Der Schweizer Choreograph Thomas Hauert und seine 1998 gegründete und in Brüssel angesiedelte Kompanie ZOO nutzen Tanzimprovisation als choreographische Arbeitspraxis. Improvisation dient ihnen als Mittel zur Bewegungsfindung sowie analytischen Erforschung und Erweiterung von Bewegungsmaterial während des Probenprozesses, fungiert aber auch als formales Kompositionsmittel in den Live-Aufführungen; so auch in der hier besprochenen Produktion You’ve Changed von 2010. Die Tanzenden improvisieren hier miteinander, finden sich oftmals zu knäuelartigen Gebilden zusammen, orientieren sich dabei aneinander, übernehmen Bewegungen voneinander und agieren vergleichbar einem Vogel- oder Fischschwarm. Mittels der Denkfigur des Schwarms möchte ich diese visuell wahrnehmbaren schwärmenden Konstellationen beschreiben und analysieren. Mit dieser epistemologischen Figur lassen sich auch die kinästhetischen Übertragungsprozesse erläutern, die sich in dieser Live-Improvisation zwischen den Tanzenden ereignen. Mittels Überlegungen, die der französische Philosoph Jean-Luc Nancy in seiner Schrift singulär plural sein entwickelt hat, wird anschließend die Konzeption von Gemeinschaft – oder gemäß Nancy das ‚Mit-Sein’, das sich in You’ve Changed zeigt, diskutiert.[1] Es wird nicht darum gehen, die Theorie Nancys für meine Anschauungen einfach kommensurabel zu machen und dem Gegenstand überzustülpen. Vielmehr soll danach gefragt werden, wie sich Nancys Philosophie für eine tanzwissenschaftliche Anschauung fruchtbar machen lässt. Nancys Denken bietet sich für meine Überlegungen an, da sich der Autor in seinen Schriften immer wieder mit dem Körper und dem Tanz beschäftigt hat. In Ausdehnung der Seele beispielsweise dient ihm der Tanz als Denkfigur, um in Auseinandersetzung mit Descartes über das Verhältnis von Körper und Geist nachzudenken. Auch scheint Nancys Gemeinschaftsbegriff für ein Nachdenken über die Entstehung eines Mit-einanders in einer Tanzimprovisation geradezu prädestiniert, da darin bereits eine Art rhythmisches Verhalten der Körper zu- und miteinander angelegt ist. Gemäß Nancy vermag der Tanz alles um sich herum in Schwingung zu versetzen und dementsprechend Teilhabe zu stiften.[2]
Zur ‚improvisierten Choreographie’ You’ve Changed
Die Produktion entstand sukzessive in einer Art Kettenreaktion. Geprobt wurde im Studio, die dort improvisierten Bewegungen dienten als Basis für eine dreißigminütige Videoversion. Auf dieses in der Probe gefilmte Bewegungsmaterial folgte die Musikkomposition, entworfen von Dick van der Harst. Anschließend entstanden neue improvisierte Bewegungen als Antwort auf diese anspruchsvolle und oft a-rhythmische musikalische Komposition. In der fertigen Bühnenproduktion sind schließlich acht Tanzende zu sehen, fünf Männer und drei Frauen. Diese tragen unterschiedlich farbige Ganzkörperanzüge und tanzen auf einer leeren Bühne verschiedene Konstellationen: Soli, Duette, Trios oder in der Gruppe. Die Videoaufnahme wird in gewissen Passagen der Live-Aufführung auf einen transparenten Gazevorhang projiziert, der als vierte Wand fungiert, oder aber auf zwei Gazevorhänge – von denen sich einer am Bühnenvordergrund, einer am Bühnenhintergrund befindet –, die das Bühnengeschehen konkret räumlich und medial-virtuell rahmen. Die Tanzenden imitieren nun – immer mit einer minimalen Verspätung – die projizierten Bewegungen. Sie übernehmen Bewegungen von ihrem virtuellen Gegenüber, so als würden sie sich gegenseitig anschauen oder spiegeln. Reale und projizierte Körper überlagern sich, interagieren, kommunizieren. Meistens ist dieser Gazevorhang jedoch hochgezogen und die Tanzenden orientieren sich nicht an ihrem virtuellen, sondern an ihren realen Gegenübern, wobei oftmals ‚schwärmende Konstellationen’ entstehen.
