in: O’Brian 1993, 4, S. 11.
[17] Die „malerische Oberfläche“ als „atmend und offen“ wird wenig später auch für Pollocks Bilder konstatiert, in: New York Painting Only Yesterday [1957, Art News], in: O’Brian 1993, 4, S. 19.
[18] Clement Greenberg, Louis and Noland [1960, Art International], in: O’Brian 1993, 4, S. 97.
[19] Auch hier sind die Parallelen zu Wölfflin zahlreich: So ist bei ihm die „Entwicklung vom Linearen zum Malerischen“ ebenfalls mit einer Verabsolutierung des Sehens verbunden. Dieses wird zwar als ein möglicher Erfahrungsmodus relativiert (S. 44), gleichwohl gilt es ihm als „Fortschritt“ gegenüber dem Begreifen durch den Tastsinn (S. 266). Vgl. exemplarisch die Begriffe „Tastbild“ und „Sehbild“ (S. 36). Des Weiteren versucht er – wie Greenberg steht er in der Tradition Lessings – die Gattungen mittels je spezifischer Werte voneinander zu trennen. Dass dabei die Malerei erst in der „offenen Form“, d.h. im barocken Bild, ihre eigentliche Erscheinungsform verwirklicht, erweist sich an der Behauptung: „Die Malerei entwickelt die ihr eigentümlichen Werte erst ganz, wo sie sich von der Tektonik lossagt […]“. (Wölfflin 1979 [1915], S. 175.)
[20] So Greenberg in After Abstract Expressionism, in: O’Brian 1993, 4, S. 130. Zur Genese und zum Kontext dieses ,absoluten Augensinns‘ siehe Caroline A. Jones, Eyesight Alone. Clement Greenberg’s Modernism and the Bureaucratization of the Senses, Chicago/London 2005, S. 303 ff.
[23] Harold Rosenberg, After next, what?, in: Art in America, Vol. 52, No. 2, April, 1964, S. 64-73.
[24] Max Kozloff, A Letter to the Editor, in: Art International, Vol. 6, Juni, 1964, S. 88-92.
[25] Zu den Debatten um Greenberg und seiner Rolle als „Kunstpapst“ siehe Karlheinz Lüdekings Vorwort in: Ders. 1997, S. 9-28, dort auch mit weiteren Literaturhinweisen.
[26] Ob Greenberg Ecos literaturwissenschaftliche Studie bereits 1962 kannte, ist unklar. Ins Englische wurde diese erst 1989 übersetzt, jedoch hatte Greenberg zu Beginn seiner Laufbahn als Übersetzer gearbeitet und besaß Italienischkenntnisse (vgl. O’Brian 1986, 1, xix). Thematische Berührungspunkte zwischen beiden konnten sich zumindest durch ihre, wenn auch unterschiedlichen Interpretationen von Massenkultur und „Kitsch“ ergeben. Vgl. Saul Ostrow, Avantgarde und Kitsch: Fünfzig Jahre danach. Ein Gespräch mit Clement Greenberg [zuerst auf Engl. 1989, Arts Magazine], in: Lüdeking 1997, S. 456-462, hier S. 461.
Quellennachweis: Anne-Grit Becker, After Abstract Expressionism oder Clement Greenbergs Qualität der „Offenheit“, in: ALL-OVER, Nr. 1, Juli 2011. URL: http://allover-magazin.com/?p=326.