Die Gesellschaft im Zeitalter Dantes ist durch politische, soziale, ökonomische und institutionelle Transformationsprozesse ebenso gekennzeichnet wie durch vielschichtige Ausdifferenzierungen soziokultureller Wertvorstellungen und erkenntnistheoretischer, astrologischer und naturkundlicher Wissensbestände aus ihren theologischen Fundierungszusammenhängen. Mit dem „Verlust des Bildungsmonopols” (August Buck), das der Klerus im Mittelalter besessen und mit dem Aufkommen einer volkssprachlichen Literarizität und städtischen Laienbildung eingebüßt hatte, auf das Engste verbunden war ein Kampf um juristische, ethische, soziopolitische und ästhetische Diskurshoheiten: Durch die Teilhabe am System der Stadtrepubliken zu politischer Macht gekommen und durch wirtschaftlichen Aufschwung zu finanziellem Einfluss und gesellschaftlichem Ansehen gelangt, fühlten sich neben der städtischen Aristokratie der Alighieri, Cavalcanti, Donati und Adimari vermehrt auch vermögende Kaufleute und umfassend gebildete Rechtsgelehrte bürgerlicher Herkunft dazu berufen, an der Sicherung der sozialen Ordnung der res publica civitatis und an der Gestaltung ihres ethischen Wertesystems mitzuwirken. Eine aktive Partizipation an den zeitgenössischen Herrschaftsdiskursen und an der Herausbildung einer „politischen Willensbildung”[1] von Seiten der gente nova manifestierte sich unter anderem darin, dass politisch engagierte Kaufleute Stadtchroniken auf Volgare verfassten und rhetorisch geschulte Notare, Dichter und Gelehrte wie Brunetto Latini, Bono Giamboni, Zucchero Bencivenni, Francesco da Barberino in Florenz oder Bonvesin de la Riva in Mailand auf Italienisch verfasste Unterweisungsschriften für Regierende, enzyklopädische Lehrgedichte oder allegorische Tugendtraktate für ein städtisches Laienpublikum schrieben, wobei die italienische Volkssprache im Rahmen säkularisierter Formen der Verschriftlichung zu einem wirksamen „strumento di realizzazione dell’attività di propaganda“[2] geworden war. Weitere Möglichkeiten, Einfluss auf die kollektiven Wertvorstellungen auszuüben und die Imagination der cittadini zu modellieren, zu regulieren und zu kanalisieren, waren vermittels medialer Symbolisierungspraktiken gegeben: So wurden zur Zeit Giottos namentlich auch profanen Bildern eine immer tragendere Funktions- und Erkenntnisleistung sowie ein neuer Wirkungsanspruch auf die Betrachtenden zuerkannt, etwa indem sie als gemalte „Konsensfiktionen“ (Stollberg-Rillinger) für die institutionelle Selbstdarstellung in Stadtstaaten, Kommunen und Signorien ideologisch aufgeladen und in Dienst genommen wurden. Vermittels ikonographischer und bildrhetorischer Kodierungen legitimierten, autorisierten und glorifizierten sie politische Ideale beziehungsweise diffamierten und desavouierten politische Feindbilder, indem sie traditionelle Wissensbestände neu konfigurierten und für ein städtisches Bürgertum erfahrbar machten oder indem sie visuelle Ordnungsmuster für aktuelle Diskurse bereitstellten und damit die Fülle an neuartigen, an bürgerlichen Lebensformen ebenso wie an Naturbeobachtung orientierten Wissensinhalten zu vermitteln, zu verbreiten, zu verwalten und somit zu sichern und zu stabilisieren halfen.
In enger konzeptueller Verschränkung mit den genannten Visualisierungsbestrebungen zu denken sind Tugenddiskurse, wie sie in politischen Unterweisungsschriften, didaktischen Traktaten, philosophischen Schriften und volkssprachlichen Predigten der italienischen Kommunen geführt und als sichtbare Konfigurationen eines tugendfundierten Wertesystems in den sich etablierenden allegorischen Bildprogrammen kommunaler Rathäuser oder politisch aktiver Zunftorganisationen in mittel- und oberitalienischen Städten visualisiert wurden. Dabei sind die Tugendkonzepte, die diesen Programmen zugrunde lagen, keineswegs als ahistorische Wissenssummen zu verstehen. Denn als historisch wandelbare Indikatoren politischer Ideale waren sie an die Legitimation, Affirmation und Kodifikation durch das jeweilige Rechtssystem der Kommunen gebunden.
