Im Überfluss die Orientierung finden

Review: Laura Hinrichsmeyer: Kennen Sie diese Frau, Gärtnergasse, Wien

Zur Eröffnung der ersten Einzelausstellung von Laura Hinrichsmeyer (*1986, Sindelfingen) mit dem Titel Kennen Sie diese Frau [sic] im Wiener Artist Run Space Gärtnergasse grillten die Künstlerin und ihr Kollege Philipp Grünewald Hühnerherzen in einem schmalen, hochformatigen Metallofen im Garten.1 Anschließend verteilten sie diese auf Spießchen ans Publikum. Der vordere Bereich der Gärtnergasse blieb dadurch reine Ausstellungsfläche, während der dahinterliegende Garten eine Sogwirkung für das soziale „Gathering“ erzeugte und so die räumliche Trennung von „Opening” und „Ausstellung” deutlich machte. Darin äußert sich bereits das Ausstellungssetting, denn Artist Run Spaces bieten im Vergleich zu institutionellen Rahmen eine freiere Möglichkeit des Experimentierens an: nicht nur für das vorsichtige Zeigen der eigenen künstlerischen Produktion, sondern auch für die weitere Einordnung der künstlerischen Persönlichkeit in soziale Netzwerke und historische Kontexte. Gewissermaßen ist nicht nur wichtig, dass man in einem Raum gezeigt wird, sondern auch in welchem, welches Publikum erscheint und wer darüber redet. Diese karrierefördernde Zuordnung in ein künstlerisches Umfeld geschieht vielfach weniger zufällig als gezielt strategisch.

Abb. 1: Laura Hinrichsmeyer, Kennen Sie diese Frau, Mindmap, Text und Bild in Kollaboration mit Stine Olgod, Gärtnergasse, Wien 2017. Foto: Philipp Friedrich.

Kehrt man zum Hauptraum der Gärtnergasse zurück, findet man einen Stapel illustrierter „Mind Maps” statt klassischer Pressetexte vor (Abb. 1). Sie bieten den Einstieg zur Ausstellung, die die Verdoppelung und Überschneidung der faktischen und medialisierten Realität zum Thema hat. Die „Map” im A3-Format referenziert auf die sichtbarsten Elemente der ausgestellten Leinwände: Wie auf einem Brettspiel versuchen sich anonymisierte Figuren zwischen Pop-Zitaten, Sprechblasen mit Sätzen wie „Illusions are her Game” oder „Millenials Plaque” und klassischen feministischen Avantgarde-Künstlerinnen wie Eva Hesse oder Lee Lozano zurecht zu finden. Diese entwurfsartigen Orientierungshilfen ähneln dabei auffällig den alten Zines der Künstlerin Jutta Koether aus den 1980er Jahren.2 Die Maps legen die persönliche Ausrichtung Hinrichmeyers und ihr feministisches Selbstverständnis von vornherein fest, um die Ausstellung wie eine Hintergrundfolie zu begleiten: sowohl auf formalästhetischer und stilistischer Ebene als auch durch die Annäherung der eigenen Position an die Geschichte bekannter, weiblicher „Rollenbilder“.

Die fünf Gemälde an den Wänden sind in ihrem Format ähnlich groß und hoch wie der Ofen im Garten und geben eine Fülle an Symbolen, Zitaten und Portraits wieder (Abb. 2). Diese sind eingeteilt in einzelne Bildfelder, die mit einer versierten Pinselführung gemalt und untereinander verbunden wurden. Dabei folgt die Technik des Farbauftrags mehr der Linie als der groben farbigen Fläche. Die Farbpalette reicht überwiegend von schlammigen gelben, grünen, roten und braunen Tönen hin zu schwarz, wodurch die Bilder eine düstere, tragische Atmosphäre entwickeln (Abb. 3). Ein flackender und unruhiger Effekt wird durch die Beimengung von unterschiedlichen eisblauen, pinken und orangen Farbnuancen erzeugt. Ohne jeglichen malerischen Gestus – wie etwa ein affektreiches, dickaufgetragenes Klatschen von Farbe auf Leinwand – zu exponieren, zielen die Bilder also geschickt darauf ab, in einer übertrieben „phantasievollen“ Art Bildüberlagerungen zu transportieren: etwa wenn die Darstellungen ihrer Freundinnen in den Bildern Anleihen an Sci-Fi Stereotypen nehmen. Dasselbe gilt auch für die gemalten Schlangen und Augen, die aus den Bildern heraus der Betrachterin entgegenblicken und dadurch den narzisstischen Impetus einer jeden Solo-Show und des paradigmatischen Selfies der zeitgenössischen Bildkultur demonstrieren.

Abb. 2: Laura Hinrichsmeyer, Kennen Sie diese Frau, Ausstellungsansicht, Gärtnergasse, Wien 2017. Foto: Philipp Friedrich.

