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Ort des Geschehens ist der Schweizer Pavillon der 56. Biennale di Venezia; genauer die Installation Our Product, die Pamela Rosenkranz dort eingerichtet hat. Von außen zeichnet sich der ästhetische Eingriff der Künstlerin bereits ab: Die üblicherweise weiße Beschriftung links des Eingangs wurde wie der Fahnenmast, die Stützen und die Innenseite des Eingangsbereichs in mintgrüner Farbe gestrichen; die beiden versetzten, über dem Pavillon aufragenden, verglasten Dachkonstruktionen setzen diese koloristische Intervention fort und spannen zusätzlich eine optische Gegenüberstellung auf. Während sich am Dach links des Eingangs ein saturierter, grünlicher Schein manifestiert, ist das zweite in einen Babyrosaschimmer getaucht (Abb. 1). Die formale Bestimmtheit dieser Gegenüberstellung lässt uns den Eingangsbereich farblich der linken Seite des Pavillons zuordnen, was nicht bloß zur Annahme die Hand bietet, dass der gesamte Pavillon eine klare Organisation aufweist, sondern auch die Frage aufwirft, wie Rosenkranz im Inneren des Pavillons – in der von außen unsichtbaren Zone – den Übergang von der einen zur anderen Seite bewerkstelligt.
Die Beantwortung der Frage erweist sich nach dem Betreten der Ausstellung erheblich schwieriger, als es der erste Augenschein der minimalistisch glatten, diachromen Gestaltung vermuten ließ: Noch im Eingangsbereich tönt aus verborgenen Lautsprechern eine weibliche Stimme, die sich weder deutlich noch laut genug artikuliert, um störungsfrei verständlich zu sein. Diese initiale Erfahrung im Inneren des Pavillons bestätigt sich, wenn ein paar Meter weiter die diffuse Stimme von einem leicht modrigen Geruch abgelöst wird, dessen Quelle ebenso versteckt bleibt. Synchronisiert sind diese Eindrücke mit den durchgehend mintgrünen Wänden, deren Grün, wie im Inneren der Anlage zutage tritt, von neun LED-Leuchten intensiviert wird, die mit ihrem ebenfalls grünen Licht den überdachten, aber offenen Bereich des Pavillons von der Außenwand der Anlage her fluten (Abb. 2). So zeigt sich der Pavillon leer von Objekten, jedoch mit intensiven sinnlichen Eindrücken gefüllt, die – so steht zu vermuten – einem Erfahrungskonzept unterliegen. Es fällt schwer, das eigene Empfinden nicht als kompromittiert wahrzunehmen; der Eindruck der sinnlichen Insuffizienz, die einwirkenden Affektionen zu bewältigen, stellt sich zunehmend ein; sich zu orientieren wird schwieriger und selbst die Kontur des eigenen Körpers, die sich als Schatten auf den Wänden abbildet, wird durch die polyzentrische Beleuchtung fortlaufend schwerer zu fassen. Einen Ausweg aus der Situation scheint ein kleiner Durchgang in der rechten Wand zum Innenraum des Pavillons zu bieten, aber zu viele Besuchende reihen sich davor, als dass er schnell und einfach zu erreichen wäre; dazu ein unachtsamer Blick zurück zu den grellen LED-Leuchten im Hof – der anfängliche Eindruck der Insuffizienz weicht der Bedrängung.
Über die beschriebenen Ebenen der Affektion dringen, wie Markus Klammer bemerkte, die Ingredienzien der Installation in unsere Körper ein und verweben uns mit der immersiven Struktur des Pavillons.[1] Die Reaktion des Körpers auf diese Infiltration kann durchaus unangenehm ausfallen. Der daraus resultierende unangenehme Zustand führt dazu, dass ich die Begehung und Beschreibung abbrechen und den Pavillon abrupt verlassen muss, um an der frischen Luft auszuruhen. Aber das schafft immerhin Zeit dafür, den Ausstellungstext zu lesen und eine andere Herangehensweise an die wirkungsästhetische Konzeption des Pavillons zu versuchen.