Voraussetzung für diese Entwicklung war, dass es in der zweiten Hälfte des Duecento zu einer Ausrichtung christlich geprägter Tugendbegriffe auf spezifisch bürgerliche Wertvorstellungen und damit zu einer folgenreichen Resemantisierung von theologischem Wissen gekommen war. Als Schlüsseltext für ein neues politisches Verständnis von Tugend als einer gesellschaftlich ausgerichteten Wissenschaft von tugendhaftem Handeln und Regieren ist Brunetto Latinis Trésor zu nennen, der anstelle theologischer Tugendkonzeptionen die für das politische Leben der Kommune bedeutsamen Wissensgebiete in den Mittelpunkt rückt.[3] Indem Brunetto Latini den Bürgern der Stadtrepubliken ein volkssprachlich verfasstes Instrumentarium der Regierungskunst sowie ihr untergeordneter Kenntnisbereiche wie Ökonomie und Rhetorik an die Hand gab, initiierte er einen „Prozess der Kenntnisverbreitung“[4], der seinen sichtbaren Niederschlag in profanen Bildprogrammen des frühen 14. Jahrhunderts finden sollte. Darin avancierten Tugenden zum Index politischer Ideale und reflektierten in ihrer Eigenschaft als ästhetisch vermitteltes Regulativ und ideologisches Fundament bürgerlichen Selbstverständnisses das Bedürfnis der weltlichen Machthaber nach moralischer Selbstvergewisserung und Setzung normativer Instanzen in gleichem Maße wie sie den Bedarf an verfügbaren Identifikationsangeboten, vorbildhaften exempla und visuell vermittelten Handlungsanweisungen von Seiten der BürgerInnen bedienten. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass es sich bei der Anbringung personifizierter Tugendbilder an italienischen Profan- und Sakralbauten um die kommunal geprägte Kodierung christlicher Tugendwerte handelt, das heißt um einen jener historischen Momente im kulturellen Selbstfindungsprozess eines sich materiell und ideell emanzipierenden Bürgertums, in dem mittels visueller Symbolisierungsleistungen und medialer Visibilitätsstrategien politisch fundierte Wissensinhalte definiert, fixiert und in die Zukunft perpetuiert wurden.
Für das kultur- und kunsthistorische Verständnis von Zusammenhängen zwischen ethischen und ästhetischen Bedeutungsproduktionen im frühen Trecento besonders relevant sind dabei auch jene Bildfindungen, die der aktiv an zeitgenössischen Bilddiskursen partizipierende Notar und Dichter Francesco da Barberino (1264 – 1348) für sein eigenes allegorisches Lehrgedicht Documenti d’Amore (Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. Lat. 4076) entwarf und in seinem lateinischen Autokommentar so lange allegorisierte, dekodierte und interpretierte, bis sämtliche ikonographische Eigenschaften, Formen und Farben kodifiziert waren und ihr verace intendimento (Dante) weitgehend garantiert werden konnte.[5] Bereits mit seiner Umbesetzung des tradierten Tugendkatalogs durch die säkular interpretierten Tugenden Gelehrigkeit (Docilitas), Fleiß (Industria), Beständigkeit (Constantia), Unterscheidungsverschmögen (Discretio), Geduld (Patientia), weltlichem Ruhm (Gloria), Unschuld (Innocentia), Dankbarkeit (Gratitudo) und Ewigkeit (Eternitas) ist eine semantische Verschiebung zu beobachten, die als zeitgenössischer Ausdruck gesellschaftspolitischer Tugenddiskurse zu denken ist. Doch auch durch ikonographische und ästhetische Referenzen auf die bürgerliche Alltagswelt erfahren die bisher größtenteils aus konkreten gesellschaftlichen Zusammenhängen gelösten, transhistorische und transpersonale Werte vermittelnden Tugenden in Francescos Handschrift eine gesellschaftliche Kontextualisierung beziehungsweise einen Zuschnitt auf die konkreten Anforderungen, mit denen man den uomini mondani (Bono Giamboni) der italienischen Kommunen begegnete. Der mit sienesischen Kunstdiskursen um Simone Martini vertraute Miniaturmaler verfügt dabei über ein breites Spektrum an Möglichkeiten, um auf Phänomene der außerbildlichen Wirklichkeit zu rekurrieren, um Alltagsbezüge zu evozieren und um seine Miniaturen als Ausdruck einer „nuova retorica laica“[6] zu inszenieren: Die Repräsentation perspektivisch ausgerichteter Throne und Sitzmöbel, die detaillierte Wiedergabe gemusterter Kissenbezüge und Wandbehänge, die Darstellung gotischer Stilelemente und krabbengeschmückter Architekturen, die illusionistische Schilderung von Alltags- und Einrichtungsgegenständen wie Strickutensilien, Vorhangstangen und Vogelkäfigen, eine bis ins Detail durchdeklinierte Haartracht und modisch geschnittene Kleidung der Gestalten, die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe zeitgenössischer Attribute sowie ein Repertoire an psychologisch überzeugenden Gesten und Mimiken. Indem sie als genreartige Szenen ins Werk gesetzt und mit Versatzstücken aus der Wirklichkeit der BetrachterInnen ausgestattet sind, erfahren Francescos Tugendfiguren eine bildrhetorische Aufladung und einen für die visuelle Kultur der Kommunen prägenden Zugewinn an konzeptueller Plausibilität, an psychologischer verisimilitudo und an suggestiver Leistungskraft. Der Zugewinn an jenen rhetorischen und ikonographischen Bildqualitäten, die ihrerseits selbst als eine Form der virtus produktiv und wirksam werden, indem sie über die tradierten ikonographischen Wissensbestände hinaus neue, innerhalb der empirischen Erfahrungswelt der RezipientInnen nachvollziehbare Sinnaspekte sichtbar und erfahrbar machen, unterscheidet sie von den herkömmlichen Darstellungsprinzipien topisch organisierter Personifikationen und prädestiniert sie für die allegorische Ordnung, Deutung und Vermittlung bürgerlicher Wissensbestände. Francescos „crosso modo“[7] vorgezeichneten und bis dato durch keine feste Bildtradition eingeführten „novitates emergentes“[8] ist damit eine konstitutive Rolle für die Visualisierung gesellschaftspolitischer Aussagen sotto figura d’allegoria (Dante, Convivio, I.2) innerhalb der visuellen Kultur italienischer Kommunen in der ersten Hälfte des Trecento zuzuschreiben.[9] Eine Analyse ausgewählter Bildbeispiele aus Francescos Documenti d’Amore beleuchtet das dialektische Verhältnis von politischen, ikonographischen und ästhetischen Diskursen in der Malerei des frühen Trecento.
