I.
Es ist offensichtlich, dass die wohlhabenden neuen Eliten Kunst und Kultur als identitätsstiftend entdeckt haben. Doch die Kunstszene muss überrascht feststellen, dass sich am Golf, in China oder Südamerika kaum jemand für ihr Bekenntnis zum Multikulturalismus, für Bürgerrechte und Toleranz interessiert. Die ehemaligen Peripherien halten sich als neuerdings einflussreiche Kunst-Akteure jedenfalls nicht damit auf.[1]
Die Kunstkritikerin Catrin Lorch stellt den identitätsstiftenden Charakter von Biennalen und Großausstellungen in nicht-westlichen Regionen anhand der Sharjah Biennale 2013 heraus. Die Ausstellungen entwickelten sich zu Image- und Lifestyleereignissen für wohlhabende BesucherInnen. Lorch kritisiert die Präsentation politischer Kunst in Kontexten, die diese zu Prestigeobjekten verklären. Hier stellt sich die Frage, welche Symbole sich auf solchen Großereignissen manifestieren: Transportieren sie kulturelles und symbolisches Kapital eines westlichen Anerkennungssystems?[2] Oder stehen die präsentierten Objekte in einem vom Westen unabhängigen Kapitalsystem?
Seit den späten 1980er Jahren ist die Teilhabe nicht-westlicher KünstlerInnen im Kunstausstellungskontext gestiegen.[3] Diese Entwicklung ist auf die durch die Globalisierung beförderte Zunahme von Biennalen und Großausstellungen zurückzuführen, die nicht-westliche KünstlerInnen integrieren und deren verhältnismäßig geringe Präsenz thematisieren, wie etwa die Ausstellung The Global Contemporary. Kunstwelten nach 1989 (17. September 2011 – 5. Februar 2012, ZKM – Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe).[4]
Gleichzeitig ist zu beobachten, dass sich das Interesse von KunsttheoretikerInnen, KritikerInnen und KuratorInnen von der Möglichkeit, nicht-westliche Kunst sichtbar zu machen, hin zu den so genannten Gatekeeper-Positionen derjenigen, die über den Eintritt von KünstlerInnen in Kunstwelten entscheiden, richtet. Der Blick wendet sich dem Selektionsprozess zu, der auf der einen Seite nicht-westliche Kunst in temporären Ausstellungen und auf dem Kunstmarkt zulässt, auf der anderen Seite jedoch dieser Kunst den Weg in die Museumssammlungen erschwert.[5]
Anhand der Ausstellung The Global Contemporary wird untersucht, ob die zunehmende Sichtbarkeit nicht-westlicher KünstlerInnen im Ausstellungsbetrieb die Aufhebung der westlichen Dominanz bewirkt oder ob dadurch lediglich die Machtverhältnisse auf eine neue Ebene, nämlich auf jene der KuratorInnen, KunstkritikerInnen und MuseumsdirektorInnen, verschoben werden. Die Bedingungen, unter denen nicht-westliche KünstlerInnen in Ausstellungen integriert werden, werden im Folgenden herausgestellt, um herauszufinden, wer in den Kunstwelten tonangebend agiert. Dazu wird der Frage nachgegangen: Welche Rolle spielt die Kunstwelt, die nach Arthur Dantos Definition die KunstkritikerInnen, KunsthistorikerInnen, GaleristInnen, SammlerInnen und KuratorInnen eines westlichen Kunstsystems umfasst – jene AkteurInnen, die den Kunstdiskurs steuern und den Markt beeinflussen?[6]
Es gilt zu erläutern, inwiefern sich die Sichtbarkeit der nicht-westlichen KünstlerInnen erhöht hat, da sie bislang offenbar dennoch nicht hinreichend symbolisches Kapital erlangt haben, um Eingang in die Museumssammlungen und die westlich dominierte Kunstgeschichtsschreibung zu finden. Mit Augenmerk auf ihren transkulturellen Charakter wird das Verständnis zeitgenössischer Kunst untersucht und ihr Potenzial als Global Art zu agieren diskutiert.[7]
II.