Es gibt Passagen ohne und solche mit Musik. Die Musik gliedert das Stück dabei in einzelne Sequenzen, in denen jeweils die Anzahl Tanzender und die Auf- und Abtritte festgelegt sind, und organisiert so das Bühnengeschehen. DieImprovisierenden nehmen grundlegende strukturelle Eigenschaften der musikalischen Kompositionen auf, sie reagieren auf Impulse der Musik und überführen diese in Bewegung. Dabei treffen die Tanzenden selbständige Entscheidungen, wie sie ihre Bewegungen ausführen, wodurch ein Prozess entsteht, in dem sie das erprobte Bewegungsmaterial in einem live generierten Entstehungsvorgang selbständig und kreativ bearbeiten und formen. Bei der hier stattfindenden Improvisation handelt es sich dennoch nicht um eine freie Improvisation, sondern um eine strukturierte und erlernte. Erlernt, weil die Tanzenden in einem vorhergehenden Prozess gelernt haben gemeinsam zu improvisieren. Strukturiert, weil einige Vorgaben als choreographischer Score gesetzt sind und erst in der Aufführung mittels improvisierter Bewegungen aktualisiert werden. Diese Art der geplanten Improvisation begreife und bezeichne ich als ‚improvisierte Choreographie‘ – ein Terminus, der von der Tanzwissenschaftlerin Susan Foster geprägt wurde.[[3]
Der Schwarm als konkrete Raum- und als epistemologische Denkfigur
Bei You’ve Changed handelt es sich um ein abstraktes Stück ohne narrative Strukturen. Vorgeführt wird uns ein Generieren von Bewegung, das im Moment entsteht. In diesem Sinne handelt es sich nicht nur um eine auf- beziehungsweise ausgeführte Tanzimprovisation, vielmehr erweist sich die Produktion gleichzeitig als eine Reflexion über die tänzerische Improvisationspraxis. Der sprechenden Titel impliziert die verhandelte Bewegungsthematik: Der „Change“, die Transformation von Bewegungsmaterial und die Veränderung der Tanzenden im und durch den improvisatorischen Prozess, werden uns vorgeführt. Der Titel You’ve Changed verweist aber auch auf das Gestaltungspotenzial aller am Prozess Beteiligten und betont den Aspekt, dass der jeweils andere den Bewegungsmodus verändern kann. Diese formale Gestaltung darf nicht über die zentrale Thematik hinwegtäuschen, die vom Stück verhandelt wird: Es geht primär um das Miteinander, um soziales Verhalten und um die Funktionsweise einer nicht-hierarchischen Gruppe. Die Improvisation manifestiert sich in diesem Sinn als eine soziale Praxis, die über Bewegungsinteraktionen ein Miteinander generiert, das ich nun mittels der Denkfigur des Schwarms näher bestimmen möchte. Der Ansatz, Bewegungsphänomene mit Thesen und Begriffen aus der Schwarmforschung zu untersuchen, ist nicht neu. Seit den 1990er-Jahren gibt es verstärkt Bestrebungen, den Schwarm als Paradigma in sozial- und kulturwissenschaftlichen Analysen zu etablieren. Innerhalb der deutschsprachigen Tanzwissenschaft wurde dieser Ansatz insbesondere von Kai van Eikels und Gabriele Brandstetter geprägt.[4]Diese Denkfigurbietet sich für meine Untersuchungen dezidiert an, denn beide Phänomene – der Schwarm und die Tanzimprovisation gleichermaßen – werden charakterisiert durch Emergenz, Transitorik und Performativität.