In einer weiteren Kontextualisierung wird neben dem eigenen Netzwerk auch der Artist Run Space selbst angesprochen. Weil die Gärtnergasse im Zeitraum der Ausstellungskonzeption umgezogen ist, dienen die Türen des alten und neuen Raumes der Gärtnergasse den einzelnen Bildfeldern als motivischer Malgrund. Durch das mimetische Abmalen realer Räume transferieren die Bilder den alten Raum ins Hier und Jetzt des neuen. Symbolisch entsteht durch diesen angedeuteten Trompe-l’Œil-Effekt ein fiktiver Zugang zu Orten und Zeitpunkten, der „Eintritt“ in eine erweiterte Realität verschafft. Diese Erweiterung dehnt sich in den virtuellen Raum aus und wird anhand von Play-, Pause-, Forward-Buttons und anderen bekannten Icons sowie dem Kopf von Donald Trump als Symbol des „Post-Faktischen“ und der „Alternative Facts“ verstärkt. Zusätzlich wird den Bildern die eigene Online-Erscheinung vorweggenommen, indem sie einen Hinweis zur Persönlichkeitsdarstellung im Netz legen. Denn in ihren schmalen Formaten und gereihten Bildfeldern erinnern sie an endlose Instagram- und Newsfeeds, die in ihrer rhizomatischen, verlinkenden Anordnung, Informationen und Verbindungen durch wiederkehrende Motive darstellen. Daraus ergibt sich eine Malerei, die versucht, unterschiedlichste Formen zirkulierender Bilder und deren Überlagerung von Zeitebenen, Räumen und dem Eigenen zu vereinen. Genau in diesem Netzwerk findet die Rezeption der künstlerischen Person und ihrer künstlerischen Produktion statt, die von der Künstlerin in den Bildern aufgegriffen dann zu deren Strategie wird. Der Verweis zum ständigen Begleitgedanken der Onlinerezeption wird somit zur imaginären Selbstbeschreibung, in welcher der Blick von außen zum bestimmenden Moment der eigenen Darstellung wird.

Abb. 3: Laura Hinrichsmeyer, Kennen Sie diese Frau, Ausstellungsansicht, Gärtnergasse, Wien 2017. Foto: Philipp Friedrich.

Der Wendepunkt der Ausstellung manifestiert sich jedoch draußen, an der gefühlten „Peripherie” des Ortes, nämlich bei der Einfahrt zum Parkplatz der Gärtnergasse. Hier befindet sich ein Gatter mit Sperrmüll und – ganz unscheinbar – ein riesiger Stuhl aus Pappmaché, der in der Ecke lehnt (Abb. 4). Er gehört zur Möbelgruppe zweier fragiler, grauer Tischchen mit bronzenen Schlangen am Boden, die sich im Ausstellungsraum befindet. Auf den ersten Blick scheint dieser Stuhl, der beinahe übersehen wird, als einsamer Thron (abseits des Ausstellungsgeschehens) achtlos in die Ecke gestellt worden zu sein – noch dazu an einem Ort, der von den Besucherinnen nicht wirklich begangen wird. Es ist eine alberne aber umso „aufgeblasenere“ Geste, die unvermeidlich an eine Kölner Tradition von Martin Kippenberger erinnert, in der die Arbeit einen absurden, langsam entfaltenden Witz formuliert, der keine eigentliche Pointe besitzt.3 Oder warum sollte ein riesiger, unpraktischer Stuhl an diesem Unort platziert werden, der dadurch erst tragisch-melancholisch und komisch wird und in seiner Außenseiterposition innerhalb der Ausstellung umso „liebenswerter“ erscheint?

Abb. 4: Laura Hinrichsmeyer, Kennen Sie diese Frau, Ausstellungsansicht Außenbereich, Gärtnergasse, Wien 2017. Foto: Philipp Friedrich.

Geht man in den Garten zurück, findet man zwei grün-glasierte, spitzförmige Tonreliefs, die – vom Boden aus nach oben – auf alten niedrigen Stellwänden befestigt wurden. Sie zeigen figurative Formen von Gras und gezeichneten Frauenköpfen (Abb. 5). In diesen „Wiesenfortsätzen“ kriecht der Grasboden wieder in das Format des Bildes hinein, um gleichzeitig den belasteten Umweg über das skulpturale Relief zu machen. Damit wird nicht nur das ambivalente Verhältnis von Malerei und Skulptur angesprochen, sondern auch eine rein medienspezifische Ausstellung zu einer transgressiven Malerei hin geöffnet.4 Umso mehr spiegelt sich in Bildern und Skulpturen der Aufgriff einer revidierten Malereidebatte wider, die trotz angereicherter Formate wie Performance, Installation und Musik immer Malerei bleiben will, die ihren Rahmen dehnt, diesen aber nicht verlässt.