Die Miniatur auf fol. 32v der Handschrift Barb. lat. 4076 zeigt die Tugend der Industria (Fleiß) als eine junge Dame in einem modisch geschnittenen Kleid, die sich von ihrer Sitzbank aus einem seitlich neben ihr hängenden, reich verzierten und mit Quasten versehenen Täschchen zuwendet, das sie mit beiden Händen und konzentrierter Aufmerksamkeit mit einem Vogelmuster bestickt (Abb. 1).[10] Francescos Verständnis von Industria als einer geistigen Tätigkeit, vermittels derer intellektueller Scharfsinn zu erreichen ist, dokumentiert genauso wie seine Unterscheidung in eine angeborene und erworbene Fähigkeit den Einfluss der Nikomachischen Ethik des Aristoteles.[11] Als eine moralische Tugend könne dabei nur die erworbene Fähigkeit bezeichnet werden.[12] Indem Francesco den Unterschied zwischen angeborener Gabe und ausübender Tugend betont, grenzt er sich von der verbreiteten Auffassung ab, derzufolge Industria und Ingenium dieselbe Sache sei. Unter Industria ist Francescos Verständnis zufolge eine durch aktives Handeln beziehungsweise durch Tüchtigkeit erworbene Tugend „in actu“[13] zu verstehen, mit deren Hilfe die Begabung oder das Ingenium in die Tat umzusetzen ist.[14] Francesco artikuliert damit eine an der moralischen Autorität Aristoteles‘ orientierte „neue Ethik der italienischen Communen“[15], die den alltäglichen Erfordernissen der städtischen gente nova durch die Anerkennung einer auf individueller Tüchtigkeit beruhenden und prinzipiell ständeunabhängigen Leistung besser zu entsprechen vermag. Als soziale Kompetenz einer neuen bildungsorientierten städtischen Oberschicht besitzt Industria eine aktuelle Relevanz im Alltag der Kaufleute, Händler und Notare, die bildlich durch den Rekurs auf die handwerkliche Stickarbeit einer faiseuse d’aumonières und auf das alltagsnahe Motiv der bursa als einem überaus wichtigen Zubehör der männlichen wie weiblichen Garderobe suggeriert wird. Im Hinblick auf die visuelle Kultur im ersten Viertel des Trecento ist entscheidend, dass sich im Zuge des soeben beschriebenen aristotelisch geprägten moralphilosophischen Wissenswandels auch ein Wandel innerhalb der ästhetischen Repräsentation bekundet, der offenbart, dass „ethics and aesthetics went hand in hand“.[16]
So zeigt sich der Miniator an einer detaillierten Schilderung und perspektivisch ausgerichteten Wiedergabe einzelner Bildelemente interessiert: Die bursa hängt in der Miniatur an einer mit zwei Haken an der Rückwand des Zimmers befestigten Stange. Ein beträchtlicher „realism of detail“[17] zeigt sich auch bei dem Motiv von Industrias Stickutensilien (Abb. 2), die auf einem kleinen Regal links hinter der Tugend im Sinne einer bella similitudine (Dante, Convivio, III.8) beschrieben sind und laut Autor darauf hinweisen, dass die Wissenschaften und Künste vielfältig seien, auf welche die Menschen sich durch diesen Fleiß richten.[18] Bei ihrer Ausführung scheint sich der Maler indes offensichtlich stärker an den Gesetzen einer nachvollziehbaren Bildlogik als an Francescos Textvorgabe orientiert zu haben, da er das im Kommentar kryptisch als „cannellas“ bezeichnete Attribut kurzerhand als zwei Körbchen mit gelben und grünen Wollknäuel und als zwei lange, horizontal vor die Wollkörbchen positionierte Nadeln interpretierte beziehungsweise als Stilllebenmotiv von überraschender verisimilitudo inszenierte. Zugleich bekundet der Maler mit der beschriebenen „attenzione alla verità degli oggetti”[19] seine Kenntnis und Beherrschung jener künstlerischen Parameter, die in Gestalt anekdotischer Genremotive, stilllebenhafter Elemente und scheinbar nebensächlicher, der Alltagswirklichkeit entnommener Detailbeobachtungen seit den 1320er Jahren zunehmend an Bedeutung für die Entwicklung profaner Sprachformen der Malerei gewannen, indem sie die religiösen Bilderzählungen von Simone Martini, Pietro Lorenzetti und Taddeo Gaddi mit einem „popular tone“[20] aufluden, mit einem neuen bürgerlichen Identifikationspotenzial versahen und auf diese Weise für das zeitgenössische Publikum aufbereiteten.[21] In der Buchmalerei war es in erster Linie der als Maestro del Codice di San Giorgio bezeichnete Maler, der der detaillierten Charakterisierung lebensnaher Bildgegenstände einen zentralen Stellenwert im Gesamtgefüge des Bildes einräumte und in seinen Arbeiten nicht selten ein breites Spektrum malerischer Bezugnahmen auf die Alltagswirklichkeit der BetrachterInnen entfaltete.