Editorial

1948 hatte Clement Greenberg – als Begriffserfinder gewissermaßen der Namensgeber unseres Magazins – das All-over-Bild als “ein dicht bedecktes, gleichmäßig und intensiv texturiertes Farbrechteck” beschrieben.[1] Bei näherer Betrachtung erscheint jede Malerei zumindest auch als texturierte Oberfläche, die jedoch oft hinter dem Bildsujet verschwindet. Droht die Farbtextur die Integrität des Bildes aufzulösen – wie David Misteli in seinem Beitrag über Vincent van Goghs letzte Bilder ausführt –, nimmt die taktile Struktur eine neue Rolle gegenüber den vermeintlich bloß visuellen Qualitäten des Bildes ein. Das Taktile behauptet sich gegen das traditionell höher gestellte Optische als eigene sinnbildende Instanz und verunmöglicht die Vorstellung einer reinen, beruhigten und distanzierten Visualität.

Dies scheint auch das plötzliche Auftauchen einer Gämse in jenem Alpenpanorama zu bestätigen, das Alois Riegl als Metapher für seinen Begriff der Fernsicht einsetzt. Katharina Brandl argumentiert mit George Bataille, dass auch Riegls Konzept des Optischen an die Dimension des Körperlichen, des Horizontalen und des Taktilen gebunden bleibt.

Wie die Form – ob widerständige, texturierte Oberfläche oder durchsichtiger Behälter – auch selbst zum Inhalt werden kann, zeigt sich im Beitrag von Birke Gorm: Ihre Beschäftigung mit dem Wechselverhältnis von Content und Container in Ausstellungstexten resultiert in einem Format, das selbst zwischen lesbarem Text und visueller Gestalt oszilliert.

Die Lesbarkeit des Bildes tritt auch in Adolf Menzels Zeichnungen aus der Berliner Garnisongruft in Konflikt mit der grafischen Textur, wie Clara Wörsdörfer darlegt. Gegen die Konventionen der realistischen Darstellung führt Menzel eine neue Spielart des Realismus zwischen gestischem Strich und präziser Oberflächenstudie in die Zeichnung ein.

Der Aktualisierung ikonografischer Konventionen durch zeitgenössische Lebensumstände widmet sich Petra Schmid. Anhand der Tugendallegorien Francesco da Barberinos in seinen Documenti d’Amore expliziert sie die Veränderung tradierter Darstellungsformen durch lebensweltliche Einflüsse.

Die offene Form unseres Magazins bringt nicht nur diese wie gewohnt sehr breit gefächerten Themen zusammen, sondern integriert auch verschiedene Beitragsformate. Im zweiten Teil des Interviews von Gawan Fagard mit Alexander Kluge setzen die beiden ihre in Ausgabe #6 begonnene Reise zu jenen ungewöhnlichen Orten fort, denen Kluge im Rahmen eines geplanten gemeinsamen Filmprojekts mit Andrei Tarkovski begegnete. Auf die Spuren der Narratologie in den darstellenden Künsten begibt sich die Rezension von Miriam Drewes zu Nina Tecklenburgs neu erschienenem Buch Performing Stories.
In ihrer zweiteiligen Bildstrecke setzt Clare Kenny ihre Hinterfragung von fotografischen und materiellen Oberflächen fort. Sowohl Dash and a Dot als auch White Noise sind installative Arbeiten, die auf Fotografien beruhen, und für all-over nun in einen vermeintlich “flachen” Zustand überführt werden.

Hannah Bruckmüller | Jürgen Buchinger | Barbara Reisinger


[1] Clement Greenberg, Die Essenz der Moderne, Amsterdam/Dresden 1997, S. 150.

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Erzählen, zeigen

Rezension: Nina Tecklenburg, Performing Stories. Erzählen und Narration in Theater und Performance, Bielefeld: transcript 2014, 343 S.

Theater und Performance erzählen nicht, sie zeigen. Dass es sich hierbei um ein langgepflegtes, zum Teil intendiertes, zum Teil unfreiwilliges, mitunter aber produktives Missverständnis handelt, zeigt die neue Studie Performing Stories. Erzählen in Theater und Performance der Theaterwissenschaftlerin und Performance-Künstlern Nina Tecklenburg (transcript-Verlag 2014).

Traditionell wird das Erzählen literarischen Gattungen wie Roman, Epos, Erzählung, Kurzgeschichte et cetera zugewiesen. Gattungstheoretisch streng formuliert heißt es dazu etwa bei Manfred Pfister, narrative Texte seien durch eine vermittelnde Erzählinstanz ausgewiesen.[1] Das Theater hingegen erzählt nicht, sondern stellt dar. Geht es hier, ebenfalls streng gattungsgeschichtlich argumentiert, ums Erzählen, so in erster Linie dann, wenn Figuren auf der Bühne über etwas berichten, diesen Bericht oder diese Erzählung zugleich aber auch darstellen.

Diese lange Zeit Gültigkeit beanspruchende Trennung hat ebenso lange Zeit in Literaturwissenschaften sowie Theater- und Kunstwissenschaften wechselseitige, wenn nicht Ab- bis Ausgrenzungstendenzen, so doch Irritationen darüber hervorgebracht, wie denn nun aus Perspektive der jeweiligen Disziplinen mit dem Erzählen in Drama, Theater und Performance Art einerseits, oder, umgekehrt, mit performativen Aspekten des Erzählerischen andererseits, umzugehen sei.