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Susanne Pfeffers Text liest sich wie ein Hybrid aus Manifest und press release – ein Format, aus dem sich schließen lässt, dass dem Text nicht bloß eine explikative Funktion zukommt, sondern dass er als integraler Bestandteil der Arbeit aufgefasst werden soll; eine Kollaboration, auf die ich zurückkommen werde. In Bezug auf die Bestandteile der Arbeit erfährt man, dass auch der Geruch tatsächlich zur Installation gehört. Es handelt sich um synthetisch hergestellten Moschus: „If dosed correctly, the odor it yields is perceived as enticing. An overdose, however, smells repellent.“[2] Außerdem ist zu erfahren, dass sich die Substanz großer Beliebtheit in der Kosmetikindustrie erfreut, weil sie hilft, andere Gerüche bei der Applikation auf die menschliche Haut zu stabilisieren. In synthetischer Form ist Moschus nur teilweise biologisch abbaubar; Rückstände davon wurden im Abwasser, in Tieren, Pflanzen und auch Menschen gefunden. Dass Rosenkranz‘ Arbeit eine Kritik dieser ökologischen Situation sein soll, geht aus Pfeffers Text nicht hervor; im Gegenteil ist es gerade die Kategorie des Synthetischen, die Pfeffer Anlass zu einer weit greifenden Spekulation bietet: „[…] thinking a universe beyond humanity and conceptualizing matter as inherently intelligible are among the urgent tasks of our present. If matter is indeed in itself intelligible, the anthropocentric construction of humanity turns out to be obsolete. […] At a time when humans gradually transform into cyborgs, the foundational distinction between ‘organic’ and ‘synthetic’ evaporates. […] Inside and outside, active and passive – these are no longer clearly definable oppositions.“[3]
Der Auszug aus Pfeffers Text umreißt, was mit Our Product auf dem Spiel steht. Die Arbeit will ein neues Verhältnis von Mensch und Welt entwerfen, das den anthropozentrischen Zugriff der Menschen auf die Welt zugunsten eines biochemischen Physikalismus ablöst; eine Konzeption, die den Menschen als einen komplexen physiologischen Apparat versteht, dessen elementare Komponente biochemische Abläufe darstellen. Unterscheidungen wie Innen und Außen, Mensch und Maschine, natürlich und künstlich werden nach diesem Modell obsolet und die Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt wird analog zur Unterscheidung von organischen oder synthetischen Stoffen nivelliert. Die Dinge existieren an sich, unabhängig von ihrer Beziehung zum denkenden und wahrnehmenden Subjekt und die Art und Weise, wie sie aufeinander wirken, liegt jenseits unseres perzeptiven Vermögen;[4] so seien die von der Frauenstimme im Pavillon aufgezählten Materialien (Necrion, Carneam, Melosone und so weiter) „materials that have made the distinction between synthetic and organic and between subject and object impossible.” [5]
Die These, die im Folgenden entwickelt wird, zielt darauf, der Vorstellung einer Auflösung des Subjekts in Rosenkranz’ Werk dessen Synthetisierung – seine Durchmischung mit künstlichen Stoffen und Materialien – entgegenzuhalten, die die Frage nach Subjektivität gerade erneut aufwirft anstatt sie zu verabschieden. Im Gegensatz zum Anspruch der Auflösung wird hier behauptet, dass ihr Werk eine Topologie entfaltet, die entlang von räumlichen Bezügen wie Orientierungsproblemen und umgestülpten Verhältnissen eine veränderte Subjektivität aufrichtet.
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Mein Argument baut zunächst auf die Annahme, dass sich die Beziehung zwischen Subjekt und Technologie seit der jüngsten Vergangenheit signifikant verändert; speziell mit der andauernden Finanzkrise der späten Nullerjahre und der damit verbundenen, zunehmenden Digitalisierung ökonomischer Prozesse in den letzten zwanzig Jahren. Wie Kerstin Stakemeier vorbrachte, hat die Finanzkrise eine tiefgreifende Diskrepanz zwischen dem materiellen Leben der Menschen und dem digitalen Funktionalismus ihrer Maschinen (Computer) gezeitigt. Die digitalisierten Börsenhandlungen hatten einen Automatismus erreicht, aus dem die Menschen als Fehlerquelle zwar suspendiert waren, deren Auswirkungen sich aber dennoch – mit dem Verlust von Häusern, Renten, Ersparnissen und so weiter – mitten in ihren Leben materialisierten.[6] Damit überschritt die „Funktionalisierung technischer Objekte“ – die ontologische Trennung von Menschen und Maschinen – ihre kritische Grenze und drohte sich in jenes apokalyptische Szenario auszuleeren, das abzuwehren eigentlich ihre Aufgabe war: die Unterwerfung der Menschen durch mächtige, lebensfeindliche Maschinen (Abb. 3).[7]
