Technology didn’t come from outer space. We humans invented it, and thus our relationship with is inevitably tautological. Technology can only ever allow us to access and experience new sides of humanity that lay dormant or untapped. Nothing human is alien. The radio gave us both Hitler and the Beach Boys. The Internet gave us Mentos, Diet Coke and kittens. Drones give us a new dimension of pubescent snoopiness, but they’re also giving us massively asymmetrical warfare… and hideous unmerited death.1
Dass die kulturphilosophische Diskussion um Fragen der Un-/Sichtbarkeit im Zeitalter des Digitalen vor ganz neuen Herausforderungen steht, ist offensichtlich. Ein Blick in die westliche Kulturgeschichte verrät indes ihren kontroversen Ursprung: von Platons Gyges-Mythos über H.G. Wells‘ Roman The Invisible Man bis hin zu J.R.R. Tolkiens The Lord of the Rings und J. K. Rowlings Harry Potter. Haben die HeldInnen einmal die übermenschliche Gabe erlangt, unsichtbar zu sein, werden sie mit ihrer eigenen Machtversessenheit konfrontiert und missbrauchen sie häufig. Der Unsichtbarkeits-Mythos enthält gleichsam eine warnende Parabel für die moralische Schwäche und das Böse im Menschen und lässt historisch gewachsene Vorstellungen eines ethisch gleichberechtigten Blickverhältnisses evident werden. So bemerkt die Kulturwissenschaftlerin Clare Birchall in Bezug auf Wells’ Roman The Invisible Man: „In the novel, as in other fictional accounts – filmic, televisual and literary – invisibility raises moral and ethical questions. Griffin abuses his visibility because he can. Unobservable violence proves too tempting.”2 Birchall überführt den Unsichtbarkeits-Mythos in die Gegenwart und bringt ihn mit einer neuen, neoliberalen „Politik der Geheimhaltung und (vermeintlichen) Transparenz“ im digitalen Zeitalter in Verbindung. Überwachung und Kontrolle stehen demnach in einem unmittelbaren Verhältnis mit Formen manipulierter (Un-)Sichtbarkeit und Verschleierung. Mit Birchall möchte ich im Folgenden die dringende Frage stellen, welche Aspekte politischer, militärischer und ökonomischer Entscheidungen verborgen beziehungsweise unsichtbar bleiben und wie neue, durch die Ereignisse des 11. Septembers legitimierte Bildtechnologien dazu beitragen, politische Machtgefüge aufrecht zu erhalten.
In der militärisch motivierten und durch George Bush und Barack Obama als Reaktion auf den 11. September perfektionierten Drohnentechnologie erlangt die Debatte um Aspekte der (Un-)Sichtbarkeit besondere Virulenz. Indem Drohnen die Möglichkeit einer totalen Archivierung von Bild und Raum sowie die zweifelhafte Möglichkeit einer einseitigen Kriegsführung ohne (sichtbaren) Körper liefern, ergeben sich neue visuelle Regime und Ungleichgewichte, die einen direkten Einfluss auf die (Un-)Sichtbarkeit von Gesicht und Körper haben und somit grundlegende Fragen einer neuen Ethik des Sehens stellen. Kritische Stimmen, vor allem von PhilosophInnen und KulturwissenschaftlerInnen wie Grégoire Chamayou, Nicholas Mirzoeff und Byung-Chul Han warnen deshalb davor, dass die Nutzung von Drohnen-Technologie untrennbar mit neuen, fragwürdigen Ethiken der Kriegsführung und Überwachung verbunden sei. Mein Essay widmet sich dem militärischen Einsatz von Drohnen und sucht nach Möglichkeiten einer Konfrontation mit und Emanzipation aus den ungleichen Blickverhältnissen aus der Perspektive der Bildwissenschaft. Welche Strategien lassen sich in der zeitgenössischen Kunst finden, die das asymmetrische Verhältnis von Drohneneinsätzen thematisieren? Und wie problematisieren sie das ihnen zugrunde liegende Verhältnis von (Un-)Sichtbarkeit, Bild, Macht und Körper? Die besprochenen Werke legen verschiedene Strukturen visueller Macht offen und durchbrechen Formen der Geheimhaltung beziehungsweise überführen sie in die Sichtbarkeit.
