ALLES SCHWARZ

Aus Gesprächen mit Judith Cuénod, Nora Locher, Fritz Rösli
Aufgeführt in der Ausstellung Vanishing Point, Ausstellungsraum Klingental, Basel, September 2014
PerformerInnen: Ana Castaño Almendral, Anna Christen, Lucien Haug

Für ALLES SCHWARZ führten Ariane Koch und Sarina Scheidegger mit PerformerInnen, die im Rahmen vorangegangener Performances für das Künstlerinnenduo gearbeitet hatten, Gespräche über das Lohn- und Arbeitsverhältnis. Daraus entstand ein dialogisches Stück, welches in einer Edition von fünf Aufführungen zum Verkauf stand und jeweils von drei PerformerInnen aufgeführt wurde.


ALLE: Eine Edition von 5 Aufführungen

Preis: 20 Franken

Davon gehen – nach Arbeitsstunden aufgeteilt – an die Interviewten je 30 Rappen, an die Performer und Performerinnen je 1 Franken und 50 Rappen, an den Ausstellungsraum Klingental 4 Franken und an die Künstlerinnen je 5 Franken.

Der pauschale Subventionsbeitrag vom Ausstellungsraum Klingental in der Höhe von 300 Franken wird unter allen 8 an der Performance Beteiligten gleichermaßen aufgeteilt, das heißt 37 Franken und 50 Rappen pro Person.

A2: Für wie viel wollt ihr jetzt diese Performance verkaufen, für fünf Stutz? Zwanzig. Aha, zwanzig. Ich meine, das tut Leuten schon weh, zum Teil, das finde ich geil. Also man kann es auch teilen, man kann auch zusammenlegen. Ich würde es jetzt vielleicht mit jemandem zusammen kaufen. Aber trotzdem, man überlegt es sich zweimal.

A: Ich denke auch immer noch an diesen Preisen rum. Werkpreis, Projektpreis, Beitrag.

A2: Wenn man Performances einfach so schauen kann, dann ist es scheißegal, wenn man nach fünf Minuten wieder rausgehen muss, weil man es so schlimm findet. Also, was ist, wenn ich das jetzt kaufen muss? Kaufe ich mir das? Ist es teuer, ist es nicht teuer? Stimmt der Wert, den ich dafür bezahlt habe?

A: Es ist überhaupt schlimm, was das Geld macht mit dem Menschen. Mit allem.

L: Aber es ist schon erschreckend, also das muss ich jetzt noch sagen, dass ich nur dreißig Rappen bekomme für das hier.

A2: Es ist krass, wir bekommen so viel mehr. Wir sind zu zweit, wir haben uns doppelt berechnet. Müssen wir uns doppelt?

A: Ja, weil jeder von uns ist auch 15 Stunden dran. Wir sind voll die Zocker mit unseren fünf Franken.

A2: Ja, dann denken alle, wir arbeiten immer so und zocken alle ab.

L: Bei euch weiß ich, ihr gebt mir, was ihr könnt und habt. Ich weiß, dass ihr jetzt fair zahlt, dieses Vertrauen habe ich, aber wenn ich wüsste, dass ihr beide sehr viel verdienen würdet und ich würde immer noch gleich wenig verdienen, wäre ich misstrauisch.

A: Es sind erst 40 Minuten. Stimmt, du musst noch 20 Minuten sprechen für deine 30 Rappen. Wir haben eine Stunde Interview gerechnet.

A2: Jetzt kannst du hoffen, dass es fünf Mal aufgeführt wird.

A: Du könntest auch voll hart sein und sagen, ja ihr habt alle gesagt, ihr macht mit, auch ohne Preis und ich nehme jetzt den Preis.

A: Du würdest schauen, dass du genug bekommst.

A2: Ja. Gelächter.

A2: Du bist aber auch braun.

L: Findest du? Von diesen zwei Minuten da draußen?

A: Fritz hat mich letzte Woche gefragt, ob ich mich weiß geschminkt habe.

L: Weiß geschminkt?

A: Sonst bin ich immer rot.

A2: Schneewittchen. So adlig bist du.

A:Ich habe am Anfang auch mitgemacht ohne bezahlt zu werden.

L: Es gibt ja immer jemand, der es gratis macht, das lässt den Wert zusammenbrechen.

A2: Also, ich habe nie gedacht, ah ich mache jetzt da mit, da gibt es noch ein bisschen Geld. Nicht, dass ich es nicht brauchen könnte aber ich habe das Gefühl, es ist keine Lohnarbeit, die ich leiste.