Im aftermath dieser Bedrohung konfigurieren sich KünstlerInnenpositionen wie diejenige von Rosenkranz: 2009 begann die Künstlerin mit der Werkserie Firm Being, die aus PET-Flaschen bekannter Wassermarken wie Evian, San Benedetto und FIJI besteht. Anstatt mit Wasser stellte sie die Flaschen mit Dragon Skin gefüllt aus, einer Silikonflüssigkeit, die in der Filmbranche für artifizielle Wund- und Hautpartien verwendet wird.[8] Für Rosenkranz repräsentieren diese Wassermarken das Versprechen einer Reinheit, die darauf beruht, dass das Wasser einem natürlichen Prozess (bei FIJI etwa „untouched by man“) entspringt und die Menschen, die das Wasser trinken, diese Reinheit aufnehmen können, um sich gegen die Unreinheiten unserer Gegenwart zu wappnen.[9]
Dragon Skin jedoch stülpt dieses Versprechen um. Gefüllt mit dem opaken Material verlieren die PET-Flaschen ihre Transparenz und damit einen Indikator ihrer Reinheit; statt der Transparenz sehen wir den europiden Hautton der designierten KonsumentInnen des Wassers (Abb. 4).[10] Das Ersetzen des Wassers mit der Silikonflüssigkeit kann dabei als eine Allegorie für die Präsenz menschlicher Manipulation beziehungsweise synthetischer Stoffe gelesen werden, die im Hinblick auf Herstellung, Verpackung und Vermarktung auch die „reinsten“ Produkte heimsucht; ein Aspekt, den Rosenkranz mit der Verwendung von synthetischem Moschus, dessen Rückstände im Grundwasser nachgewiesen wurden, sechs Jahre später mit Our Product wieder aufnimmt. Dragon Skin scheint hier aber nicht nur farblich, sondern auch materiell, als prosthetisches Mittel für die Haut des menschlichen Körpers zu stehen. Dass es sich um ein Substitut und nicht um richtige Haut handelt, spielt hierbei eine zentrale Rolle. Denn das Eingießen von artifizieller Haut in die Plastikflasche inszeniert – so die Umstülpung – den menschlichen Körper selbst als eine synthetische Realität. Die Fiktion, die das Versprechen der Reinheit entwirft, umfasst nicht nur Ursprung und Gewinnung der Wasser, sondern die Menschen, die ihre eigene Reinheit angeblich gegen verschiedenste Manifestationsformen von Technologie verteidigen müssen.[11]
Doch paradoxerweise unterschlägt auf der Ebene der Vermittlung gerade die populäre Fiktion einer fundamentalen Opposition von Natur und Technologie, dass ihr selbst wiederum auf der Ebene der Produktion eine massive Funktionalisierung technischer Objekte zugrunde liegt; neben dem logistischen Apparat, der das Produkt von seiner exotischen Quelle zu seinen internationalen KonsumentInnen bringt, ist das vor allem die Digitalisierung als technisches Objekt ökonomischer Vermittlung.[12] Das führt zurück zur Finanzkrise, denn „die fortschreitende Finanzialisierung des Kapitals seit den Neunzigerjahren basierte eben nicht zuvorderst auf einer erweiterten Technisierung der Produktion, sondern der grundlegenden Digitalisierung nicht nur der Produktion, sondern vor allem ihrer Distributions- und Bewertungsinstanzen. Der Fokus verschob sich von der Produktion von Waren auf deren Vermittlung“.[13] Ein bezeichnendes Beispiel dafür sind die von Rosenkranz verwendeten Wassermarken Evian und FIJI, die den Reinheitskontrast zwischen prähistorischer Vergangenheit und Gegenwart mit neuester digitaler Technologie besonders affektiert suggerieren und über das Internet zirkulieren lassen.[14] Rosenkranz wiederum schließt nicht nur an die bestehende mediale Vermarktung ihrer Referenzprodukte an, sondern integriert mit Firm Being selbst ein Strukturmerkmal digitaler Vermittlung, indem sie die Arbeiten für den Katalog von einem für kommerzielle Fotografie ausgebildeten Fotografen ablichten ließ. Dadurch präsentieren sich ihre Publikationen weniger wie eine Werkdokumentationen denn als glatte Werbeoberflächen, die die Zirkulation eines Produkts erleichtern sollen.[15]