Die wohl wichtigste und grundlegendste Eigenschaft der Drohne gründet sich auf der physischen Trennung von Flugobjekt/Kamera und PilotIn: Ein Ort und seine BewohnerInnen können aus einer oft tausende Kilometer großen Distanz observiert und bombardiert werden. Statt von einer Drohne spricht man beim Militär deshalb auch von einem unbemannten Luftfahrzeug, abgekürzt „UAV“ (Unmanned Aerial Vehicle). Da die Steuerung einer Drohne entweder vom Boden oder von einem Bordcomputer aus erfolgt, bleibt der oder die BesitzerIn der Drohne selbst bei ihrem Fang anonym.3 In seiner Publikation A Drone Theory beschreibt der Philosoph Grégoire Chamayou die Geschichte der Drohne als die eines Auges, das in eine Waffe verwandelt wurde. Nach Chamayou beruhe die Drohnen-Technologie vornehmlich auf folgenden Faktoren: „(1) The principle of persistent surveillance or permanent watch; (2) The principle of a totalization of perspectives or synoptic viewing; (3) The principle of creating an archive or film everyone’s life; (4) The principle of data fusion; (5) The principle of the detection of anomalies and preemptive anticipation“. All dies führt nach Chamayou zu einer Revolution der Blickverhältnisse.4 Der technische Aufbau gängiger Kampfdrohnen liefert die Fakten für diese Thesen: Die mit neun Kameras ausgestattete Reaper-Drohne kann während ihres Einsatzes ein Gebiet von 26 Quadratkilometern aus verschiedenen Blickwinkeln erfassen. Dabei entstehen dreidimensionale Bilder, welche es ermöglichen, mehrere Ziele gleichzeitig zu verfolgen und zu bombardieren. Entsprechend dem auf heroische Terminologien versessenen Militärjargon wurde das Beobachtungssystem der Reaper-Drohnen nach dem mythologischen hundertäugigen Riesen Argus (ARGUS-IS) benannt. Das ARGUS-IS der Reaper-Drohne verfügt über ein komplexes Kamerasystem, das ein 15 Zentimeter kleines Objekt aus sechs Kilometern Höhe identifizieren und unabhängig voneinander 368 verschiedene Ziele verfolgen und filmisch aufzeichnen kann. So lassen sich auf den Bildern mit niedriger Bildrate keine individuellen Gesichtszüge, wohl aber die Kleidungsfarbe eines Menschen oder etwa die Bewegung eines Vogels erkennen. Angesichts der technischen Omnipräsenz des Blicks vergleicht Chamayou die Konzeption der Drohnenkamera auch mit dem „Auge Gottes“.5 Dieses „Auge Gottes“ zeigt die Erdoberfläche im Sinne eines Computerspiels als grafisch entrücktes, beherrschbares Schemenbild. Der Akt des Tötens wird per Joystick so zum distanzierten, entkörperlichten Erlebnis. Durch die visuelle Distanz und die (einseitige) Anonymität ergibt sich ein asymmetrisches Blickverhältnis, das, wie der Kulturphilosoph Byung-Chul Han anmerkt, ein herkömmliches Kriegsverständnis auflöst: „Beim Drohneneinsatz ist die Asymmetrie total. Sie ist auch in dem Sinne total, dass es nicht möglich ist, den Angreifer zu töten. Er ist eben nicht dort, wo die Tötung geschieht. Allein diese totale Ungleichheit macht den Kriegsbegriff selbst obsolet.“6 Das Wegfallen einer menschlichen Begegnung stellt einen der grundlegendsten Aspekte der militärischen Gewaltausübung dar. Indem Philosophen wie Emmanuel Lévinas in der facialen Begegnung von Angesicht zu Angesicht noch die Grundvoraussetzung gesellschaftlichen und ethischen Handels ausmachen,7 ergibt sich im unscharfen, entkörperlichten Bild der Drohne ein offenkundiges Missverhältnis von Sehen und Gesehen-Werden sowie von Zeigen und Verbergen. Es fällt leichter das verpixelte, überindividuelle Bild eines oder einer vermeintlich terroristischen Angreifers oder Angreiferin auszulöschen als ein menschliches Gegenüber.