A: Und wie siehst du unsere Rolle dann, wenn nicht als Arbeitgeberinnen? Was für ein Arbeitsverhältnis? Ist es überhaupt ein Arbeitsverhältnis? Was für ein Verhältnis überhaupt?

L: Es ist AD’s! Was? AD’s. Was ist das? Art Directors! Aha. Gelächter.

A2: Wir zwei oder du zu uns?

L: Ihr seid Freunde!

A: Ich habe auch Angst davor, dass sich das Verhältnis stark verändert und ich will eigentlich keine Arbeitgeberin sein, so primär. Für mich zählt dann schon das Kollektive, diese Zusammenarbeit. Aber wir müssen auch immer wieder ehrlich sein zu unserem Projekt. Es ist halt so, wir geben etwas vor und wir wollen etwas von den Leuten, für unsere Idee.

L: Ich bin in dieser Gewerkschaft, SBVK, die schreiben immer wieder Mails, ich hatte ein Angebot, Media Markt Werbung, es gibt Richtlinien, und dann zweitausendfünfhundert Franken, aber Media Markt hat unendlich Geld, aber dann schickt SBVK Warnungen herum, ihr dürft das nicht machen, Achtung, wenn sie immer jemanden finden, der es macht, geht es nicht, es sind die Richtlinien, es versaut den Markt.

A2: Aber ich muss auch sagen, ich glaube es bräuchte noch mehr, damit es bei mir was verändern würde. Also noch mehr Geld? Noch mehr Geld, ja.

A: „Ah, wir haben noch fünfzig Franken aufgetrieben“, das ist herzig und ich freue mich dann, aber es spielt überhaupt keine Rolle.

L: Ich will hundert mehr und ich hab nur die Antwort bekommen „Warum?“. Ich dachte, Freunde, der gibt mir eh hundert mehr und dann habe ich den Vertrag bekommen ohne die hundert mehr.

A: Nach Stundenlohn. Dann gibt es einen Dreißiger oder Fünfziger auf die Stunde. Ein Fünfziger! Ich würde mich dann ernsthaft fragen was denn genau die Leistung ist, die ich erbringe und – ist die wirklich gut?

L: Für mich selber ist es immer noch befreiend mich in diese Schublade „Laienschauspieler“ zu stecken.

A: Wenn wir jetzt nicht Freunde wären, würdest du das nicht unbedingt machen, außer wir wären so junge, tolle Regisseure, wo man viel davon gehört hat.

A2: Wenn wir mal ehrlich sind, natürlich ist es so, dass wenn Freunde was machen, das Erfolg hat, möchte man Teil davon sein. Da gibt es viele Bespiele von Freunden, wo ein Freund berühmt geworden ist und plötzlich wurde der andere nicht mehr gefragt, obwohl er ihn immer gefragt hat, als er noch kein Geld hatte, das sind große Dramen.

A: „Es sind eben keine Freunde, Judith!“ Gerade was Verhandlungen angeht. „Hei, geht nicht hundert mehr?“ Äh, aha.

A2: Ich habe gewisse Freundschaften aus beruflichen Hintergedanken, wenn ich ehrlich bin. Nicht so bewusst, aber ich treffe gewisse Leute öfters, weil sie an spannenden Häusern arbeiten oder spannende Jobs haben. Ich habe Interesse an dem, was sie machen, aber auch Interesse eventuell mal Teil davon zu sein. Es kann nicht schaden, wer weiß, wenn nicht, dann ist es wenigstens eine spannende Begegnung.

A: Wir Jungen, die versuchen Kunst zu machen. Ganz plump gesagt. Wir versuchen etwas, also „Bewegen“ ist vielleicht ein großes Wort.

L: Ich finde es sind coole Projekte. Ehm. Also, dass es gesellschaftliche Themen sind, welche ich nach meinem Gusto – also schon in einem Rahmen – aber auch wie ich das will, damit umgehen kann, zeigen, einsetzen oder nicht einsetzen.

A2: Also bringst du eigentlich auch eigene Anliegen rein? Ja, voll.

A: Das ganze Konzept fand ich lustig. Und das Anstrengendste war wirklich das hin- und herlaufen. Dann haben mir die Füße weh gemacht. Gelächter. Scheiße. Bald brauchen wir eine Versicherung für unsere Performer.

L: Ja und vor allem über diese Zeitdauer, dann sind alle plemplem. Ja, ich meine dieser White Cube war die absolute Härte. Es war eigentlich ein mega unmenschliches Experiment. Gelächter. Ja, Fritz hat auch so betont, dass das Klingental so anstrengend war. „U huerä“. Das war mega anstrengend. Und Elke hat doch nichts mehr gesehen. Ja, man ist soo ausgestellt, ich meine im öffentlichen Raum kann man einfach abhauen. Man kann untertauchen.