Dass die Krise reaktionäre Topoi wie die Opposition von Mensch und Technologie aktualisierte, ist angesichts einer landläufigen Unvertrautheit mit der Funktionsweise moderner Technik wenig verwunderlich.[16] Aber sie perpetuieren den Fehlschluss, dass technische Objekte keine menschliche Wirklichkeit enthielten.[17] Rosenkranz’ Arbeiten hingegen gehören zu einer Reihe von ästhetischen Reaktionen (und Orientierungsansätzen), die gegen die Krisenhaftigkeit der Funktionalisierung technischer Objekte die Durchmischung von Mensch und Technologie, das heißt Organischem und Synthetischem, ins Zentrum stellen.[18] Wie Gilbert Simondon schon in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts forderte, inszenieren ihre Arbeiten, „dass die Kultur in der technischen Wirklichkeit eine menschliche Wirklichkeit verkennt und dass die Kultur […] die technischen Wesen […] eingliedern muss“.[19] Rosenkranz‘ Werke beschränken sich dabei nicht auf ein Spiel mit der digitalen Produktion von Subjektivitäten – schließlich ist Dragon Skin in unzähligen Filmen als reale Haut innerhalb eines fiktiven, digital bearbeiteten Szenarios zu sehen – sondern umfassen auch jene biochemische Dimension, die die Menschen als durchdrungen (Our Product) und eingefasst (Firm Being) von synthetischen Stoffen begreifen. Dass aber mit dem synthetischen Menschen, wie Susanne Pfeffer es im Saaltext für den Schweizer Pavillon postulierte, nicht etwa das Konzept eines synthetischen Subjekts einhergehen soll, sondern die Synthetisierung des Menschen von der Auflösung des Subjekts begleitet wird, ist ebenfalls keine historische Koinzidenz.
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Die Konferenz „Speculative Realism“, die 2007 am Goldsmiths College in London stattfand, gilt als Initialisierung jener philosophischen Tendenzen, die unter demselben Namen geläufig wurden.[20] Auch der Spekulative Realismus wendet sich, wie es Pfeffer für Our Product veranschlagte, gegen die anthropozentristische Vorstellung, dass das erkennende Subjekt der Umschlagpunkt jeden Weltbezugs sei. „Speculative Realism insists upon the independence of the world, and of things in the world, from our own conceptualisations of them. It rejects […] that the order of the world depends upon the way that our minds (or languages, or cultures) work to structure it. And it also rejects the phenomenological assumption of a primordial reciprocity or correspondence between self and world, or subject and object, or knower and known.”[21] Gegen die epistemologische Reflexion (dem Wie unseres Wissens), die mit der Überlegung kulminiert sei, dass wir letztlich nie über die Dinge in der Welt sprächen, sondern immer nur über uns, das heißt über unseren Prozess der Begegnung mit der Welt, mobilisiert die spekulative Philosophie eine neue Ontologie (das Was der Dinge), die nicht nur eine Welt jenseits unserer Subjektivität anerkennt, sondern das Denken über die und in der Welt vom Selbstbezug des Subjekts abzukoppeln versucht.[22]
Nicht zufälligerweise teilen sich Susanne Pfeffer, Pamela Rosenkranz und der Spekulative Realismus dieses Ziel, denn ein Symposium im Rahmen der von Pfeffer kuratierten Ausstellung „Speculations on Anonymous Materials“ (Fridericianum Kassel, 29. September 2013 – 26. Januar 2014) hatte die spekulative Philosophie (mit Iain Hamilton Grant, Robin Mackay, Reza Negarestani und anderen) als Schicksalsschwester der Kunst mit ausgestellten KünstlerInnen wie Pamela Rosenkranz zusammengebracht.[23] Vor dieser Folie lassen sich sowohl die Einladung an Susanne Pfeffer, 2015 den Schweizer Pavillon zu kuratieren, wie auch die spezifische philosophische Perspektive ihres Saaltexts erheblich besser nachvollziehen. Robin Mackay und Reza Negarestani hatte die Künstlerin schon früher eingeladen, Beiträge für ihre umfangreiche Publikation No Core (2012) zu verfassen; eine Kollaboration, die sich bei Robin Mackay bis zu dessen beratender Funktion für den Schweizer Pavillon fortsetzte.[24] Zu diesem Naheverhältnis meint Rosenkranz: „Speculative Realism is a vague umbrella term and I don’t see my work as exemplary of it in a direct way. I am just interested in engaging with philosophers who incorporate contemporary ideas in their theories. I have tried to understand the implications that Reza’s and Robin’s work holds for art.