Beispielhaft für eine künstlerische Reaktion auf die neue Vertikalisierung der Blickverhältnisse wurde eine aktionistisch motivierte Kunstaktion, die vom französischen Foto-Streetartist JR angeregt wurde und viel mediale Aufmerksamkeit erhielt.8 In Zusammenarbeit mit einem anonymen amerikanisch-pakistanischen Künstler_innenkollektiv9 entstand unter dem Hashtag #NotABugSplat (2014) eine auf Drohnenkameras und Satellitenbilder ausgerichtete Fotoaktion im öffentlichen Raum. Die Gruppe installierte ein vielfach vergrößertes Halbporträt eines kleinen pakistanischen Mädchens auf einem Feld in der pakistanischen Region Khyber Pukhtoonkhwa, nahe der afghanischen Grenze – ein Gebiet, das für den regelmäßigen Beschuss durch US-amerikanische Drohnen bekannt ist. Im Umgang mit einer fotografischen Bildtradition funktioniert die #NotABugSplat-Aktion eher konventionell und muss in eine bestimmte Linie journalistisch-humanistischer Fotografie gesetzt werden, die von Susan Sontag als „moralisch-gefühlsmäßig“ kritisiert wurde.10 Das stark vergrößerte Porträtfoto zeigt ein Mädchen, das seine Eltern bei einem US-amerikanischen Drohneneinsatz in Nord Wasiristan, einer Bergregion im nordwestlichen Pakistan, verlor. Das Bild wurde vom Fotojournalisten Noor Behram aufgenommen und von dem im Drohnen-Rechtsstreit engagierten Menschenrechtanwalt Shahzad Akbar an das Künstlerkollektiv weitergeleitet.11 Der Titel #NotABugSplat verweist auf die zynische Tatsache, dass DrohnenpilotInnen beim Akt des Tötens oftmals von „Käfer zerquetschen“ („bug splat“) sprechen, da die Menschen auf den verpixelten Computerscreens wie kleine, insektenartige Punkte aussehen.12 (Abb. 1) Die nur für kurze Zeit installierte Foto-Aktion zielt auf eine Umkehrung der asymmetrischen Blickverhältnisse und versucht, die Unsichtbarkeit menschlicher Individuen ins Gegenteil zu verkehren beziehungsweise ihr „wahres“ Gesicht ins Blickfeld der AngreiferInnen zu rücken. Dabei appelliert die emotionalisierte Aufnahme des „unschuldigen Kindes als Opfer“ sowohl an den menschlichen Blick der DrohnenpilotInnen als auch an eine größere Öffentlichkeit zur Aufklärung menschlicher Zivilopfer bei Drohneneinsätzen. So sind geschätzt mehrere tausend Zivilisten bei US-amerikanischen Drohnen-Einsätzen in Pakistan, Somalia, Jemen, Afghanistan und im Irak umgekommen. Viele von ihnen bleiben unidentifiziert.
Als eine der Hauptursachen hierfür gilt das vom U.S. Militär genannte Argument, dass es sich bei den Einsätzen um die Suche nach Terroristen des Islamischen Staats handle, weshalb der CIA mit einem eigenen Drohnenprogramm einbezogen wurde, was die Aufklärung der Drohnen-Toten schwierig bis unmöglich macht.13 Die UN-Sonderbeauftragten für den Schutz der Menschenrechte beklagen vor allem die „fehlende Transparenz“ bei der Nutzung von Drohnen und verweisen auf die ungeklärte (Menschen-)Rechtslage von Drohneneinsätzen in Kriegsgebieten.14 (Abb. 2) Die künstlerische Aktion zielt auf die Sichtbarmachung der zivilen Opfer und versucht das Image einer ‚sauberen’ Kriegstechnologie ohne ‚Kollateralschäden’ zu widerlegen. Auch wenn es nur schwer vorstellbar ist, dass eine solche Foto-Aktion im öffentlichen Raum wirklich von DrohnenpilotInnen beachtet wird, so kann das mediale Echo, welches sie in den westlichen Medien erzielte, doch als wichtiger Beitrag zur Diskussion um eine veränderte Kriegspolitik gewertet werden.