A2: Man kann selber bestimmen, wie viel man investiert bis dann und dann. Dann und dann. Gut, dann gibt es manchmal noch Texte zu üben, das kann man auch mehr oder weniger machen.

A: Ich würde vielleicht nicht sagen eine Motivation, aber es wird ein bisschen stimmiger, also das Engagement wird stimmiger. Also ich finde nicht, dass es mich mehr verpflichtet oder dass ich loyaler sein muss. Besser oder engagierter? Oder etwas erfüllen, Erwartungen? Nein.

L: Am Anfang ging es darum gleichzeitig etwas kennenzulernen, etwas zu lernen, andere Orte, anderes Publikum, andere Räume, eine andere Performance.

A: Du, und wie fändest du das, wenn unsere Performances verkauft werden würden?

L: Das ist schon noch lustig diese Vorstellung. Der Hausperformer. Auf einer Tour. Aber ich weiß, dass es wahrscheinlich nicht lange gut wäre, für mich.

A2: Wenn jetzt eine Performance über eine Galerie an einen Sammler verkauft wird. Was macht er mit dieser gekauften Performance? Lässt er diese wieder in einem institutionellen Rahmen aufführen, bei sich zu Hause, wird es in der Öffentlichkeit aufgeführt, im Theater oder, ja alles so Sachen. Und ja wer legt das fest? Ja wer legt das fest.

A: Wie ist dann das Verhältnis zu dem, was wir verkaufen? Wie man das aufteilt, wer dann welches Geld bekommt?

L: Ein heikles Thema.

Ich kann sagen, was ich will, oder?

A: Wollt ihr noch etwas trinken? Willst du noch etwas trinken?

A2: Ich musste unterschreiben, dass ich nicht über meinen Lohn spreche. Ich spreche mit jedem über meinen Lohn, ich frage jeden, wie viel er bekommt, du musst dir gegenseitig sagen, was wie viel wert ist.

A: Ich habe früher mit einem Finanztyp meinen Lohn verhandelt, inzwischen verhandle ich immer mit dem künstlerischen Leiter, das ist eine Taktik, das ist völlig daneben, das ist der Typ, der dir die Rolle gibt, du bist abhängig von dem.

L: Und Männer sind viel besser im Verhandeln, Frauen sind tendenziell viel schlechter, ich bin eine grauenvolle Verhandlerin, ganz schlecht. Gelächter.

A2: Ich bin also schon daran interessiert woher euer Geld kommt. Weil ich es komisch finde, wenn es aus eurem privaten Topf kommt. Es ist ja noch oft so bei diesen Offspace Sachen, dass es gerade mal für das Zugticket reicht. Es interessiert mich eigentlich sowieso immer, wer wie viel Geld hat und was es für ein Budget ist.

A: Also du bist noch nie in den Konflikt gekommen, dass du absagen musstest, weil wir von der Stiftung unterstützt werden, deren Geld du irgendwie nicht annehmen kannst?

A2: Nein, ich bin nicht so wählerisch. Wir ja auch nicht. Außer Nestlé. Die haben wir verbannt. Ja, die haben wir verbannt. Gelächter.

L: Ja, ja. Nestlé präsentiert. „Looking for Fritz” presented by Nestlé.

A: Aber solange die so diskret im Hintergrund sind…

A2: Aber vielleicht kauft diese Arbeit, die wir hier jetzt gerade machen, auch ein mega unsympathischer Sammler im Klingental.

L: Und wer schaut sich heute denn Kultur an und wer ist interessiert daran?

A: Nur weil man von einer Stiftung bezahlt wird, heißt es ja noch lange nicht, dass man diesen institutionellen Vorgaben im Inhalt entsprechen muss.

A2: Oft geht es darum Projekte anhand einer Ausschreibung zu entwickeln, die bestimmte Inhalte generieren.

L: Also es gibt so viele Orte, die infiltriert werden oder Kontextbedingungen, wo man gezwungen ist, irgendwas so kehren, damit es in einen Rahmen passt.

A: Denkst du, sie können so krass in deine Arbeit eingreifen? Ja, ich glaube einfach rechtlich ist es so. Wenn du von einer Galerie vertreten wirst, kannst du nicht mehr einfach so etwas  „mauscheln“.

L: Da musst du einfach „huerä schlau“ sein.

A: Ich will unbedingt eine Agentur, in der Schweiz gibt es ein Gesetz, das Agenturen verbietet, weil es um den Verkauf von Personen geht. Prostitution.