“[25] Obwohl Rosenkranz eine Zugehörigkeit ausschlägt, bleibt deutlich, dass von der Arbeit dieser Philosophen (offenbar alles Männer) eine Attraktivität ausgeht, in die einzuschreiben sich für die Künstlerin lohnt.[26] Konkret scheinen es Mackays und Negarestanis Inkorporationen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zu sein: „How do we connect with art biologically? […] I am concerned with exploring how scientific findings change popular conceptions of what it means to be human. […] For example, it’s interesting how advances in neuroscience challenge our understanding of identity. […] I try not to think about art in terms of the primacy of subjective interpretation, but to engage with the reality of materials beyond our affective engagement with them.“[27] In Anlehnung an den Philosophen Thomas Metzinger, der sich im Bereich der Theoretischen Philosophie an den aktuellsten Ergebnissen der Kognitions- und Neurowissenschaften orientiert, bedeutet das im Fall Robin Mackays die Verwerfung des subjektkonstituierenden Selbstbezugs, da der Selbstbezug lediglich eine evolutionsbedingte Funktion unserer neurologischen Organisation darstelle: „The first-person point of view – the experience of the self as an immediate yet unfathomable phenomenon through which all experience passes – is an instrumental screening that sequesters the model from the very process of representation that generates it.“[28] Negarestani wiederum veranschlagt in seinem Aufsatz „Darwining the Blue“ das Ende der Kunst als „last bastion of human narcissism“, wobei er die Kunst (Rosenkranz ausgenommen) – und wahrscheinlich auch den kritischen Diskurs dazu – über weite Strecken als eine reaktionäre Ablehnung der „sweeping scientific extirpation of the manifest image of ourselves and the world we inhabit“ begreift.[29]
Die Auflösung des Subjekts, für die sich Rosenkranz im Anschluss an diese Philosophen interessiert, ist offenbar eine naturwissenschaftliche.[30] Sie verortet den Verlust der Subjektivität im „Verschwinden des Menschen“ infolge seiner naturwissenschaftlichen Objektivierung („beyond our affective engagement“), die, wie Gerhard Gamm meint, die Menschen als Subjekte des Kalkulierens und Rechnens selbst zum Gegenstand von Kalkulation und der Berechnung werden ließ.[31]
Im Anschluss an den vorangegangenen Abschnitt ist diesem Umschlag der Kalkulationsinstanz allerdings eine entscheidende, epistemologische Komponente hinzuzufügen: die Digitalisierung naturwissenschaftlicher Methoden. Analog (und zeitgleich) zur Spekulation auf das digitalisierte Kapital, die die Finanzkrise verursachte, spekuliert die hier skizzierte Variante des Spekulativen Realismus auf die digitalisierten Naturwissenschaften, deren Daten ebenfalls maßgeblich aus computerbasierten Verfahren und Berechnungen hervorgehen. Just in der automatisierten Verarbeitung von Datenmengen, die ohne Digitalrechner (Computer) nicht verarbeitet werden könnten und deren Resultate außerhalb ihrer Digitalität kaum zu überprüfen sind, dürften diese Philosophen eine Befreiung aus der anthropozentrischen (poststrukturalistischen) Zwangsjacke sehen; schließlich hat sich die Naturwissenschaft damit über weite Strecken von einem „trivial phenomenological engagement“ mit der Natur verabschiedet, in der das Subjekt Umschlagpunkt empirischer Beobachtung war.[32] Weshalb aus einer solchen Spekulation die philosophische Verabschiedung des Subjekts zu folgen habe, ist fragwürdig. Die Beziehung von Subjekt und Technologie wird hier vom Spekulativen Realismus mit dem Argument abgebrochen, dass die Technologie (die Digitalisierung der Naturwissenschaft) das Subjekt überflüssig werden ließ. Doch dieses Argument scheint entscheidend zu verkennen, dass es sich primär nicht um eine Auflösung des Subjekts, sondern um dessen Neubestimmung vor der Folie eines naturwissenschaftlichen Dispositivs handelt, die der Spekulative Realismus hier anvisiert. Wieder auf das Gebiet der Kunstwerke hin gewendet, stellt sich vor allem die Frage, wie sehr der diskursive Anspruch, der vonseiten der Theorie oder der KünstlerInnen an die Arbeiten gestellt wird, in den Werkstrukturen eingelöst wird. Auf den Anspruch, dass sich das Subjekt in Rosenkranz‘ Werken auflöst, möchte ich nach diesem Exkurs in die diskursive Verortung ihrer Arbeit und deren Kritik zurückkommen.