[22] Zurecht wurde in der Forschung darauf hingewiesen, dass auch in dem ‚Objektrealismus’ der Miniaturen von Francescos Handschrift Barb. lat. 4076 der Einfluss und die Fähigkeit des Maestro del Codice di San Giorgio in Erscheinung tritt, die Wirklichkeit der RezipientInnen ästhetisch zu imitieren, zu kodifizieren und als „un momento di verità“[23] zu inszenieren. Insgesamt ist der Miniatur mit der Darstellung einer profanen Genre-Szene ein Figurationsprozess eingeschrieben, der sich durch seine konkreten, mit dem Erfahrungshorizont des Lesepublikums verlinkten Zeitbezüge von herkömmlichen, durch zeitlose Attribute wie etwa Schwert, Waage, Rad charakterisierten Argumentationsmustern grundlegend unterscheidet. Dieser sollte sich insofern als konstitutiv für die Entwicklung allegorischer Bildnarrative erweisen, als die Repräsentation alltäglicher Genre-Szenen im Gesamtgefüge politisch semantisierter Bildprogramme zunehmend als visuelle Manifestation eines viver comune lesbar wurde. Indem mit der Repräsentation handwerklicher Tätigkeiten und kaufmännischer Aktivitäten, wie sie seit dem enzyklopädischen Reliefzyklus mit den realistisch geschilderten Allegorien der Artes liberales an der Fontana Maggiore in Perugia auch in den profanen Bildprogrammen institutioneller Einrichtungen, öffentlicher Gebäude oder privat in Auftrag gegebener profaner Handschriften vermehrt zur Darstellung kamen, nichts Geringeres als das Wohl der res publica allegorisch verhandelt wurde, erwiesen sich diese Bilder oft als sozial verbindliche Dispositive, deren performative Funktion nachgerade darin bestand, die kommunale Gesellschaftsordnung ästhetisch zu konsolidieren, zu propagieren und zu reglementieren. Hinzu kommt, dass der Maler sowohl durch die Positionierung von Industria in einen klar definierten, trecentesk gestalteten Innenraum mit Kassettendecke als auch durch den Einsatz tiefenräumlicher Bildstrukturen wie Säulchen und erkerartigen Zimmernischen einem größeren Wirklichkeitsbezug mit einem höheren Identifikationspotenzial Rechnung trägt. Damit bekundet er sein (textunabhängiges) Interesse an jenen aktuellen, vornehmlich in der Tafel- und Wandmalerei geführten Raumdiskursen, die den Ort im Bild nicht mehr als architektonische Abbreviaturen im Hintergrund des Geschehens inszenierten, sondern als Bewegungs- und Handlungsraum der Figuren installierten.
Auf fol. 57r der Handschrift Barb. lat. 4076 werden etablierte christliche Bildformulare ikonographisch assimiliert, allegorisch transformiert und politisch semantisiert.[24] Zu sehen ist die Personifikation der Constantia (Abb. 3), wie sie sich den distinktiven Angriffen auf ihre moralische Standhaftigkeit durch ihr gewappnetes Herz („armatura cordis”) zu widersetzen vermag. Die genannten „Widrigkeiten“ sind als jene vier Personifikationen bildhaft ins Werk gesetzt, welche im kanonischen Recht als vier Modalitäten eines unparteiischen Richters kodifiziert sind und von dem Autor unter der Rubrik „De Forma“ erklärt werden. Dabei erweitert der Berufsnotar seine Definition der Tugend um eine juristische Dimension, indem er Worte aus dem Decretum Gratiani zitiert und Constantia somit als politische Tugend auf die Rechtsprechung bezieht.[25] Bei den Lastern, die Constantia umgeben und bedrohen, handelt es sich somit um eben jene Gefahren, denen jeder Staatsbeamte bei der Ausübung seiner Pflichten ausgesetzt ist. Gleichzeitig ist die moralische Beständigkeit von Richtern notwendig, damit der permanente Kampf gegen die jeweiligen Bedrängnisse siegreich ausgetragen werden kann. In der Miniatur wird dieser Kampf mit einer programmatischen Bildrhetorik und visuellen Eloquenz vor Augen geführt. Zu sehen sind vier aus verschiedener Richtung kommende männliche Personifikationen der Laster, die allesamt im Begriff sind, Constantia mit ihren jeweiligen „Waffen“ anzugreifen: Corruptor, mit einem bürgerlichen, modisch unter der Brust geschnürten schwarzfarbenen mantello und einer braunen Haube bekleidet, nähert sich von rechts der Gestalt der Constantia in dem offensichtlichen Bemühen, sie mit einem Beutel voller Münzen zu bestechen und auf diese Weise von ihrer Rechtschaffenheit abzubringen; im linken Hintergrund ist Blanditor, das Laster der Schmeichelei, als lautenspielender, den Kopf kokett zur Seite neigender, hübscher Jüngling halbfigurig ins Bild gesetzt, wie er durch die süßen Klänge seiner Musik Constantias Wohlgesonnenheit zu gewinnen sucht; als ganzfigurige, in einen hellen Mantel mit hochgeschlossenem Stehkragen, blaue Sendelbinde und blaue Strümpfe gekleidete Rittergestalt tritt Superbus mit einem gezückten Schwert aus der linken unteren Bildecke hervor; Consanguinea ist als kindliche, dreiste Gestalt zu sehen, die im Begriff ist, ein Stück von Constantias Rocksaum abzureißen. Entscheidend für die Ausgangsfrage ist dabei, dass Francesco die Tugend der Constantia zum einen durch den expliziten Zuschnitt auf den Rechtskontext inhaltlich neu definiert und interpretiert und zum anderen durch die amplificatio in einen mehrfigurigen Handlungsraum neu konfiguriert und inszeniert. Auch die personifizierten Laster folgen keinem tradierten Lasterkanon, sondern sind nach Kriterien einer bürgerlichen Wissensordnung zusammengestellt, die vermittels neuer Attribute (Laute, Geldsack) ikonographisch neu kodiert und allegorisch konsolidiert wird. Mit der dispositio der Gestalten – mehrere angreifende Figuren sind um eine thronende Mittelgestalt gruppiert – wird dabei das bestehende religiöse Bildschema in Darstellungen der Verspottung Christi zitiert, dessen semantische Wertbesetzungen zwar übernommen, nun aber in einen profanen Bedeutungskontext überführt und mit den Signifikaten eines politischen Tugenddiskurses versehen werden.[26] Bei Francescos Aneignung eines topischen Bildformulars handelt es sich somit um semiotische Legitimierungsprozesse, die dazu dienen, das Wissen um die Tugend der Constantia als politische Norm zu etablieren, zu kodifizieren und zu stabilisieren, indem sie deren ikonographische Kompatibilität mit bereits etablierten Normsystemen suggerieren und die Bildlektüre mittels interpiktoraler Bedeutungsmechanismen vorprogrammieren.[27]