Eine ebenfalls für den öffentlichen Raum konzipierte Aktion ist die Serie Drone Shadow (2012–2014) des britischen Künstlers James Bridle, die er – im Gegensatz zur Not a Bug Splat-Fotoaktion – vornehmlich im öffentlichen Raum westlicher Länder realisiert hat. Drone Shadow wurde als fortlaufendes Kommissions-Kunstprojekt im Rahmen von Ausstellungen und Festivals initiiert und besteht aus dem immer gleichen, im Verhältnis 1:1 übertragenen Original-Schatten einer MQ-9-Reaper-Drohne, den Bridle in hellen Umrisszügen auf den Boden an öffentlichen Orten übertragen lässt15 – so etwa neben einer griechisch-orthodoxen Kirche in Istanbul (Drone Shadow 002), vor einer Kirche in Washington (Drone Shadow 004), in Brighton an der Strandpromenade (Drone Shadow 003) oder auf einem öffentlichen Platz in London (Drone Shadow 006).16 (Abb. 3) Ein wichtiger Aspekt der Aktion ist die Idee der offenen Struktur sowie der Co-Autorschaft. So stellt der Künstler die Maße und Anleitung für die Umsetzung des Drohnenschattens frei als Download zur Verfügung und unterstützt damit eine Verbreitung des Motivs.17 Bridle verfolgt mit seiner Intervention – wie auch das Kollektiv der Not a Bug Splat-Aktion – einen veränderten Umgang beziehungsweise ein wachsendes Bewusstsein für den Einsatz tödlicher Drohnen. Das Bild einer über dem vermeintlich sicheren städtischen Raum schwebenden Drohne überführt die ständige Bedrohung, in welcher sich die Zivilgesellschaft in Kriegsgebieten befindet, in das westliche „Heimatland“. Gleichzeitig visualisiert der körperlose Schatten von Bridles Drohnen-Serie die permanente aeriale Überwachung des öffentlichen Raums in Krisengebieten und führt das dort herrschende Diktat der Sichtbarkeit vor.
In seiner Publikation The Right To Look spricht der Bildwissenschaftler Nicholas Mirzoeff im Zusammenhang mit virtueller Kriegsführung und visueller Kontrolle von einer „post-panoptischen“ Perspektive auf die Welt, welche den ehemals architektonisch fest definierten Ort und die menschlichen BeobachterInnen nicht nur unsichtbar, sondern vor allem auch anonym mache. Das Postpanoptikum zeichnet sich durch seinen interaktiven, dezentralen, unübersichtlichen und opaken Charakter aus. Während das traditionelle Panoptikum von Jeremy Bentham noch als Architektur angelegt war und eine sichtbare Trennung von ÜberwacherInnen und Überwachten vollzog, ergibt sich bei dem Einsatz von Drohnen-Technologien ein asymmetrisches Sichtverhältnis: Der Überwachende ist ein Algorithmus oder bleibt durch die Distanz zum Einsatzort unsichtbar. Hierdurch ist eine totale Kontrolle möglich, die zudem keine geografischen (Staats-)Grenzen mehr berücksichtigen muss.18 Für die Analyse digital erzeugter, vertikaler Bilder stellen sich deshalb zwei grundlegende Fragen: Welche Vorstellung von Wirklichkeit liefern Drohnen- und Satellitenbilder, die für Angriffs- und Überwachungszwecke entwickelt worden sind? Und wie ändern diese neuen Technologien das Verhältnis von Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit des digital erfassten Körpers?
Auch das auf Drohnenbildern basierende Fotoprojekt Blue Sky Days setzt in diesem Spannungsfeld von Sichtbarkeit und Überwachung an. Der durch seine Fotoreportagen in Nepal, Nord Korea, Vietnam und China bekannt gewordene,19 US-amerikanische Fotograf und Künstler Tomas Van Houtryve produzierte die Schwarz-Weiß-Fotoserie 2013 als Auftragsarbeit für eine Sonderausgabe des Harper’s Magazine, in der sie 16 Seiten einnahm.20 Blue Sky Days wurde mit einer auf Amazon erworbenen Amateurdrohne aufgenommen, an der Van Houtryve eine Kamera mit einem Bildübermittlungssystem befestigt hatte. Die Technik seiner Amateurdrohne ist dementsprechend mit der simplifizierten Version einer Predator oder Reaper UVA vergleichbar. Blue Sky Days beruht – wie auch die #NotABugSplat-Aktion – auf dem tragischen Schicksal eines Drohnenopfers, das den Künstler nach eigener Aussage nicht mehr losgelassen habe. Demnach hörte Van Houtryve die Geschichte des 13-jährigen Pakistaners