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Mittagszeit an jenem kühlen Oktobertag in Venedig; erholt vom ersten Besuch des Schweizer Pavillons. Die meisten Besuchenden der Biennale verpflegen sich gerade in einem der Restaurants auf dem Areal, was einem zweiten Besuch des Pavillons mehr Erfolg verspricht.
Durch den Eingangsbereich hindurch, an der Stimme vorbei, in den grünen Raum mit dem ambivalenten Moschusgeruch positioniere ich mich vor dem Durchgang, der zuvor nicht zu erreichen war. Gerahmt und mehrere Meter tief zeichnet sich am Ende des Ganges eine Brüstung ab und darüber ein rechteckig eingefasstes, graues Schimmern (Abb. 5). Letzteres lässt mich – nicht zuletzt aufgrund der Farbgebung und des Formats – an Untitled XIII (1975) von Willem de Kooning denken, in dem sich – markiert von pinken, roten und grauen Farbflächen und Pinselstrichen – ein grau-weißliches Zentrum bildet (Abb. 6). De Koonings Nass-in-Nass-Malerei wird mit ihren weiten Malgesten üblicherweise als eine abstrakte Kunst begriffen, die sich vor allem über die Einfühlung der Betrachtenden in den expressiven Prozess der Malbewegungen ästhetisch nachvollziehen lässt. Doch die Spuren geronnener Farbe und die winkeligen Pinselstriche, die im Zentrum und über das ganze Bild verstreut zu sehen sind, verweisen nicht nur auf den Maler im Material der Farbe, sondern konstituieren auch die Betrachtenden vor dem Bild: „Das Gemälde, obwohl selbst ein Wirbel aus Strichen, Feldern und Spritzern, erkennt unsere räumliche Orientierung an, das heißt, dass es für uns erscheint, die wir aufrecht vor dem Bild stehen. Seine innere Rekadrierung macht aus dem Orientierungsverlust eine Bilderfahrung, die auf den Betrachter hin ausgerichtet ist.“[33]
In Pamela Rosenkranz‘ Pavillon kommt dem gerahmten Durchgang eine vergleichbare Funktion zu. Durch den körperlichen Prozess der Durchdringung, in den uns die Geräusche, die Gerüche und die diffusen Optiken des Pavillons stürzen, und durch die daraus resultierende Desorientierung hindurch, werde ich vor dem Durchgang als betrachtendes Subjekt optisch aufgerichtet. Die Ausgangsfrage nach der Bewerkstelligung des Übergangs zwischen den beiden Bereichen des Pavillons wird von Rosenkranz offenbar topologisch gefasst, als eine Auseinandersetzung mit räumlichen Strukturen, die wiederum als Ausprägungen eines relationalen Bezugs verstanden werden müssen.[34] Während in Firm Being die PET-Flaschen als räumliche Strukturen beziehungsweise Körper figurierten, um durch die Einstülpung der synthetischen Haut (Dragon Skin) die Synthetisierung des Subjekts, seine Beziehung zu synthetischen Stoffen und hybridisierenden Technologien, strukturell greifbar zu machen, geht Rosenkranz in Our Product noch weiter. Hier wird die räumliche Struktur des Pavillons mit ihren offenen und geschlossenen Bereichen und den darin installierten intensiven Eindrücken zur Ausprägung jener Erfahrung genutzt, wie sehr die Topoi eines körperlich-natürlichen Innen und eines synthetisch-technischen Außen, das heißt unser Selbstbild als abgeschlossenes „Firm being“, nicht zutreffen. Doch die Durchdringung durch die mysteriösen Stoffe (Geruch, Farbe) und die intensive Technik (Stimme, LED-Leuchten) führt im Pavillon nicht zur Auflösung unseres Selbstbezugs, der Anspruch der Auflösung des Subjekts löst sich hier nicht ein: Vor dem gerahmten Durchgang werden die Betrachtenden orientiert und ausgerichtet. Ich gehe in den Gang hinein und gelange zu einem Becken, gefüllt mit rosa Flüssigkeit, die mir bis zur Brust kommt (Abb. 7). Der Titel der Arbeit lässt vermuten, dass wir nach Rosenkranz die Flüssigkeit in diesem Becken sind – und damit hat sie teilweise recht. Aber wir stehen auch am Rande des Beckens und reflektieren unser Verhältnis zur Flüssigkeit und wodurch es bestimmt wird.