Das fünfte Kapitel der Documenti d’Amore handelt von Patientia, von der es in Francescos Kommentar heißt, sie sei die Tugend, die alle Schmähungen und Beleidigungen mit der Geste der Gelassenheit abzuwehren und von sich zu weisen verstehe.[28] Das passive Ertragen von Widrigkeiten wird in der Miniatur auf fol. 64r (Abb. 4) mit bildrhetorischer Eloquenz visualisiert, indem die Tugend der Patientia als aufrecht sitzende Frauengestalt dargestellt ist, die zum Zeichen ihrer Gelassenheit die Arme vor der Brust verschränkt hat, um den Hieb („una gautata“[29]), der ihr von der sichtlich erregten Ingiuria im nächsten Augenblick verabreicht wird, mit aller Seelenruhe und größter Geduld über sich ergehen zu lassen. Mit ihrer aufrechten Sitzhaltung und dem Motiv der verschränkten Arme wird der in dem Gedicht nur angedeuteten psychologischen Bedeutungsdimension („sta secura”) eine figürliche Anschauungsform und damit ein visuell erfahrbarer Ausdruck verliehen. Ingiuria, das Laster der Beleidigung, „que recta stat“[30], ist als Ausdruck ihrer ewigen Angriffslust mit Hörnern versehen und zum Zeichen ihrer hochmütigen und widerspenstigen Wesenszüge mit ungeordnetem Haar dargestellt.[31] Gerade durch die visuell erfahrbare schwungvolle Dynamik des zum Schlag ausholenden Armes der Ingiuria gewinnt die Gestalt an psychologisch überzeugender Bedrohlichkeit und bildrhetorisch vermittelter Aggressivität, die an Giottos Repräsentation des Schergen in der Szene Christus vor Annas und Caiaphas der Arenakapelle in Padua erinnern. In ihrer emotionalen Eindringlichkeit verstärkt wird die ganze Szene zusätzlich dadurch, dass der Miniator die Personifikation der Ingiuria die geduldig abwartende und gänzlich unerschrockene Tugend beim Arm ergreifen lässt. Im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Tugendrepräsentationen folgte Francesco mit der beschriebenen Bildkonzeption einer Darstellungstradition, wie sie in zahlreichen Handschriften zu Prudentius’ Psychomachia überliefert ist.[32] Dass die Thematik in den Documenti gleichwohl in einem neuen Diskurszusammenhang steht und eine politische Aktualisierung und gesellschaftliche Kontextualisierung erfährt, liegt zuallererst an Francescos Umbesetzung der Ira durch die Personifikation der Ingiuria. Denn bei diesem Laster handelt es sich damals wie heute weniger um ein (rein moralisches) Vergehen als vielmehr um eine im italienischen Codice penale (Art. 594) kodifizierte und dem Juristen Francesco da Barberino mit Sicherheit vertraute Straftat, deren konkrete Ausprägung wie etwa das Verabreichen einer Ohrfeige in der Miniatur piktoral verhandelt wird.[33] In seinem Kommentar zeigt sich Francesco explizit um die gesellschaftliche Akzeptanz von Geduld und ihre Vereinbarkeit mit dem bürgerlichen Ehrbegriff bemüht.[34] Zu erklären ist Francescos Bemühen vor allem mit dem Verweis auf die historische Situation toskanischer Stadtrepubliken im Zeitalter Dantes: In einer Gesellschaft, die permanent von blutigen Familienfehden und zwischenmenschlichen Zerwürfnissen geprägt, von wirtschaftlichen und politischen Interessenskonflikten zwischen aristokratischen Konsuln und Vertretern des popolo, zwischen gewerblichen Zünften und kommunalen Institutionen, zwischen weltlichen Stadtherren und kirchlichen Amtsträgern sowie von bürgerkriegsähnlichen Machtkämpfen zwischen papsttreuen Guelfen und kaisertreuen Ghibellinen, zwischen weißen und schwarzen Guelfen gekennzeichnet war, musste nachgerade das diplomatische Ausüben von Geduld gegenüber politischen Provokationen und gegenüber jeder Art von Angriffen „all’onore“[35] der Beteiligten zur Maxime sozialen Handelns avancieren.[36] Schließlich waren die vor der Brust verschränkten Arme in der profanen wie sakralen Buch-, Tafel- und Freskenmalerei des Trecento zu einer topischen Figur geworden, mit der das Motiv der Geduld gegenüber widrigen Umständen, des selbstgenügsamen Gehorsams gegenüber Gott und der vertrauensvollen Gelassenheit gegenüber widrigen Geschehnissen medien-, gattungs- und kontextübergreifend repräsentiert werden konnte.[37] Gerade in der Wand- und Tafelmalerei der immer breiteren Bevölkerungsschichten zugänglichen monumentalen Kirchen- und politischen Versammlungsräume kam dieser profanen Geste durch ihren ausgesprochen lebensnahen Charakter und Diesseitsbezug die Funktion zu, heilsgeschichtliche Narrative gegenüber der Erfahrungswelt des bürgerlichen Laienpublikums zu öffnen und vermittels einer aus dem Alltagsleben vertrauten Rhetorik zu rekodieren, zu emotionalisieren und auf diese Wiese zu säkularisieren. Somit lässt die vermehrte visuelle Integration dieser virtus in die Tugendzyklen öffentlicher Bildprogramme darauf schließen, dass Geduld eine zunehmende soziale Relevanz und politische Signifikanz in der Realität italienischer Stadtrepubliken besaß.