Zubair Rehman, dessen Großmutter bei einem Drohneneinsatz der US-amerikanischen Luftwaffe beim Sammeln von Okraschoten vor ihrem Haus getötet wurde. Rehman, der selbst bei dem Angriff verletzt wurde, sprach 2013 vor einem Rechtsausschuss in Washington DC, wo er aussagte: “I no longer love blue skies, in fact, I now prefer grey skies. The drones do not fly when the skies are grey.”21 Van Houtryve nahm dieses emotionale Statement als titelgebenden Anlass für das Blue Sky Days-Projekt, um mit seiner Drohne in den USA zu bestimmten Anlässen wie Hochzeiten oder Beerdigungen, an denen sich Menschengruppen versammeln, zu reisen. (Abb. 4) Solche Menschenansammlungen sind beliebte Angriffsziele bei Drohneneinsätzen im US-amerikanischen „War Against Terror” geworden, da hier terroristische Verstecke vermutet werden. Außerdem suchte sich Van Houtryve Orte für seine Aufnahmen aus, die potenzielle Überwachungsziele der US Airforce und des CIA sind, wie etwa Gefängnisse, Ölfelder und die Grenzgebiete der USA-Mexiko-Grenze. Bemerkenswerterweise zeigen die nachbearbeiteten, digitalen Fotografien Van Houtryves jedoch nicht die grob verpixelte, verschwommene Perspektive gängiger Drohnenbilder, sondern verwenden eine kontrastreiche Schwarz-Weiß-Bildgestaltung. Hierdurch werden Umrisslinien, Schatten und Formen besonders betont, was zu teilweise abstrakten Kompositionen in der Landschaft führt. Sie zeigen Ansichten der Erdoberfläche aus der Luft, welche den menschlichen Körper nur mehr als Silhouette oder als Schatten in der Landschaft abbilden und die auf Überwachung und Kontrolle bedachte Drohnentechnologie in eine neue Sichtbarkeit überführen.
Verfolgte man eine Verortung in einem spezifischen kunsthistorischen Kanon, so ließe sich in Van Houtryves kompositorisch durchgearbeitetem Bildaufbau eine formale Referenz zur avantgardistischen Fotografie des Neuen Sehens von László Moholy-Nagy feststellen. Die fotografische Schule des Neuen Sehens wird gemeinhin als „Sehschule“ bezeichnet, welche die BetrachterInnen auf die neuen Bedingungen und die Veränderungen der Wahrnehmung des modernen Alltags- sowie vor allem des Großstadtlebens vorbereitete.22 Dabei wird der Fotoapparat zu einem „neuen Instrument des Sehens“, welcher die menschliche Wahrnehmung in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung stellt und „überkommene ästhetische-philosophisch-metaphysische Traditionen zu überwinden hat“.23 Symptomatisch hierfür fällt Moholy-Nagys fotografische Praxis in die Zeit erster theoretisch fundierter, historischer Auseinandersetzungen mit der Fotografie. Sein Werk ist von einem großen Interesse an den Innovationen und technischen Möglichkeiten der Fotografie geprägt. Um diese auszuloten, entwickelte Moholy-Nagy extremste Perspektiven, vor allem Schräg-, Unter- und Aufsichten architektonischer Stadtbauten. In seiner einflussreichen Schrift Das Neue Sehen (1932) proklamierte er darauf Bezug nehmend: „the most essential for us is the airplane view, the complete space experience“.24 Besonders beispielhaft lässt sich dies auf seinen in die Fotografiegeschichte eingegangenen Aufnahmen des Berliner Funkturms erkennen.25 Ausschlaggebend ist hierbei nicht zuletzt auch, dass die Luftaufnahmen Moholy-Nagys zeitlich mit dem verstärkten kartographischen Interesse der Zwischenkriegszeit zusammenfallen. Sie können deshalb – über die wahrnehmungstheoretische Auseinandersetzung mit der Fotografie hinaus – als Reaktion auf die Entwicklung der Luftfotografie und das Fortschreiten einer „vertikalen“ Sicht auf die Welt gesehen werden. Letztere steht – wie die Drohnenfotografie – in enger Verbindung mit der propagandistischen Forderung nach Erweiterung, Beherrschung und Kontrolle des menschlichen Lebensraums sowie der Erdoberfläche.26 (Abb. 5) (Abb. 6)