Programmiert nach einem Algorithmus, den die meisten nicht verstehen, bringt ein unsichtbarer Motor Bewegung in die Flüssigkeit. Die digitalisierte, biochemische Wirklichkeit indes ist eine menschliche Wirklichkeit: Ihr Umschlagpunkt sind wir, die synthetischen Subjekte.
[1] Vgl. Markus Klammer, in: Markus Klammer, Stefan Neuner, Niels Olsen, Pathmini Ukwattage, Venedig/Biennale 56. Ein Gespräch in situ Teil 2: Der Schweizer Pavillon (Pamela Rosenkranz). Terpentin.org: URL : https://www.terpentin.org/de/venedigbiennale-56-ein-gesprach-situ-teil-2-der-schweizer-pavillon-pamela-rosenkranz [04.03 2016].
[2] Susanne Pfeffer, Our Product (Saaltext für den Schweizer Pavillon der 56. Biennale di Venezia), 2015: URL : http://www.prohelvetia.ch/fileadmin/user_upload/customers/prohelvetia/Programme/Biennalen/Mediendossier_05.05.2015/E_Press_kit_2015.pdf [13. 04. 2016] Im Gegensatz zum synthetischen Moschus wird der natürliche Moschus aus einer Drüse der Moschustiere gewonnen, was zu einer starken Gefährdung der Spezies geführt hat. Vgl. URL: https://www.google.ch/search?q=musk+deer&rlz=1C1JZAP_deAT684AT684&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwiC35PhxejLAhUFWywKHcgGDWsQ_AUIBygB&biw=1706&bih=835 [15. 03. 2016].
[3] Pfeffer 2015.
[4] Vgl. Armen Avanessian/Christoph Cox/Jenny Jaskey/Suhail Malik (Hg.), Realismus, Materialismus, Kunst, Berlin 2015, S. 10.
[5] Vgl. Pfeffer 2015.
[6] Neunzig Prozent der Börsenkursbewertungen werden digital generiert. Vgl. Stakemeier 2014, S. 187.
[7] Stakemeier 2014, S. 187; Gilbert Simondon, Die Existenzweise technischer Objekte. Zürich/Berlin 2012 (Orig. 1958).
[8] Alex Kitnick, Mean Average, in: Centre d’Art Contemporain Genève/Kunstverein Braunschweig E.V./Swiss Institute, New York (Hg.), No Core. Zürich 2012, S. 78.
[9] Aoife Rosenmayer, In the Studio: Pamela Rosenkranz (Gespräch mit Pamela Rosenkranz), in: Art in America, Januar 2015, URL: http://www.artinamericamagazine.com/news-features/magazine/in-the-studio-pamela-rosenkranz/ [15. 03. 2016]
[10] Eine Konsumkritik, auf die bei solchen Arbeiten oft schnell spekuliert wird, wäre daran festzumachen, dass die Betrachtenden durch die Erfahrung dieser Werke ein Bewusstsein für ihr Eingelassensein in ökonomische Prozesse gewinnen. Vgl. Robin Mackay, No Core Dump, in: Centre d’Art Contemporain Genève/Kunstverein Braunschweig E.V./Swiss Institute, New York 2012, S. 49.
[11] Für FIJI siehe: URL: https://www.youtube.com/watch?v=MG_W3qgHNbA; für Evian siehe: URL https://www.youtube.com/watch?v=U2JA4qc4YUs [26. 03. 2016]
[12] Stakemeier 2014, S. 190.
[13] Stakemeier 2014, S. 188. Die Autorin verweist dazu weiter auf den amerikanischen Ökonomen Gerald Epstein, Financialization and the World Economy. Cheltenham 2005.
[14] Vgl. Endnote xiii.
[15] Kitnick 2012, S. 78.
[16] Davon ist anders gelagert auch die Kunsttheorie der letzten dreißig Jahre nicht ausgenommen; z.B. in Gestalt des einflussreichen October-Zirkels um Rosalind Krauss, in dessen Mediendiskussion Technologie zwar eine zentrale Rolle spielt, allerdings stets als degenerative Travestie des Kapitalismus, gegen die sich die modernistische Kunst behaupten muss. Vgl. Rosalind Krauss, Reinventing the medium. in: Critical Inquiry, Vol. 25/2 (1999), 289 – 305; und zuletzt: dies., Under Blue Cup. Cambridge, MA 2011. Ferner geht die negative Perspektivierung des Synthetischen bereits auf Clement Greenberg zurück, der 1939 den Kitsch als synthetische Form begreift. Vgl. Clement Greenberg, Avantgarde und Kitsch, in: ders., Art and Culture. Critical Essays. Boston 1989, S. 15.