Neben den beschriebenen bildrhetorischen Strategien manifestiert sich auch im „architectural setting”[38] das wiederholte Bemühen des Miniaturmalers, das Geschehen in einem zeitnahen Rahmen zu verorten und es auf diese Weise der Realität der BetrachterInnen näher zu rücken: So wird in der Deckfarbenminiatur durch die versatzstückartige Bezugnahme auf eine trecenteske Formensprache (Dachgiebel mit Krabbenmotiven) und auf ein bürgerliches Wohnambiente mit kasettierten Türen und einer gotisch anmutenden Sitzbank mit imitierter Holzmaserung und gemustertem Sitzkissen eine stärker in der empirischen Wirklichkeit verankerte Bilderfahrung generiert als durch die zeichenhaft angedeutete Kulisse einer nahezu zeitlosen und planimetrisch strukturierten Bildordnung jener schematischen und archaisierenden Arkatur, wie sie in zahlreichen Prudentius-Handschriften zur Ausführung gelangte.
Alles in allem zeigt sich, dass Francescos Miniaturen ein epistheme aisthetike (Baumgarten) eingeschrieben ist, das durch referentielle Bezugnahmen auf eine bürgerlich-kommunale Wirklichkeit einer zunehmenden ‚Naturalisierung’ des profanen Bild- und Betrachterraums verpflichtet war. Doch anstatt sich in einer bloßen Nachahmung der außerbildlichen Wirklichkeit zu erschöpfen, werden die bildlichen Tugendallegorien über die Bedeutung einer rein abbildlichen Vergegenwärtigung hinaus auch in einer performativen, wirklichkeitsgestaltenden und wirklichkeitsstrukturierenden Bedeutungsdimension wirksam, indem sie ihren politischen Bedeutungsgehalt gegenüber einer Realitätsdimension öffnen, die nicht ausschließlich mit der bestehenden Welt zusammenfällt, sondern zuallererst in der wiederholt zu leistenden Rezeption durch die Betrachtenden geschaffen werden muss. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich zahlreiche mittel- und oberitalienische Stadtregierungen Anfang des 14. Jahrhunderts in einer „crise de légitimité“[39] und einer „crise d’identité“[40] befunden hatten, werden die Miniaturen somit zu visuellen Dispositiven einer kommunalen Gesellschaftsordnung, die eine bürgerliche Realität eigenen Rechts ästhetisch konstituieren, legitimieren und moralisieren.
[1] Hagen Keller, Die Veränderungen gesellschaftlichen Handelns und die Verschriftlichung der Administration in den italienischen Stadtkommunen, in: Hagen Keller, Klaus Grubmüller, Niklaus Staubach (Hg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, München 1992, S. 21 – 36, hier S. 23.
[2] Stefano Asperti, Testi poetici volgari di propaganda politica (secoli XII e XIII), in: La propaganda politica nel basso medioevo (Atti del XXXVIII Convegno storico internazionale. Todi, 14-17 ottobre 2001), Spoleto 2002, S. 533 – 559, hier S. 533.
[3] Eine Ausrichtung auf die politische Situation Italiens und der Stadtkommune wird in Bruntto Latinis Trésor ausdrücklich angekündigt: „Mais de tous se taist li mestres en cest livre, que il n’en dit noient de la signourie des autres se de ciaus non ki governet les viles per annees […] l’autre est en Ytaile, que li citain et li borgois et li communité des viles eslisent lor poesté et lor signour […] Et sor ceste maniere parole li mestres, car l’autre n’apertient pas a lui ne a son ami; et nonporquant tot signour, quel signorie k’il aient, en poroient prendre mains bons ensegnemens.” Brunetto Latini, Li livres dou tresor, Libro Terzo, zitiert nach Christel Meier, Cosmos politicus. Der Funktionswandel der Enzyklopädie bei Brunetto Latini, in: Hagen Keller, Joachim Wollasch (Hg.), Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster, Berlin, New York 1988, S. 315-356, hier Fußnote 161, S. 353.
[4] Heinz Willi Wittschier, Die italienische Literatur des Duecento. Einführung und Studienführer. Geschichte der Anfänge einer Nationalliteratur, Frankfurt a. M. 2000, S. 77.