Zieht man eine Verbindung von Van Houtryves Drohnen-Bildern der US-amerikanischen Erdoberfläche zur Avantgarde-Fotografie Moholy-Nagys, lässt sich zunächst eine kompositorische Ähnlichkeit feststellen. Nach genauerer Betrachtung unterscheiden sich die visuellen Strategien der beiden Fotografen jedoch in einem wichtigen Punkt: Die visionären und vor allem äußerst technophilen FotografInnen des Neuen Sehens versuchten, die menschliche Perspektive zu überwinden und den Fotoapparat zugunsten eines objektiven Erkenntnisgewinns einzusetzen. Deshalb experimentierte Moholy-Nagy mit zunächst verwirrenden und – vermeintlich – vom menschlichen Körper entkoppelten Perspektiven. Van Houtryves Luftaufnahmen der US-amerikanischen Landschaft widersprechen dagegen diesem wahrnehmungspsychologischen Technikoptimismus Moholy-Nagys und konzentrieren sich ganz auf den Aspekt einer neuen Ethik des Sehens. So folgen die Blue Sky Days-Fotografien einem gleichbleibend „statischen“ Blick von oben auf die Erdoberfläche, der im Zeitalter von Google Earth Satellitenbildern und Amateurdrohnen bereits in den Bildkanon integriert ist – ganz im Gegensatz zu den Aufsehen erregenden Aufnahmen des Berliner Funkturms von Moholy-Nagy. Hierdurch wird in Van Houtryves Amateurdrohnenbildern ein veränderter Umgang mit neuesten, asymmetrischen Blicktechniken des post-panoptischen Zeitalters sichtbar. Während Moholy-Nagy die Kamera als Erweiterung und Optimierung des Körpers beziehungsweise des menschlichen Auges feierte und die Möglichkeit eines neuen Erkenntnisgewinns in der fotografischen Praxis sah, ist von diesem technophilen avantgardistischen Selbstverständnis in den Drohnen-Fotografien Van Houtryves – zumindest in einem technischen Sinn – nicht viel übrig geblieben. Die „post-fotografische”27 Praxis der Drohnenbilder basiert auf einer Trennung von Körper und Kameralinse. Sie ermöglicht folglich keine sensorische Erweiterung des Körpers (im Sinne eines aufklärerischen Sehens der Schule des Neuen Sehens). Das künstlerische Interesse von Van Houtryves Blue Sky Days-Serie verlagert den Fokus von der Erarbeitung eines „Neuen Sehens“ und den Effekten extremer Kameraperspektive auf ein Spiel mit der Erwartungshaltung der BetrachterInnen. Indem Van Houtryve durch seinen Umgang mit Perspektive und Motiv danach fragt, wie sich ein Drohnenangriff im vermeintlich sicheren westlichen Heimatland ereignen könnte, rückt er seine künstlerische Praxis in den Bereich des „kritischen Dokumentarismus“.28 Dabei scheint es ihm vor allem auf die Sichtbarmachung „post-panoptischer“ Kontrolle sowie auf eine Visualisierung der nicht-eindeutigen Erkennbarkeit von Menschen auf Drohnenbildern anzukommen, welche auf einer vermeintlichen Objektivitäts- beziehungsweise Transparenzbehauptung basieren. Wichtig hierfür ist zudem auch die Einbettung der Blue Sky Days-Bilder in einen journalistischen Kontext, da die Produktionszusammenhänge der Fotoserie und ihre Motivation offengelegt werden. Indem der Fotograf die Perspektive seiner Drohnenkamera auf das eigene, westliche Heimatland lenkt, entwirft er im Sinne Nicholas Mirzoeffs eine Strategie der „counter visuality”, welche das Verhältnis von Beobachtenden und Beobachteten, beziehungsweise Angreifenden und Angegriffenen, umkehrt.29 (Abb. 7)
Die BetrachterInnen von Van Houtryves Fotografien bekommen die Willkürlichkeit und Entkörperlichung des Drohnenauges vorgeführt. Sie sind dazu angehalten, den zweifelhaften Blick militärischer Luftbilder, der vornehmlich auf der Deutung verpixelter Oberflächen beruht, zu hinterfragen. Wie auch die aktionistisch motivierten Interventionen Not A Bug Splat und Drone Shadow, ist die Fotoserie an einer Ethik gleichberechtigter Blickverhältnisse interessiert: Sie konzentrieren sich auf die Offenlegung „asymmetrischer“ Bildtechnologien und decken in ihren Bildfindungen Lücken und Manipulationen neuester Medienberichterstattungen auf, welche den Drohnenkrieg als „sauberes“ Unterfangen ohne sichtbare verwundete Körper verkaufen wollen. Indem sie sich auf die Sichtbarmachung digitaler Kontrolle und Aspekte technischer Manipulation von Drohnentechnologie konzentrieren, liefern sie einen wichtigen Beitrag zur Debatte um Geheimhaltung und (Un-)Sichtbarkeit.