Die Auswirkungen und Mechanismen der Globalisierung werden im Kunstfeld vor allem durch den postkolonialen Diskurs in neuer Weise aufgegriffen und diskutiert. Die Verhältnisse von Herrschenden und Beherrschten, von Zentrum und Peripherie veränderten sich nach dem Ende der Kolonisation. Manche KritikerInnen meinen, eine Wende hin zur Gleichberechtigung zu erkennen, andere sehen eine Stärkung der bestehenden und vom Westen dominierten Machtverhältnisse. In beiden Fällen werden die Kriterien von Macht und Herrschaft erneut diskutiert.
Im aktuellen Diskurs lassen sich insbesondere zwei Strömungen unterscheiden: die Imperialismustheorie und die Netzwerktheorie. Die VertreterInnen der Imperialismustheorie neigen zu der Annahme, die Globalisierung sei die Ausbreitung westlicher Interessen und im speziellen des liberalen, US-amerikanischen, kapitalistischen Wirtschaftssystems. Man geht von einem in Zentrum und Peripherie geteilten System aus, wobei das Zentrum durch den Westen besetzt ist und über die größere Macht verfügt.[8] Die AnhängerInnen der Netzwerktheorie dagegen verstehen die Globalisierung als ein Netzwerk, das einen gemeinsamen Hybrid hervorbringt. Interaktion und gleichwertiges Zusammenwirken verschiedener Kulturen werden hier betont. Beide Strömungen besitzen eine anfängliche Übereinstimmung. Sie gehen davon aus, dass sich seit dem Beginn des neuzeitlichen Kolonialismus westliche Machtstrukturen gefestigt haben und die westliche Kultur in die Welt exportiert wurde. Die Auswirkungen und Machtstrukturen sind für die AnhängerInnen der Imperialismustheorie noch immer aktuell. Die NetzwerktheoretikerInnen vertreten dagegen die Ansicht, der Westen habe in den letzten Jahrzehnten soweit an Macht verloren, dass es anderen Staaten möglich sei, Macht und dadurch auch Einfluss zu erlangen. So habe sich eine netzartige Interaktionsstruktur herausgebildet, in welcher alle TeilnehmerInnen eine gleichwertige Stellung einnehmen.[9] Im Gegensatz dazu sieht die Imperialismustheorie keine deutlichen Verschiebungen der Machtzentren, auch wenn voranschreitende geografische Veränderungen, wie etwa die weltweite Biennalisierung, im Kunstfeld zu erkennen sind. Die zunehmende Sichtbarkeit nicht-westlicher Kunst und KünstlerInnen bedeute nicht zwangsläufig auch eine Veränderung des Machtzentrums. Nach Bourdieus Feldtheorie, die im Sinne der Imperialismustheorie gelesen werden kann, kann eine Veränderung der Macht nur aus der Umverteilung von symbolischem Kapital resultieren. Da es nicht-westlichen KünstlerInnen jedoch nicht allein durch eine verstärkte Präsenz im Kunstfeld gelingt, mehr symbolisches Kapital zu gewinnen, können Bourdieu zufolge alte Machtstrukturen weitestgehend beibehalten werden.[10]
Eine Möglichkeit, die Sichtbarkeit von KünstlerInnen im internationalen Ausstellungsdiskurs zu messen, bietet die Plattform artfacts.net. Diese veröffentlicht jährliche Rankinglisten von KünstlerInnen in Abhängigkeit von ihrer internationalen Sichtbarkeit. Wird den Erhebungen von artfacts.net Glauben geschenkt, kann anhand der Top 100 Artists Rankinglist festgestellt werden, dass zunehmend nicht-westliche KünstlerInnen in Ausstellungen führender Museen und Ausstellungshäuser präsent sind.[11] Aber auch unter räumlichen Kriterien zeichnet sich eine Ausbreitung ab: Weltweit lässt sich eine anwachsende Zahl neuer Biennalen beobachten, auf denen zunehmend KünstlerInnen aller Nationen ausgestellt werden. Wird diese Entwicklung einer genaueren Betrachtung unterzogen, stellt sich die Frage: Wer stellt diese KünstlerInnen aus und unter welchen Bedingungen erhalten sie Anerkennung?
III.