In letzter Konsequenz wurde die Toilette der Ausstellung mit einer kleinen Collage über dem Spülkasten bespielt, die Bildausschnitte verschiedener neuzeitlicher Malereien und die anonymisierte Spielfigur aus der Mindmap zeigt. Wie das Ziel auf einem Spielbrett findet hier der Ausstellungsrundgang sein Ende. Dieser führte vom zentralen und konkreten Ausstellungsraum hinaus in jeden räumlichen Winkel, steckte dabei Malerei und Material ab, um im Finale mit einer frechen aber vielleicht überflüssigen Erklärung am intimsten Ort eines Ausstellungsbesuches aufzuwarten. Umso ausgereizter wird diese Erfahrung als da auf einem USB-Stick zur Ausstellung noch ein 5:12-minütiges Musikstück mit dem Titel Profiling hinzukommt. Der Dialog, der zwischen zwei Personen mehr oder weniger hin und her läuft, wurde von Hinrichsmeyer eingesprochen und lässt die Frage des anderen jeweils unbeantwortet. Allgemeinplätze wie „Why people feel so less?”, „Do you read a book, everyday?” oder „Can you give me a feedback?” verlaufen ins Leere und klingen mit Elektro-Sounds und Sci-Fi Klängen aus. Es ist ein Brückenschlag zum Anfang der Ausstellung der zugleich konkret nach der eigenen Position und dem „Profiling“ in einem sozialen Netzwerk fragt ohne je beantwortet zu werden – und trotzdem ganz existentiell für den Beginn einer künstlerischen Karriere ist.

Abb. 5: Laura Hinrichsmeyer, Kennen Sie diese Frau, Ausstellungsansicht Außenbereich, Gärtnergasse, Wien 2017. Foto: Philipp Friedrich.

Schlussendlich bleibt das Gefühl einer Übersättigung übrig, das thematisch auch in den Bildern wiederkehrt und sich in allen Ebenen der auditiven, haptischen, visuellen und geschmacklichen Wahrnehmung der Besucherin eingeschlichen hat. Auffallend bleibt mit welcher Aufdringlichkeit die Themenbearbeitung und Informiertheit, auch über die zeitgenössische Debatte einer erweiterten Malerei oder der feministischen Positionierung als Künstlerin, in der Ausstellungsanordnung auftritt: Zu viele Codes, zu viele Bilder, zu viele Symbole und eigentlich auch zu viele Kunstwerke. An jedem Ende des Ausstellungsraums befindet sich ein kleines Objekt, ein Hinweis auf der programmatischen Mindmap, die strategisch versucht, die Eindringlichkeit der komplexen Überfluss-Thematik zu verdeutlichen. Gleichzeitig kann aber der Vorwurf gebracht werden, dass es sich hierbei um eine Ausstellung handelt, die abbildet und bisweilen selbst affirmativ am Überflussprozess teilnimmt. Hinrichsmeyers düster angehauchte Arbeiten dienen dann dem Abstecken der sozialen, digitalen und räumlichen Grenzen, innerhalb derer es sich zu orientieren gilt – doch vermeiden sie es, eine Alternative für die augenscheinliche Verzweiflung anzubieten. Sie arbeiten mit dem, was an dystopischer und bedrängender Überflutung vorhanden ist, und zielen darauf ab, im undefinierbaren Simulacrum auf Grund zu stoßen, sich neu zu positionieren und den eigenen Weg darin zu finden. Die Ausstellung funktioniert daher als gesamtes Konzept und durch die Stärke der Malereien, in der die einzelnen strukturellen Elemente oder Objekte auf allen Ebenen immer aufeinander Bezug nehmen und dadurch eine Dichte und Fülle an Information generieren. Sie geben im Spiel mit Symbolik und Referenzmittel die deutliche Auseinandersetzung einer zeitgenössischen Malerei- und Technologiedebatte wieder. Man kann aber auch vorsichtig fragen, ob die Bestätigung und Abbildung der aktuellen melancholischen und furchteinflößenden Realität allein zielführend ist, oder ob nicht vielmehr das Aufzeigen möglicher Gegenentwürfe produktiv auf die Realität rückwirken kann.

Laura Hinrichsmeyer: Kennen Sie diese Frau, 4.–21.5.2017, Gärtnergasse, Wien


1 Laura Hinrichsmeyer ist genau wie Philipp Grünewald Teil des 8-köpfigen KünstlerInnenkollektivs XACTO Bar, einer klar formulierten Koch- und Dinnerperformance.

2 Vgl. Jutta Koether, massen – malerei und versammlung, Vienna 1991.

3 Vgl. Gregory H. Williams, Permission to Laugh. Humor and Politics in Contemporary German Art, Chicago 2012, S. 125 und Stefanie Lieb, Tierisch Komisch. „Hühnerdisco“, „Bärensocke“ und „Fred the Frog“, in: Roland Kanz (Hg.), Das Komische in der Kunst, Köln 2007, S. 299-304. Ich denke hier assoziativ an Martin Kippenbergers „Betrunkene Laterne“ (Köln 1988), oder gar an seine U-Bahnschächte „Metro-Net. Subway around the World“ (seit 1993), die er irgendwo in der Welt aufstellen ließ.

4 Vgl. David Joselit, Painting besides itself, in: October, 130, 2009, S. 125-134.

Florentine Muhry studierte Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Graz, Wien und Paris-Sorbonne IV und arbeitet als kuratorische Assistentin in der Halle für Kunst Lüneburg, sowie als freiberufliche Kuratorin in Österreich und der Schweiz.
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