Eine Zusammenführung, die keiner vorgegebenen Komposition oder Richtung folgt und ihre einzelnen Elemente also keinem gemeinsamen Maßstab unterordnet – so das Strukturprinzip der all over Malerei, das eine Art ungeordnete Ordnung schafft, in der sehr Verschiedenartiges nicht nur nebeneinander bestehen kann, sondern miteinander in Beziehung tritt. Doch bleibt das entstehende netzartige Gewebe, wenn auch über alles hinweg laufend, doch an die meist rechteckige Bildform gebunden. Ähnlich ist die thematische Heterogenität unserer Beiträge durch formale, wissenschaftliche und redaktionelle Normen gebunden, die einen gemeinsamen Rahmen für die Diversität der Beiträge herstellen.
Dass eine derart feste Rahmung nicht zwingend nötig ist, um das Zusammenspiel innerhalb eines heterogenen und diversen Feldes zu ermöglichen, ist mitunter Thema dieser Ausgabe. Im sozialen Sinne kann die Loslösung von einem vorgegebenen Rahmen zu einem radikaleren Modell von Gemeinschaft führen. Gemeinschaft und soziale Interaktion sind dann nicht im Voraus geregelte beziehungsweise habitualisierte Praktiken, sondern arrangieren sich in einer offenen Choreografie zwischen den einzelnen TeilnehmerInnen immer wieder neu. So jedenfalls denkt Jean-Luc Nancy die Gemeinschaft und erklärt sie dadurch zu einem prozesshaften Geschehen, das die Grenzlinien und Berührungspunkte zwischen den Beteiligten laufend artikuliert und so eine Gemeinschaft zulässt, in der die Singularität und Inkommensurabilität des Einzelnen bestehen können. Die Formation einer solchen Gemeinschaft in der Tanzproduktion You’ve changed des Choreografen Thomas Hauert ist Thema von Mona de Weerdts Beitrag.
Auf ganz andere Weise stellt sich die Frage nach der Herausbildung von Grenzen und Gemeinschaft in Bezug auf die postkoloniale Kunstwelt. Vorab fixierte Hierarchien scheinen im globalen Maßstab die Bewegungen von Kunstmarkt und Kanonisierung zu bestimmen, wie Marenka Krasomil in ihrem Beitrag argumentiert.
Im Kontext des Surrealismus der 1930er-Jahre verbinden sich Überschreitungen und Verschiebungen ästhetischer und nationaler Grenzen. Max Ernst erprobt die imaginäre Kartografie als politisch-ästhetische Sprache, wie Maria Engelskirchen in einer Analyse seines Werks Europa nach dem Regen zeigt.
Den Topos eines von der Welt gänzlich abgeschlossenen und unberührten Bereichs – des hortus conclusus – besprechen Alexander Kluge und Gawan Fagard in einem Gespräch über eine geplante Kollaboration zwischen Kluge und Andrei Tarkovski. Das Gespräch, dessen erster Teil in dieser Ausgabe erscheint, wird in der kommenden Herbstausgabe weitergeführt.
Fragen zur Individualität und Typisierung in den Porträts von Théodore Géricault beschäftigen Gabriel Hubmann in seiner Besprechung der Ausstellung Géricault. Bilder auf Leben und Tod in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt.
Die Bildstrecke lightbox wurde diesmal von Elisabeth Greinecker gestaltet und erscheint an zwei Stellen im Heft. Die Fotos sind auf einer selbstgebauten Lichtbox entstanden und zeigen Materialien, Gegenstände und Verpackungen, mit denen Elisabeth Greinecker sonst skulptural und installativ arbeitet.