[5] Francesco da Barberino, I Documenti d’Amore [Documenta Amoris], Tomo I: Versi volgari e parafrasi latini und Tomo II: Glossae, Lavis 2008-2011. Die zwölf Abschnitte (documenti) des Moraltraktats thematisieren neben zahlreichen Fragen zu gesellschaftlichen Verhaltensmaßregeln praktischer und moralisch-philosophischer Natur jeweils einen Tugendbegriff und sind in ihrem Gesamtaufbau als allegorischer „Instanzenweg” (Hans Robert Jauss) zu verstehen, der von dem neuen, vorwiegend aus gelehrtem Stadtadel und gehobenem Bürgertum bestehenden Lesepublikum durchschritten und erfüllt werden muss, um eine auf gegenseitiger Liebe basierende Gesellschaft zu verwirklichen. Hierzu: Hans Robert Jauss, Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, in: Ders. (Hg.), Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956-1976, München 1977, S. 154 – 218, hier S. 162. Von insgesamt fünf erhaltenen Exemplaren sind lediglich Ms. Barb. lat. 4077 mit lavierten Federzeichnungen und Ms. Barb. lat. 4076 mit Deckfarbenminiaturen versehen. Beide Manuskripte befinden sich in der Biblioteca Apostolica Vaticana und wurden mehrfach von der Verfasserin eingesehen. Ihr Dank gilt Dr. Paolo Vian, ohne dessen freundliche Erlaubnis eine Einsichtnahme nicht möglich gewesen wäre. Mit den Illuminationen von Francescos Documenti intensiv befasst haben sich: Francesco Egidi, Le Miniature dei Codici Barberiniani dei ‚Documenti d’Amore’, in: L’arte. Rivista di storia dell’arte medievale e moderna V (1902), S. 1 – 20; 78 – 95; Susanna Partsch, Profane Buchmalerei der bürgerlichen Gesellschaft im spätmittelalterlichen Florenz. Der Specchio Umano des Getreidehändlers Domenico Lenzi, Worms 1981, S. 79 – 87; Valeria Nardi, Le illustrazioni dei Documenti d’Amore di Francesco da Barberino. Il rapporto fra testo e immagine nei più antichi manoscritti di un poema in volgare e la produzione miniatoria a Firenze agli inizi del Trecento, in: Ricerche di storia dell’ arte 49 (1993), S. 75 – 92; Eva Frojmovič, Der Illustrionszyklus zu den ‚Documenti d’Amore’ des Francesco da Barberino (unveröffentlichte Dissertation am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität zu München 1994); Shelley MacLaren, ‘Or guarda tu… desta donna la forma’: Francesco da Barberino’s Poetic and Pictorial Invention (Ph D. diss, Art History Department of the Emory University, 2007).
[7] Zitiert wird im Folgenden nach der Ausgabe von Albertazzi 2008 – 2011: Documenti d’Amore II.27: „Figuras istas, quas tu designasti, vidisti tu ibidem quomodo tu eas licet crosso modo factas, […].“
[9] Maria Grazia Ciardi Dupré Dal Poggetto, Il maestro del Codice di San Giorgio e il cardinale Jacopo Stefaneschi, Firenze 1981, S. 182.
[10] Bei Industria handelt es sich um einen Tugendbegriff, der namentlich erst im 14. Jahrhundert im Zuge von Übersetzungen aus dem Lateinischen begegnet. Hierzu Eulen Focko, Industrie, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel/Stuttgart 1976, S. 338 – 343.
[11] Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 2, Stuttgart 1969, 1103a 14 – 33 und passim. Auf diesen Zusammenhang machte auch Eva Frojmovič aufmerksam. Vgl. Frojmovič 1994, S. 140.
[12] Documenti d’Amore II.189: „Quare ex ipso actu qui est ultra solum habitum et potentiam, dico Industriam esse virtutem cum ingenium sit vis tantum […].”
[13] Documenti d’Amore II.189: „[…] sed habere eam in actu virtus est.“
[14] Vgl. Frojmovič 1994, S. 140.
[15] Hans Robert Jauss, Brunetto Latini als allegorischer Dichter, in: Jauss 1977, S. 47 – 92, S. 72.
[16] Sylvia Huot, Visualization and Memory: The Illustration of Troubadour Lyric in a Thirteenth-Century Manuscript, in: Gesta 31 (1992), S. 3 – 14, S. 12.
[17] James H. Stubblebine, Assisi and the rise of vernacular art, New York 1985, S. 90.
[18] Documenti II.190: „Item habet iuxta se sirici varias cannellas, sicut varie sunt scientie et artes ad quas tendere homines per hanc industriam sunt reperti.”
[19] Ciardi Dal Poggetto 1981, S. 190.
[21] Zu dem „new realism“ (Stubblebine) der genannten Künstler siehe Stubblebine 1985, insbesondere Kap. VI: The Rise of Vernacular Art, S. 88 – 98. Betont wird die Bedeutung von Genreszenen und Stilllebenmotive für die religiöse Historienmalerie auch von Joachim Poeschke, Wandmalerei der Giottozeit in Italien 1280 – 1400, München 2003, S. 9 – 39.
[22] Besonders einprägsam tritt diese Form von „new realism“ im Codice di San Giorgio der Vatikanischen Bibliothek (Ms. Archivio di San Pietro, C. 129) zu Tage.
[23] Hierzu: Ciardi Dal Poggetto 1981, S. 137.
[24] Vgl. hierzu Egidi 1902, S. 78, Partsch 1981, S. 81 und Frojmovič 1994, S. 141 – 150.