1 Douglas Coupland, Creep. URL: http://dismagazine.com/dystopia/76408/creep-douglas-coupland/ [26.7.2017].
2 Clare Birchall, Introduction, in: Clare Birchall (Ed.): The In/Visible, Living Books About Live, 2012. URL: http://www.livingbooksaboutlife.org/books/The_in/visible/introduction [26.7.2017].
3 Dan Gettinger, The Drone Primer. A Compendium Of The Key Issues, Center for Study of the Drone, New York 2014, S. 3.
4 Grégoire Chamayou, Théorie du drone, Paris 2013; hier zitiert nach: Grégoire Chamayou, A Drone Theory, London 2015, S. 38ff.
6 Byung-Chul Han, Die Ethik des Drohnenkriegs, 12.02.2013. URL: http://www.matthes-seitz-berlin.de/artikel/byung-chul-han-die-ethik-des-drohnenkriegs.html [26.7.2017].
7 Emmanuel Lévinas, Ethik und Unendliches. Gespräche mit Philippe Nemo, Wien 1996.
8 In diversen, internationalen Medien (CNN, The Guardian, et cetera) wurde über die Aktion berichtet, zudem existiert eine eigene Website zur Aktion. URL: https://www.theguardian.com/world/shortcuts/2014/apr/07/artists-give-human-face-drones-bug-splat-pakistan [26.7.2017].
9 URL: https://notabugsplat.com/about/ [26.7.2017].
10 So kritisierte Sontag in ihrem einflussreichen Essay „On Photography“ (1977) am Beispiel der Fotografien von Diane Arbus den „Glamour-versessenen“ Charakter ihrer pseudo-dokumentarischen „Opfer“-Fotografie auf das Schärfste: „Arbus’ Werk ist ein gutes Beispiel für eine Haupttendenz der anspruchsvollen Kunst in kapitalistischen Ländern: der Tendenz, moralisches und gefühlsmässig bedingtes Unbehagen zu unterdrücken, mindestens aber zu reduzieren. Ein grosser Teil der modernen Kunst zielt darauf ab, die Reizschwelle dessen, was entsetzlich ist, herabzudrücken.“ Vgl.: Susan Sontag, Über Fotografie, Frankfurt am Main 2006, S. 44.
11 URL: http://edition.cnn.com/2014/04/09/world/asia/pakistan-drones-not-a-bug-splat/index.html [26.7.2017]; URL: https://www.theguardian.com/profile/mirza-shahzad-akbar [26.7.2017].
12 URL: https://news.vice.com/article/giant-art-installation-in-pakistan-tells-us-drone-operators-people-arent-bug-splat [26.7.2017].
13 Jan Boone, Pakistan court says former CIA station chief will face charges over drone strike, the guardian, 7.4.2014. URL: https://www.theguardian.com/world/2015/apr/07/former-cia-station-chief-pakistan-murder-charges-drone-strike [3.10.2017].
Greg Miller, U.S. launches secret drone campaign to hunt Islamic State leaders in Syria, The Washington Post, 1.9.2015. URL: https://www.washingtonpost.com/world/national-security/us-launches-secret-drone-campaign-to-hunt-islamic-state-leaders-in-syria/2015/09/01/723b3e04-5033-11e5-933e-7d06c647a395_story.html [15.10.2017]; sowie URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/drohnenkrieg-whistleblower-veroeffentlicht-geheime-dokumente-a-1058043.html [3.10.2017].
14 Han merkt hierzu passend an: „Der Drohnenkrieg wirft sowohl juristische als auch ethische Fragen auf. Die Kritiker erheben den Vorwurf außergerichtlicher Hinrichtung. Menschen werden hier oft nach sehr fragwürdigen Kriterien hingerichtet, ohne dass ihre Schuld bewiesen wäre. Der Verdacht genügt für die Tötung. Sie werden also umgebracht. Die gezielte Tötung durch Drohnen verletzt das Prinzip des Rechtsstaates. Die Befürworter weisen auf ihr Recht der Selbstverteidigung hin. Der Artikel 51 der UN-Charta lautet: ‚Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung.‘ Aber die präventive Tötung auf Verdacht hat insofern keine Legitimation, als sie ohne jede unmittelbare Bedrohung erfolgt. Getötet werden dabei auch ganz unschuldige Zivilisten.“ Vgl.: Byung-Chul Han, Die Ethik des Drohnenkriegs, 12.02.2013. URL: http://www.matthes-seitz-berlin.de/artikel/byung-chul-han-die-ethik-des-drohnenkriegs.html [26.7.2017].