Trotz den Bestrebungen, die stets vorhandenen dominanten westlichen Machstrukturen aufzulösen, sind die Mechanismen des Modernismus tief in den politischen wie kulturellen Strukturen verwurzelt. Auch wenn NetzwerktheoretikerInnen die Ansicht vertreten, die Globalisierung habe die Machtverhältnisse verändert, sind doch weiterhin Ungleichheiten zu finden. Die Kuratorin Maria Hlavajova beschreibt dies wie folgt:
Offensichtlich betrachtete der so genannte Westen den Zusammenbruch des Kommunismus als endgültigen Triumph der kapitalistischen Demokratie über ihren einzigen ernsthaften ideologischen Konkurrenten. In seiner Siegestrunkenheit hat dieser Westen die gewohnte Dreiteilung der Welt aus dem Kalten Krieg beibehalten. Er verhält sich auf symbolischer und realpolitischer Ebene weiter wie ein ‚erster’ unter drei doch angeblich gleichen Teilen der imaginär geeinten – gemeinsamen – Welt.[12]
Die Vormachtstellung äußere sich auch in der kuratorischen Praxis, die die Repräsentation nicht-westlicher Kulturen im Westen anstrebt, wobei die Definitionsmacht von Kunst und Anerkennung westlichen KuratorInnen vorbehalten bleibt. Diese Praxis wurde lange Zeit unreflektiert vollzogen. Seit geraumer Zeit jedoch scheint sich ein Wandel dahingehend abzuzeichnen, dass die eigene kuratorische Position stärker reflektiert wird.[13] Festzustellen ist, dass seit den 1970er Jahren der Kurator oder die Kuratorin den internationalen Kanon bedeutender mitbestimmt. ExpertInnen, wie etwa die Kunstwissenschaftlerin Beatrice von Bismarck und der Philosoph Oliver Marchart, beschreiben diese Entwicklung mit dem Verweis auf einen Wandel der kuratorischen Tätigkeit seit Harald Szeemann. Er deklarierte Ausstellungen als Gesamtkunstwerke und rückte die Subjektposition – den Status des Kurators oder der Kuratorin – in den Fokus einer breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Dadurch konfrontierte er das Tätigkeitsfeld mit neuen Aufgaben. Auch im Sinne Bourdieus hat der Status des Kurators oder der Kuratorin seit den 1970er Jahren an symbolischem Kapital gewonnen. Der Handlungsrahmen hat sich von einer rein organisatorischen Tätigkeit hin zu einer bedeutungsstiftenden gewandelt und steht folglich in einem Spannungsverhältnis zur Position der Kunstschaffenden. Die AgentInnen des Kunst- und Kulturfeldes befinden sich also Bourdieu zufolge in einem permanenten Positionierungskampf. Sie seien stetig um die Gewinnung und Anhäufung von kulturellem und symbolischem Kapital bemüht. Die ständige Bewegung, das immerwährende Spiel bilde neue Handlungsräume heraus und fordere die Agenten zur Interaktion auf.[14] So waren es Künstler wie Marcel Broodthaers, Daniel Buren oder Lawrence Weiner, die in den 1970er Jahren begannen, die professionellen Rollen im Kunstbetrieb zu hinterfragen und die Grenzen der klassischen Aufgabenbereiche von KünstlerInnen als KunstproduzentInnen und jene der KritikerInnen, KuratorInnen und KunsthistorikerInnen als Kontextschaffende zu hinterfragen und neu zu denken. TheoretikerInnen wie Lucy R. Lippard, Seth Siegelaub oder auch Harald Szeemann arbeiteten ähnlich grenzüberschreitend, indem sie Ausstellungen mit künstlerischem Werkcharakter kuratierten. Die gegenseitige Annäherung beider Felder äußert sich in Bourdieus Feldtheorie als Wettstreit im Anspruch auf Autorschaft, Kreativität und symbolisches Kapital. Im aktuellen Diskurs erscheint dieser Kampf als hemmender Prozess – wenn sich KünstlerInnen und KuratorInnen mehr als KonkurrentInnen denn als MitstreiterInnen verstehen.
IV.