[25] Documenti d’Amore II.335: „Quattuor modis humanum iudicium pervertitur. TIMORE dum metu potestatis alicuius veritatem loqui pertimescimus. CUPIDITATE, dum premio animum alicuius corrumpimus. HODIO, dum contra quemlibet adversa[rium] molimur. AMORE, dum Amico vel propinquo prestare contendimus.“ Vgl. Frojmovič 1994, S. 143.
[26] Als prototypische Darstellungen für das zugrunde liegende religiöse Figurenschema sind Giovanni Pisanos Verspottung an der Kanzel des Pisaner Doms (1297 – 1301), Giottos Verspottung in der Scrovegni Kapelle in Padua (1302 – 1305) und Lippo di Benivienis Cristo deriso in Strassburg (1296 –1327) zu nennen, die allesamt nach einer ähnlichen Bildlogik funktionieren. Vgl. Maria Monica Donato, Dal Comune rubato di Giotto al Comune sovrano di Ambrogio Lorenzetti, in: Arturo Carlo Quintavalle (Hg.), Medioevo immagini e ideologie; atti del Convegno Internazionale di Studi, Parma, 23. – 27. September 2002, Milano 2005, S. 489 – 509, hier S. 497.
[27] Wörtlich zitiert wurde Francescos Figurenkonzept für die Illuminierung von Brunetto Latinis Tesoro (Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. 42, 19), wo unter der Rubrik „De la constantia“ auf fol. 47v eine gerahmte Miniatur mit goldenem Hintergrund inseriert ist, in der Constantia auf einer Bank thronend, mit einem blauen Brustschild gewappnet und in ihre Lektüre vertieft zu sehen ist, wie sie den vier angreifenden Lastern widersteht. Vgl. Partsch 1981, S. 90.
[28] Documenti d’Amore II.375: „Patientia virtus est contumeliarum et omnis adversitatis impetus equanimiter tollerans.”
[29] Documenti d’Amore I.227: „Sua figura / sta secura / ad un’ altra, che pare / che le voglia / a malavoglia / una gautata dare.” (Vers 3791 – 3796)
[30] Documenti d’Amore II.377: „scilicet iniuriam que recta stat apta ut percutiat, cuius effigiem vides turpem, quia iniuriantes displicent; cornuta est, quia semper ut ledat nititur capillis habet in altum et <ir>tis quod signamur in illa fore superbia, […]“
[31] Ungeordnetes oder flatterndes Haar galt bereits auf den Darstellungen römischer Sarkophage (z.B. Ludovisisarkophag, Rom, Thermenmuseum) als Ausdruck von „Wildheit und Ungeordnetheit” (Katzenellenbogen), so dass Francesco hier auf eine etablierte Semantik zurückgreifen konnten. Vgl. Adolf Katzenellenbogen, Die Psychomachie in der Kunst des Mittelalters von den Anfängen bis zum 13. Jahrhundert, Hamburg 1933, S. 15.
[32] Hierzu Paolo D’Ancona, L’uomo e le sue opere nelle figurazioni italiane del Medioevo (miti, allegorie, leggende), Firenze 1923, S. 38. Abgesehen von Illustrationen zu Prudentius Psychomachia hatte sich für Patientia keine nennenswerte Ikonographie entwickelt. Vgl. Michaela Bautz, Virtutes. Studien zu Funktion und Ikonographie der Tugenden im Mittelalter und im 16. Jahrhundert, Berlin 1999, S. 303.
[33] Hierzu: Aniello Nappi, Ingiuria e Diffamazione, in: Enciclopedia Giuridica, Volume XVII (1989), S. 1 – 13.
[34] Documenti d’Amore II.376: „Patientia est virtus ad adversa non pavida, in adversis non mutata, et super adversis multis non turbata vilitate non tollerans sed virtute, que facit de humilitate probitatem.“ Vgl. Frojmovič 1994, S. 157.
[36] Nähere Ausführungen hierzu bei: Walter Goetz, Die Entstehung der italienischen Kommunen im frühen Mittelalter, in: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Abteilung 1 (1944), S. 5-127; Hans Conrad Peyer, Die Geschichte Italiens im 14. Jahrhundert, in: Walter Rüegg (Hg.), Das Trecento. Italien im 14. Jahrhundert, Zürich 1960, S. 9 – 35; Lauro Martines, Power and Imagination. City-States in Renaissance Italy, New York 1979; Giuspeppe Galasso, Storia d’Italia: Città e Comuni. Nobilità e popolo, consoli e podestà, Torino 1981.
[37] Figuren mit verschränkten Armen finden sich in der religiösen Trecento-Malerei sowohl auf Tafelbildern (z.B. Simone Martinis Maestà, Sala del Consiglio, Palazzo Pubblico, Siena, 1315; Taddeo Gaddis Tryptichon, Gemäldegalerie, Berlin, 1334) als auch in der Buchmalerei (z.B. fol. 117v der Biblia in New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 215). Beispiele der profanen Kunst sind fol. 75v des Volgarizzamento del Pater Noster von Zucchero Bencivenni (Florenz, Biblioteca Centrale Nazionale, II.VI.16) oder das Portikuskapitell am Dogenpalast mit der Darstellung der Obedentia.
[38] James H. Stubblebine, Giotto. The Arena Chapel Frescoes, London 1969, S. 94f.
[39] Catherine Guimbard, Recherches sur la vie publique de Francesco da Barberino, in: Revue des Études Italiennes XXVIII (1982), S. 5 – 39, hier S. 17.