Wie aber lässt sich das Schwarmverhalten in You’ve Changed genau beschreiben? Offensichtlich finden sich die Tanzenden immer wieder zu einer schwarmartigen Gruppe zusammen. Dabei findet eine ständige Ausrichtung und Anpassung zwischen den Tanzenden statt. Oftmals initiiert einer aus der Gruppe eine Bewegung und die anderen übernehmen diese, wodurch auf der Bühne ein dicht verwebtes Bewegungsnetz aus Aktion und Reaktion entsteht, ein singuläres Ereignis bewirkt stets eine Fluktuation im gesamten System. Wir sehen einen gemeinsam erzeugten Verflechtungszusammenhang, der von keinem einzelnen Akteur vollständig beherrscht ist und sich stattdessen als gemeinschaftliches Agieren manifestiert, wobei die Musik die Tanzenden rhythmisch und dynamisch miteinander verbindet und sie als Gruppe koordiniert. Tempo, Konstellationen, Dynamik, Richtungsänderungen und die Abstände zwischen den einzelnen Mitgliedern sowie ihre Organisation im Bühnenraum verändern sich dabei fortlaufend. Einmal erscheint der Schwarm als enges Knäuel, einmal als weitläufige Raumfigur. Die Bewegungsorganisation kommt ohne zentrale Bewegungs- beziehungsweise Führungsinstanz aus. Wir sehen ein dezentrales, nicht-hierarchisches, locker verbundenes Kollektiv. Jeder ist gleichermaßen befähigt, Impulse zu senden und die Gruppe einen Moment lang zu koordinieren, Bewegungsabläufe und die Raumrichtung zu ändern und das Gesamtgeschehen zu beeinflussen und zu formen. Befinden sich die Tanzenden in einer Gruppenkonstellation, initiiert derjenige, der zuvorderst und für alle anderen sichtbar ist, die Bewegungen, die dann vom Rest der Gruppe übernommen werden. Diese exponierte Position ergibt sich zufällig und ist temporär begrenzt.
Innerhalb dieser schwarmartigen Gebilde ereignen sich kinästhetische Übertragungsprozesse zwischen den Tanzenden. Diese Übertragungen entstehen durch die Koppelung von Wahrnehmen und Bewegen – wobei sich das Wahrnehmen sowohl auf die eigenen Bewegungen als auch auf diejenigen der Anderen bezieht. Es handelt sich dabei nicht nur um ein visuelles, sondern vielmehr um ein körperlich-sinnliches Wahrnehmen, um eine körperliche Aufmerksamkeit und Achtsamkeit gegenüber den anderen Tanzenden und gegenüber dem umgebenden Raum. Die Tanzenden können die beobachteten motorischen Ereignisse entschlüsseln, sie als Handlungen verstehen, wobei dieses Verstehen keiner Vermittlung durch Denken, Begriffe oder Sprache bedarf, sondern auf Körper- und Bewegungswissen beruht.Bei diesem Bewegungswissen handelt es sich um „ein anderes Wissen als jenes, das wir üblicherweise als rationales, technisches oder diskursives Wissen akzeptieren.“[5] Dieses sinnliche und implizite Wissen befindet sich im Körper selbst. Es artikuliert sich während des Improvisierens im nicht-sprachlichen Bereich, kinetisch und kinästhetisch. Thomas Hauert betont in diesem Zusammenhang, dass sich Bewegungen zwischen den Tanzenden als kollektiv körperliche Entscheidungsprozesse ereignen und nicht auf vorgefertigten Entscheidungen eines Individuums beruhen. Bewegen und Denken bilden während des Improvisierens keinen dualistischen Gegensatz. Vielmehr sehen wir in der Improvisationsarbeit von ZOO sich-bewegende und ‚denkende Körper’. Dem Körper wird dabei eine eigene Intelligenz, ein Körper- und Bewegungswissen zugestanden. Dieses Körperwissen, das dem kognitiven Wissen nicht untergeordnet ist, erfordert einen erweiterten Begriff des Denkens, wie dies auch bei Nancy angelegt ist. Das Denken wird bei Nancy nicht als ein vom Körper getrennter geistiger Bereich angesehen, sondern ganz explizit im Körper selber angesiedelt. Dementsprechend versteht Nancy den Tanz als ein Denken, das im Körper stattfindet. An einem solchen Bewegungsdenken lassen uns Hauert und ZOO mit ihren Produktionen teilnehmen, denn in den Improvisationen von ZOO sehen wir geschmeidige und im Sinne der Bewegungsartikulation ‚eloquente’ und intelligente Körper.