Die Ausstellung am ZKM wurde vom österreichischen Kunst- und Medientheoretiker und Direktor des ZKM, Peter Weibel, und der deutschen Kuratorin Andrea Buddensieg kuratiert und ging aus dem Forschungsprojekt Global Art and the Museum (GAM) hervor. GAM ist ein 2006 von Weibel und dem deutschen Kunsthistoriker und Medientheoretiker Hans Belting initiiertes Projekt, das sich der Untersuchung und Dokumentation der umstrittenen Grenzen von Kunstwelten widmet. Die GAM Mitglieder verstehen „Kunstwelten“ im Unterschied zu Danto als mehrere Welten, die jeweils von ihrer regionalen Lage abhängig sind. Das übergeordnete Interesse des Projektes spiegelt sich in dem Bestreben wider, eine globale Kunstgeschichtsschreibung zu etablieren. In diesem Sinne wird eine Bestandsaufnahme der bestehenden Kunstinstitutionen und Produktionsstätten erhoben. Besonders wird der Einfluss der Globalisierung auf die Kunst, ihre Produktionsbedingungen, ihre Verbreitung und Präsenz untersucht, um die Entwicklung der letzen 20 Jahre herauszustellen. Im Mittelpunkt des Forschungsprojektes steht die Fragestellung, wie diese Reflexionen zur Globalisierung auf die Arbeitsweisen und Methoden der Präsentation von zeitgenössischer Kunst Einfluss nehmen können.[15]
Im Rahmen des GAM Projektes fand die Ausstellung The Global Contemporary statt. Mit künstlerischen Positionen und dokumentarischen Materialien wurde die Globalisierung einerseits hinsichtlich ihrer dominanten Marktmechanismen und andererseits betreffend ihrer Utopien der Vernetzung untersucht.[16] Der Ausstellungstitel bezieht sich auf das Jahr 1989 als Ausgangspunkt einer globalen Kunstbetrachtung und verweist auf Ereignisse wie die Vereinigung Deutschlands, das Ende des Kalten Krieges, den russischen Abzug aus Afghanistan oder die gewaltsame Niederschlagung der chinesischen Studentenbewegung. Zudem fand 1989 im Centre Pompidou die Ausstellung Magiciens de la terre statt, die als Schlüsselereignis im postkolonialen Ausstellungsdiskurs wahrgenommen wird. Seither, so der Tenor, würde weltweit das zeitgenössische Kunstsystem neu konfiguriert werden. Besonders deutlich zu erkennen sei dies sowohl an den vielen neuen Museumsbauten für zeitgenössische Kunst als auch an der steigenden Zahl der Biennalen.[17]
The Global Contemporary versuchte, die Grenzen eines Kunstbegriffs auszuloten, der lange Zeit so stark vom Westen geprägt wurde, dass er zur Eintrittsbarriere für nicht-westliche KünstlerInnen wurde. Auch teilte die Ausstellung die Kritik der Imperialismustheorie am Modernismus: Es wird davon ausgegangen, dass sich nicht-westliche KünstlerInnen entweder rigoros an den modernen Kunstbegriff anpassen oder die künstlerische Auseinandersetzung auf die eigene Tradition beschränken müssen, um als VertreterInnen einer bestimmten lokalen Kunst Eingang in westliche Kunstwelten zu finden. Die Ausstellung verwendete den Begriff der Global Art als Synonym für eine zeitgenössische Kunst, die sich mit globalen und postkolonialen Situationen auseinandersetzt und diese geschichtlichen Barrieren aufzuheben sucht.[18]
Positiv herauszuheben ist die offene und sehr kritische Einstellung der InitiatorInnen gegenüber dem, was heute als zeitgenössische Kunst verhandelt wird. Besonders wenn der Fokus auf die Ausstellungsformen gerichtet wird: Hier verbleiben die Untersuchungen nicht bei der Diskussion um die weltweite Biennalisierung als Zeichen für globale Kunstsysteme, sondern erforschen, wie es sich mit den Museen als deutlich stärkeren Gatekeeper-Institutionen verhält. Belting stellt die Hürden der permanenten Aufnahme von nicht-westlicher Kunst in westliche Kunstwelten und Museumssammlungen heraus, wenn er schreibt:
„The presence of non-Western contemporary art in biennials and private collections is not a clear indication of whether its institutionalization in permanent and public collections will follow or whether, on the contrary, the new art production will undermine the profile of the museum. In other parts of the world, art museums either lack any history or are suffering from the history of colonialization.“[19]
Eine mögliche Ursache für diese Barrieren ist die institutionelle Trägheit, die die Erweiterung und Neustrukturierung von Sammlungen erschwert und Museen nur eingeschränkt auf Wandlungen in zeitgenössischen Kunstfeldern reagieren lässt. Dies liegt nicht allein am Budget für Sammlungserweiterungen, sondern ist vielmehr Ausdruck von starrer Identitäts- und Profilpolitik, wodurch Ankäufe von zeitgenössischer nicht-westlicher Kunst verhindert werden. Im Gegensatz dazu greifen temporäre Kunstausstellungen, wie etwa die weltweiten Biennalen, Veränderungen leichter auf und zeigen regionale nicht-westliche Kunst. Diese schnelle Inklusion führt nicht zwangsläufig auch dazu, nicht-westliche Kunst auf lange Sicht in die Kunstwelten zu integrieren. Im Sinne Bourdieus können die KünstlerInnen mit diesen temporären Ausstellungen nicht ausreichend symbolisches Kapital erwerben, um die Schnelllebigkeit zu überstehen.