15 URL: http://www.newyorker.com/tech/elements/the-drone-shadow-catcher [26.7.2017].
16 URL: https://www.dezeen.com/2014/04/29/drone-shadows-graphics-james-bridle-designs-of-the-year-2014/ [26.7.2017].
17 Man kann sich auf Flickr ein Handbuch mit Anleitung und Maßangaben herunterladen. URL: https://www.flickr.com/photos/stml/sets/72157638510036333/[26.7.2017].
18 Nicholas Mirzoeff, The Right to Look, London 2011, S. 279.
19 Vgl.: Tomas Van Houtryve/Tzvetan Todorov, Geschlossene Gesellschaften: eine fotografische Reise durch kommunistische Länder, Bern 2012.
20 Thomas Van Houtryve, Blue Sky Days, in: Harper’s Magazine, April 2014 Issue. Ein Jahr später gewann Van Houtryve mit dieser Fotoserie den zweiten Preis beim “World Press Photo Award 2015” in der Kategorie “Contemporary Issues”. URL: http://animalnewyork.com/2014/america-drone-tomas-van-houtryves-blue-sky-days/ [26.7.2017], sowie URL: http://www.worldpressphoto.org/collection/photo/2015 [26.7.2017].
21. Vgl.: URL: http://tomasvh.com/works/blue-sky-days/#4 [26.7.2017]. Zur Motivation im Umgang mit dem Medium sagte Van Houtryve in einem Interview: „How can America be involved in a decade-long war where the sky is buzzing with cameras, and yet the public remains totally in the dark? As drones fill the skies above America, how is the public likely to react? Will the sight of them eventually be as ordinary as seeing an airplane or bird, or will people start wishing for gray skies like the traumatized young Zubair Rehman?” Vgl.: Thomas Van Houtryve, A Sky Full of Cameras, in: National Geographic, 15. August 2014. URL: http://proof.nationalgeographic.com/2014/08/15/tomas-van-houtryve-a-sky-full-of-cameras/ [26.7.2017].
22 Bernd Stiegler, Theoriegeschichte der Photographie, München 2006, S. 196.
24 László Moholy-Nagy, The New Vision: From Material to Architecture, New York 1932, S. 178.
25 Wie der Fototheoretiker Bernd Stiegler betont, geht es Moholy-Nagy in seiner fotografischen Praxis vor allem um die Betonung der „apparativen Seite des photographischen Prozesses“ sowie um die „Souveränität der Photographie gegenüber der Wahrnehmung“. Für Moholy-Nagy liefert der Fotoapparat rein objektive Bilder, während das menschliche Auge das Gesehene immer an eine subjektive Assoziation und Ergänzung bindet. Vgl.: Stiegler 2006, S. 198.
26 Maria Engelskirchen, Zwischen Imagination und Geopolitik. Max Ernsts Europa nach dem Regen, in: all-over, Magazin für Kunst und Ästhetik, Nr. 4, Frühjahr 2013. URL: http://allover-magazin.com/?p=1702 [14.9.2016].
27 Einer der wichtigsten und ausschlaggebenden Faktoren für ein verändertes Fotografie- und Wirklichkeitsverständnis seit den 1990er Jahren ist fraglos im digitalen Wandel zu finden, der das Zeitalter der so genannten „Post-Fotografie“ einleitet. Mit Ersetzung des analogen Fotofilms durch einen Chip ändert sich die fotografische Information vom Indexikalischen ins Diskontinuierliche. Hierdurch besteht keine Kausalität mehr zwischen Referent und Fotografie, da das aus Algorithmen bestehende Bildprodukt viele, nicht mehr nachweisbare Veränderungen durchlaufen kann. Vgl.: William James Mitchell, The Reconfigured Eye. Visual Truth in the Post-Photographic Era, Cambridge MA 1992.
28 Der Begriff des „kritischen Dokumentarismus” ist unter anderem auf Hito Steyerl zurückzuführen und thematisiert sowie problematisiert die vermeintliche Objektivität dokumentarischer Bilder, welche bestimmten ästhetischen und diskursiven Kriterien folgen. Vgl. Hito Steyerl, Die Farbe der Wahrheit – Dokumentarismen im Kunstfeld, Wien 2008.
29 Nicholas Mirzoeff, The Right To Look: A Counterhistory of Visuality, London 2011.