Raum-zeitliche Simultanität und kontingentes Mit-einander
In seiner Schrift singulär plural sein entwirft Nancy eine Ethik des Seins und versucht der Ontologie neue Impulse zu verleihen, indem er in Anlehnung an Martin Heidegger verdeutlicht, dass nicht das Sein, sondern das Mit-Sein die grundlegende ontologische Struktur sei. Er schreibt: „Das Zu-mehreren-zusammen-Sein ist die ursprüngliche Situation.“[6] Entworfen wird eine Sozialphilosophie des Da-Zwischen, wobei der Blick auf das Intermediäre gelegt wird, das sich zwischen uns abspielt. Nancys Grundfrage lautet so auch: Was geschieht zwischen uns? Er stellt sich die Frage, wie wir ein ‚Wir’ denken können, ohne dieses ‚Wir’ einer substanziellen oder in- und exklusiven Identität zu unterwerfen. Dabei ersetzt er den historisch aufgeladenen Begriff ‚Gemeinschaft’ durch Ausdrücke wie Zusammen-Sein, Mit-Sein und Gemeinsam-Sein undbefreit ihn so von ideologischen und religiösen Aufladungen.Nancy rückt den Aspekt der Komparenz und der Mit-Teilung ins Zentrum: Wir erscheinen zusammen und teilen uns mit. Das Mit bringt dabei Kontakt zum Ausdruck, der durch die gegenseitige Annäherung und Abstandnahme konfiguriert wird. Es handelt sich beim Mit-Sein gemäß Nancy um ein Sein, das zwischen uns geteilt wird, um ein soziales Band, das verbindend, aber auch trennend ist und somit um eine gemeinschaftliche Form, die sich durch die Pluralität im Zusammen-Sein auszeichnet und nicht durch homogene Gleichschaltung, nicht durch das Teilen eines Grundsatzes oder einer Ideologie – eine identitäre Schließung der Gruppe wird abgelehnt.
Wie und mit welchem Erkenntnisgewinn lässt sich mit Nancys Gedanken die Gemeinschaft oder das Gemeinsam-Sein in der Aufführung You’ve Changed betrachten? Hier entsteht ein Mit-einander, das nicht auf Homogenisierung zielt. Das Singuläre zeigt sich in der Unvergleichlichkeit, jedoch nicht, indem sich die Tanzenden bewegungsästhetisch eminent voneinander unterscheiden, vielmehr meint das Singuläre die Unmöglichkeit der präzisen Gleichschaltung der einzelnen Tanzkörper. Es entstehen zwar immer wieder schwarmartige Gebilde, Momente, in denen sich die Tanzenden aneinander orientieren und Bewegungen voneinander übernehmen, da die Bewegungsabläufe in dieser ‚improvisierten Choreographie’ jedoch nicht wie in einer fixierten und memorierten Choreographie festgelegt sind, kommt es hier nie zu einer gänzlichen Gleichschaltung der Bewegungen und der einzelnen Körper. Die Bewegungsmuster können nie eins zu eins voneinander übernommen werden, sondern erscheinen stets leicht verzögert und immer auch leicht different. Es ergeben sich beständig Verschiebungen und Variationen bei Bewegungsübernahmen, wobei ein Mit-einander entsteht, das nicht auf synchrone Gleichschaltung zielt. Die Improvisation zeigt sich in dieser Inszenierung zudem als eine Praxis der Bewegungserneuerung. Sie beruht nicht auf einer restlos vorgefertigten und einverleibten Körper- oder Tanztechnik. Die Tanzenden der Kompanie ZOO orientieren sich nicht an einem starren übergeordneten Bewegungskonzept oder einem fixen Bewegungsvokabular mit vorgegebenen und codierten Schritten, Figuren und Posen, mit denen gleichsam ideologische Maßstäbe gesetzt werden, nach denen sich die einzelnen Tanzkörper richten. Während viele Tanztechniken darauf zielen die einzelnen Körper gleichzuschalten, zu disziplinieren und zu perfektionieren, geht es in der künstlerischen Arbeit von ZOO vielmehr um die Suche nach neuartiger, tanztechnisch nicht durchformter Bewegung mittels Improvisation. Die Improvisation markiert stets Inkommensurabilität gegenüber normierter Tanztechnik aber auch eine Inkommensurabilität der einzelnen Körpern miteinander und erzeugt so ein singulär plurales Mit-einander auf der Bühne.