Das GAM Projekt stellt davon ausgehend die Frage, unter welchen Kategorien nicht-westliche KünstlerInnen verhandelt werden, die erst kürzlich Zugang zum Kunstmarkt gefunden haben. Belting zum Beispiel äußert sich deutlich zur aktuellen Situation von nicht-westlichen Künstlern im Kunstmarkt und hebt in seinem Artikel Contemporary Art and the Museum in the Global Age besonders die chinesischen Kunst-AkteurInnen hervor. Den Eintritt nicht-westlicher Kunst in den Kunstmarkt stellt er als bedeutendes Ereignis für alle Kunstwelten heraus:
„[N]ow newcomers from the former ,third’ world are taking the lead in the course of events. At least, nothing of similar importance in terms of its impact on the market is present in the West. Take only the Chinese invasion and its hot acclamation by Western collectors.“[20]
Die Frage, ob nicht-westliche Kunst den Schwankungen des Kunstmarktes widerstehen wird und Eingang in die Museen für zeitgenössische Kunst finden wird, bleibt letztlich jedoch unbeantwortet.
Weitere Kritik am GAM Projekt muss besonders auf den Ebenen der Zusammensetzung der InitiatorInnen geübt werden: Bestehend aus Peter Weibel, Hans Belting und Andrea Buddensieg, die alle westlich sozialisiert sind, wird erneut die Vormachtstellung des Westens auf der Leitungsebene deutlich. Auch die Untersuchung zu den 27 AutorInnen der Publikationen Contemporary Art and the Museum. A Global Perspective und Global Studies. Mapping Contemporary Art and Culture, ergab, dass nur 11 von ihnen nicht-westlich sozialisiert und in nicht-westlichen Kontexten zu leben und zu arbeiten angeben.
Durch das Forschungsprojekt GAM und die Ausstellung The Global Contemporary wurde die Kritik an der Kunstgeschichtsschreibung, an der hegemonialen Stellung des Westens und an der modernen Museumsgeschichte erneut angegangen. Beide Unternehmungen eröffneten einen neuen Verhandlungsraum und damit einhergehend auch den Diskurs über neue Begriffe wie den der Global Art. Obwohl die inhaltliche Zielsetzung der Global Art eher als theoretische Definition funktioniert, als dass sie sich in der Praxis in den Kunstwelten tatsächlich durchgesetzt hätte, so öffnet der Begriff doch einen Spielraum für die Ausdifferenzierung der Kunstwelt in mehrere Welten. Gleichzeitig appelliert GAM an ein komplexes Verständnis zeitgenössischer globaler Kunst und daran, den aktuellen Paradigmenwechsel sorgsam nachzuvollziehen. Denn nur dadurch könnte der Impuls, die Kunstgeschichtsschreibung zu ändern, weitergeführt werden. Zukünftige Kunstgeschichte sollte weniger auf der Zentralstellung westlicher Entwicklungen und Perspektiven beharren, sondern im Gegenzug eine multiperspektivische und global orientierte Sichtweise zu eröffnen versuchen. Leider geriet bei dem Projekt die generelle Tatsache aus dem Fokus, dass auch die Korrekturen am stets modernistisch geprägten Kunstbegriff vom Westen angestrebt werden – etwa dann, wenn der Westen sein postkoloniales Verständnis durch großangelegte Ausstellungen und Forschungsprojekte in der Welt verbreitet.[21]