[17] Simondon 2012, S. 9.
[18] Stakemeier 2014, S. 190 – 198. Während Stakemeiers sehr aufschlussreiche Lektüre Simondons in Kombination mit ihrer Zeitdiagnose vom Glauben unterlegt zu sein scheint (auch wenn nur vage angedeutet), dass der Kunst eine kritische Rolle in der Überwindung dieser gesellschaftlichen Situation zukommen könnte, wird hier eine werkästhetische Position vertreten, die das Werk als Reaktion bzw. produktionsästhetische Abbildung dieser Situation auffasst, sofern dem Werk nicht die artikulierte Intention einer transformativen Poetik attributiert werden kann. Gegen diese werkästhetische Auffassung vgl. Juliane Rebentisch, Ästhetik der Installation, Frankfurt 2003, besonders S. 276 – 289.
[19] Simondon 2012, S.9.
[20] Mit Ray Brassier, Ian Hamilton Grant, Graham Harman, Quentin Meillasoux; zu den Ergebnissen der Konferenz vgl. Dies., Speculative Realism, in: Collapse, Vol. 3, 2007, S. 307 – 449.
[21] Steven Shaviro, Speculative Realism – a Primer, in: Texte zur Kunst, Nr. 88, März 2014, S. 44.
[22] Shaviro 2014, S. 42 – 44. Ferner zur spekulativen Kritik am “Korrelationismus”, der Bezeichnung für die westliche Philosophie, die das Denken in einer Wechselbeziehung zwischen Mensch und Welt fixiert: Quentin Meillassoux, Nach der Endlichkeit. Versuch über die Notwendigkeit der Kontingenz, Zürich/Berlin 2008.
[23] Festzumachen sei eine solche Schicksalsgemeinschaft einerseits an einem Interesse für neue „realistische und materialistische“ Ideen, das sich an Begriffen wie Anzestralität, Techno-Animismus, De-Anthropozentrismus, Hyperstition etc. ablesen lasse, sowie an historischen Kunstpraktiken, die sich sowohl gegen eine Auffassung von Kunst als symbolische Repräsentationen einer vorgegebenen Welt wie ihrem Verständnis als ontologischem Essenzialismus gegenüber widerständig gezeigt hätten. Vgl. Armen Avanessian/Christoph Cox/Jenny Jaskey/Suhail Malik 2015, S. 22 und S. 20.
[24] Centre d’Art Contemporain Genève/Kunstverein Braunschweig E.V./Swiss Institute, New York 2012. Im Impressum des e-book zum Schweizer Pavillon 2015 wird Robin Mackays Beratung verdankt, vgl. URL: http://ourproduct.net/ [12. 03. 2016]
[25] Rosenmayer 2015.
[26] Ich danke Eva Ehninger für den Hinweis auf dieses Naheverhältnis als eine Frage von Einschreibungsstrategien von KünstlerInnen in (hier) philosophische Diskurse.
[27] Rosenmayer 2015.
[28] Mackay 2012, S. 45. Ferner Thomas Metzinger, Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity, Cambridge, MA 2004.
[29] Reza Negarestani, Darwining the Blue, in: Centre d’Art Contemporain Genève/Kunstverein Braunschweig E.V./Swiss Institute, New York 2012, S. 128.
[30] Wie attraktiv es hinsichtlich Finanzierungen für KünstlerInnen gegenwärtig sein dürfte, die Arbeit an naturwissenschaftliche Zusammenhänge anzuschließen, soll hier weder unterstellt noch weiter untersucht werden (dasselbe betrifft, wenn auch weniger, PhilosophInnen).
[31] Gerhard Gamm, Kunst und Subjektivität, in: Michael Lüthy/Christoph Menke, Subjekt und Medium in der Kunst der Moderne, Zürich/Berlin 2006, S. 56
[32] Negarestani 2012, S. 131.
[33] Ralph Ubl, Von der Malerei zum Bild. Orientierung bei Willem de Kooning, in: Kunstmuseum Basel (Hg.), De Kooning, Paintings 1960 – 1980, Ostfildern 2005, S. 86.
[34] Wolfram Pichler, Topologische Konfigurationen des Denkens und der Kunst, in: Wolfram Pichler/Ralph Ubl (Hg.), Topologie. Falten, Knoten, Netze, Stülpungen in Kunst und Theorie, Wien 2009, S. 23.