Laut Nancy ereignet sich das Gemeinsame zwischen uns, in der Mit-Teilung, in der Teilung des Seins, durch Verräumlichung und Zirkulation von Präsenz, wobei Präsenz immer schon Ko-Präsenz ist: „Das Sein kann nur als Mit-einander-seiend sein, wobei es im Mit und als das Mit dieser singulär-pluralen Ko-Existenz zirkuliert.“[7] In Nancys Denken findet eine stärkere Betonung der leiblichen Komponente statt. So formuliert er: „Das Sein selbst ist uns gegeben als der Sinn.“ Er spielt dabei mit der Polyvalenz des französischen Terminus sens, anspielend auf den intelligiblen Sinn, die Sinnlichkeit aber auch eine Raum-Richtung. Darin liegt die Idee des Seins als ein körperliches, sinnliches und räumliches. Jedes Sein macht gemäß Nancy nur dann Sinn, wenn es geteilt wird, mitgeteilt, sich zwischen uns abspielt, zwischen uns zirkuliert. Das Mit-Sein ereignet sich als raum-zeitliche Simultanität der Körper. Wie lassen sich diese Gedanken für die Betrachtung des Mit-einanders in You’ve Changed fruchtbar machen? Das Mit als das sinnliche Sein findet hier in der Exposition der Körper statt, indem sich die Tanzenden exponieren und ihren Körper im Raum mit den anderen Tanzkörpern in Beziehung setzen. Die Improvisation ereignet sich als eine sinnlich-körperliche und räumliche Praxis zwischen den PerformerInnen. Sie manifestiert sich als Mit-Teilung und stellt Relationen zwischen den Tanzenden her. Das Mit-Sein äußert sich im Teilen einer Bühnensituation, wobei jeder einzelne Tanzende maßgeblich an der Entstehung des Mit-einanders und am Funktionieren der Gruppe beteiligt ist. Die Improvisation lässt eine soziale Praxis erkennen, die stets nach einem Respons fragt, nach Rückmeldung, Antwort, Reaktion, Resonanz. Das Mit-Sein entspringt nach Nancy in lokal-augenblicklicher Wendung immer neu, indem sich unterschiedliche Ursprünge von Sein verweben, durchkreuzen. Das Mit-Sein gründet gemäß Nancys postfundamentalistischem Denken nicht auf einem Fundament, sondern stellt sich durch raum-zeitliche Simultanität immer wieder neu her – kontingent und performativ. In You’ve Changed äußert sich dies in Form der vielfältigen Ursprünge von Bewegungsimpulsen. Bewegungen können von allen gleichermaßen ausgehen, es gibt keine zentrale oder übergreifende Bewegungs- oder Führungsinstanz, der sich die anderen unterordnen. Vielmehr ist jede und jeder Tanzende als SenderIn von singulären Bewegungsimpulsen maßgeblich an der Entstehung des Mit-einander beteiligt. Die einzelnen Bewegungsimpulse werden mit-geteilt, von den anderen aufgegriffen, weitergeführt, modifiziert. Dadurch entstehen Interaktionen, Relationen und Verbindungen zwischen den Tanzenden. Durch performative, tänzerische Handlungen entsteht ein kontingentes Mit-einander, ein Wir. Dieses ‚Wir’ bezeichnet gemäß Nancy weder eine akkumulative Ansammlung von Individuen, noch eine identitär geschlossene Gruppe. Vielmehr lässt sich dieses ‚Wir’ als eine Verbindung zwischen den einzelnen tanzenden Körpern denken. So äußert sich das, was ich auf physiologischer Ebene als kinästhetische Übertragungsprozesse zwischen den Tanzenden beschrieben habe, in You’ve Changed als konstitutiver und dabei ontologischer Prozess für eine heterogene und zugleich integrierte Gemeinschaft.
[1] Vgl. Jean-Luc Nancy, singulär plural sein, Zürich/Berlin 2004.
[2] Vgl. Gespräch mit Jean-Luc Nancy, in: Jean-Luc Nancy u.a., Allesdurchdringung. Texte, Essays, Gespräche über den Tanz, Berlin 2008, S. 60 – 89.
[3] Vgl. Susan Foster, Dances that describes themselves. The Improvised Choreography of Richard Bull, Middletown, CT 2002.
[4] Vgl. Gabriele Brandstetter/Kai van Eikels (Hg.), Schwarm(E)Motion. Bewegung zwischen Affekt und Masse, Freiburg im Breisgau 2007.
[5] Gabriele Brandstetter, Tanz als Wissenskultur. Körpergedächtnis und wissenstheoretische Herausforderung, in: Sabine Gehm (Hg.), Wissen in Bewegung. Perspektiven der künstlerischen und wissenschaftlichen Forschung im Tanz, Bielefeld 2009, S. 40.
[6] Nancy 2004, S. 34.
[7] Nancy 2004, S. 21.