Positiv ist jedoch anzumerken, dass ein Ruf nach Veränderung hörbar wird: Es zeichnet sich ein deutliches Verlangen ab, nicht so weiterzumachen wie bisher – auch wenn noch nicht klar ersichtlich ist, wie die Praxis in der Zukunft aussehen soll. Es scheint die Zeit eines Paradigmenwechsels gekommen, in der die alte Form der Macht in Frage gestellt werden kann, ohne dass sich bereits eine neue Form der Macht oder des Machtgefüges abzeichnen muss. Die Zukunft erscheint als ein ungleich größeres Feld offener Handlungsmöglichkeiten, in dem dazu noch ein grundlegend neues Verständnis von Welt etabliert wird. Dazu bedarf es neuer Methoden, die sich nicht strikt aus einer westlichen Kunstgeschichte ableiten lassen. Vielmehr wird eine globale Kulturwissenschaft erforderlich, die Raum für globale Disziplinen und Werkzeuge schafft. Dies ist jedoch nicht einfach damit getan, mit Ausstellungsprojekten wie The Global Contemporary weitere Kapitel postkolonialer Geschichte zu schreiben, vielmehr gilt es die Bestrebung zu befeuern, die Kunstgeschichte der letzten Jahre neu zu untersuchen. Dies verlangt, die künstlerischen und theoretischen Ereignisse mit Hilfe globaler Methoden, die sich nicht der dominanten Linearität und der eurozentrischen Deutung unterwerfen lassen, neu zu lesen.
[1] Catrin Lorch, Blick von Süden durch die Weltkugel, in: Feuilleton Süddeutsche Zeitung, Nr. 64, 2013, S. 13.
[2] Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main 1982, S. 150 – 161; 212 – 213; 365.
[3] „Westen“ meint hier Europa und die USA. Diese Definition fokussiert im Sinne Stuart Halls eine gesellschaftliche Konstruktion verbunden mit der geografischen Lage.
[4] Vgl. Monica Juneja, Global Art History and the „Burden of Representation“, in: Global Studies. Mapping Contemporary Art and Culture, hg. v. Hans Belting et al., Ostfildern 2011, S. 274 – 275.
[5] Vgl. Yvette Mutumba, Die (Re-) Präsentation zeitgenössischer afrikanischer Kunst in Deutschland, Stuttgart 2008, S. 61 – 78.
[6] Vgl. Arthur Danto, The Artworld, in: Journal of Philosophy, Vol. 61, Nr. 19, 1964, S. 571 – 584.
[7] Vgl. Belting et al. 2011.
[8] Unter „Macht“ wird hier vor allem ein hohes Maß an kulturellem und symbolischem Kapital (Bourdieu) verstanden, welches es den InhaberInnen ermöglicht, Einfluss auszuüben, den Kanon zu stiften sowie In- und Exklusionsregeln aufzustellen.
[9] Vgl. Ulf Wuggenig, Das Empire, der Nordwesten und der Rest der Welt. Die „internationale zeitgenössische Kunst” im Zeitalter der Globalisierung, 2002. URL: http://www.republicart.net/disc/mundial/wuggenig02_de.htm [23.03.2013].
[10] Vgl. Bourdieu 1982.
[11] Etwa in der Tate Modern, London, dem Museum of Modern Art, New York, und dem Centre Pompidou, Paris. Vgl. URL: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/199561/umfrage/fuehrende-kunstmuseen-weltweit-nach-anzahl-der-besucher/ [12.08.2013].
[12] Maria Hlavajova, Former West, Ausstellungsbroschüre, HKW, Berlin 2013, S. 7.
[13] Vgl. Ausstellungsprojekte wie Former West am HKW, Berlin oder The Global Contemporary am ZKM, Karlsruhe.
[14] Vgl. Bourdieu 1982, S. 174 – 175; 212 – 213; 355 – 366.
[15] Vgl. Belting, et al. 2011.
[16] Vgl. ebd.
[17] Vgl. ebd.
[18] Vgl. ebd.
[19] Hans Belting, Contemporary Art and the Museum in the Global Age, Ostfildern 2007, S. 16.
[20] Ebd., S. 21.
[21] Vgl. Anne Schreiber, The global Art World. Audiences, Markets, and Museums, 2009. URL: http://www.artnet.de/magazine/hans-belting-und-andrea-buddensieg-hg-the-global-art-world-audiences-markets-and-museums/ [24.03.2013].