A2: Einige haben sogar Showreels geschickt, völlig absurd. Genau, so Videos. Dann bist du plötzlich wirklich in einer anderen Position. Du wählst nicht mehr aus und machst Anfragen, sondern du „castest“.

L: Das ist schon eine unangenehme Sache, bei euch sind es irgendwelche Vernissagen und Finissagen und bei mir Premieren, wo man blöd herumsteht.

A: Und Model-Agenturen?

L: Das nervt mich immer wieder am freischaffenden Arbeiten, dass ich darauf angewiesen bin, dass MEIN Telefon klingelt und mich jemand fragt, ob ich mitmachen will. Und mein Netzwerk stabil zu halten, das ist meine Aufgabe, aber das nervt mich manchmal auch, dass es meine Aufgabe ist, überspitzt gesagt, freundlich zu Leuten zu sein. Und dann nicht verwechseln mit Freundschaft, das versuche ich gerade zu lernen, das kann ich nicht gut unterscheiden.

A2: Ja, aber ich finde auch der Druck auf mich als – eben plötzlich – Arbeitgeberin.

Und viele sind professionell und wollen das für ihre Erfahrung oder für ihren Lebenslauf und dann müssen wir ja auch etwas bieten. Also es muss ihnen etwas nützen, dass sie bei uns mitmachen.

A: Wäre es anders für dich, wenn wir Verträge machen würden?

A2: Ich fände es ehrlich gesagt sehr lächerlich.

L: Ja, ganz klar. Dort wird es versachlicht.

A: Also fändest du das unangenehm? Also gäbe es einen Druck auf deine Leistung? Oder fändest du es bürokratisiert?

L: Ja, es wäre einfach etwas anderes. Ja, es wäre bürokratisiert. Man müsste ja dann auch ausformulieren, was die Leistung eigentlich ist. Ja genau. Aber wenn man es so formulieren würde, dass ich diese Freiheit behalte, wäre es am Schluss nicht anders. Es wäre einfach bürokratisiert. Ja.

A2: Egal, wie sehr wir uns streiten sollten, also stell dir mal vor, es würde soweit kommen, dass ich einen Anwalt einschalte und ich bin davon überzeugt, dass ich nie einen Anwalt einschalten würde für zweihundertfünfzig Franken.

L: Ich habe nie das Gefühl, ein Vertrag sei etwas Gutes, sondern ich unterschreibe etwas, was andere in der Hand haben gegen mich.

A: Bei uns kann man ja jederzeit wieder abspringen, man kann jederzeit wieder aufhören und wir können nichts machen. Es basiert schon alles auf Vertrauensbasis.

L: Eben, fünfzehn Seiten unterschreiben, das sind über Jahre angesammelte Problemfälle.

A2: Ich meine, was macht ihr, wenn ihr jemanden habt, der nirgends angestellt ist und keine Unfallversicherung hat? Oh ou. Ja, wir machen ja alles schwarz, wir sind keine offiziellen Arbeitgeber. Pssst. Das habe ich vorher auch gedacht, wollte es aber nicht aussprechen. Stimmt. Wenn mein Computer durchsucht wird dann…wir müssen alles zensieren.

A: Und ja wir haben eben das Problem…soll ich das jetzt sagen? Ich sage es jetzt nicht…das Problem, dass wir ein kleines Vermögen überwiesen bekommen haben, drei Tage vor Jahresabschluss, das wir beide nicht versteuern wollen. Wir müssen es verschwinden lassen.

L: Es hallt so komisch, ihr hört euch an wie Gespenster, das ist noch schön.

Ariane Koch (*1988) hat in Basel und Bern bildende Kunst studiert. Sie konzipiert, schreibt und inszeniert zusammen mit Sarina Scheidegger Performances, außerdem schreibt sie Theaterstücke, welche bereits in Basel, Aarau, Zürich und Berlin aufgeführt wurden. Sie ist Mitgründerin und Mitherausgeberin von Lasso, einer Zeitschrift für Kunst und Literatur. www.arianekoch.ch Sarina Scheidegger (*1985) absolviert zurzeit den Master of Contemporary Art Practice an der Hochschule der Künste in Bern und ein Erasmussemester an der Universität für angewandte Künste Wien in der Trans-Arts Klasse. Sie arbeitet als wissenschaftliche Assistentin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel. Mit Ariane Koch realisiert sie 2014/2015 das vom Kunstkredit Basel geförderte Projekt Looking for Fritz. In Zusammenarbeit mit Chantal Küng organisierte sie seit dem Sommer 2013 die Lesereihe Rooftop Readings auf verschiedenen Dächern in Basel. www.sarinascheidegger.com
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