Überdies stand das Paradigma der Narration, ideologisch wie ideologiekritisch gleichermaßen motiviert, im Verdacht, einen allzu harmonisierenden Eindruck des Realen im Fiktiven zu vermitteln, der wiederum eine manipulative Sogwirkung auf das diese Erzählung rezipierende Subjekt ausübe. Diese Auffassung der Kritischen Theorie wurde im Rahmen des Poststrukturalismus durch eine Kritik an der vermeintlichen Intentionalität des Autors und an den als Mythen verdächtigten Ursprungserzählungen erweitert. Bisweilen hat sie gar jeglichen Anspruch auf Geschlossenheit, ob in Fiktionserzählungen oder Historiografie, bis hin zur Negation des Narrativen schlechthin, in Misskredit gestellt.

Nicht zuletzt aufgrund der Transformationen in den Künsten ist dieser Abwehrreflex gegen ein Kohärenz oder Geschlossenheit vorstellendes Narrations-Paradigma längst einer interdisziplinären Ausdifferenzierung, einem integrativen Verständnis von Erzählen sowie einem Bewusstsein über Reichweite und Produktivität des Begriffs gewichen.

Es ist Nina Tecklenburgs Verdienst, „Erzählen“ und „Narration“ nun für die Beobachtung performativ-darstellerischer Phänomene fruchtbar gemacht zu haben. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist dabei die Feststellung, dass die Analyse von postdramatischen Theaterformen und Performances, die häufig ohne jede schriftliche Textvorlage auskommen, nur unzureichend auf narrative Phänomene eingegangen ist. Entweder habe man sich auf das bloße mündliche Geschichten-Erzählen im Theater beschränkt oder/und die Materialität außer Acht gelassen. Darüber hinaus seien ereignishafte, ephemere Phänomene des Aufführungsprozesses zu voreilig oder eben einem konventionellen Narrations-Paradigma entsprechend, essentialistisch interpretiert worden.

Demgegenüber plädiert Tecklenburg nun für eine Lesart, die „performativitätstheoretische, kulturanthropologisch-erzähltheoretische, geschichtsphilosophische sowie phänomenologische Ansätze“ integriert und von einer „Konzeptualisierung des Narrativen als Prozess und Performanz[2] ausgeht.

Zu ihren Forschungsergebnissen gelangte die Autorin dabei über die Beobachtung ebenso zahlreicher wie – trotz aller Gemeinsamkeit von Performance und Postdramatik – unterschiedlicher, zeitgenössischer Theater- und Performance-Arbeiten von Gruppen und EinzelkünstlerInnen wie Forced Entertainment, Gob Squad, Big Art Group, Gary Stevens, The Needcompany, Rotozaza, Uwe Mengels, The Nature Theatre of Oklahoma und vielen mehr.

Die Effekte der Konzeptualisierung von Narration als Prozess und Performanz artikulieren sich, Nina Tecklenburg zufolge, beispielsweise bei Uwe Mengels 2 ½ Million in der Form, dass die ZuschauerInnen in den Akt des Erzählens erfundener oder vergangener Ereignisse integriert würden und „mit jedem Akt eine die Anwesenden umgebende diegetische Matrix [wächst], in der sich fiktive und faktische Momente konstitutiv überkreuzen und in die alle Beteiligten nicht zuletzt moralisch eingebunden werden“. Eine „kollektive Teilhabe“ sei dabei eben gerade nicht Ergebnis einer singulären Geschichte, sondern das einer sich permanent verändernden diegetischen Wirklichkeit.[3]

Nina Tecklenburg, die nach einem ausführlichen und kritischen Forschungsüberblick zunächst sinnvoller Weise zwischen Erzählen (als Form eines Verkündens oder Aufsagens von Ereignissen) und Narration (als Form eines „In-Beziehung-Setzens“) unterscheidet, differenziert und präzisiert im Verlauf ihrer Studie verschiedene Qualitäten des Narrativen wie „narratives Wissen“ oder „narrative Energie“. Darüber hinaus beschreibt und analysiert sie unterschiedliche Strategien und Ausdrucksweisen in unterschiedlichen szenisch-erzählerischen Kontexten, wie etwa dem Erzählen in Bezug auf Räume oder Dinge. Dass bei den szenischen Präsentationen gerade das Spiel, um nicht zu sagen das Spiel im Erzählen, eine zentrale Rolle übernimmt, belegt ein ausführliches Kapitel der Studie. Mit dem Begriff des Spiels werden die lange Zeit nur als aleatorisch beschriebenen Erscheinungsformen der Performance Art durch eine philosophische Perspektive ergänzt. Nicht ganz plausibel ist dabei der Verweis der Autorin auf den Spielbegriff nach Ludwig Wittgenstein und nach Jean-François Lyotard, mit denen sie über eine reine Analogiebildung zu den von ihr beschriebenen Phänomenen nicht hinausgelangt. Man fragt sich ein wenig, warum die Wahl ausgerechnet auf diese Autoren gefallen ist und nicht etwa auf Johan Huizinga oder Hans-Georg Gadamer, die bereits bedeutende Aspekte des Spiels (in Verbindung mit Kunst) erörtert haben. Hier bleibt die Studie bisweilen in einer allzu affirmativen Position stecken, die ohnehin den Grundtenor des ansonsten äußerst lesenswerten und erkenntniserweiternden Buches bildet.


[1] Vgl. Manfred Pfister, Das Drama. Tübingen 1997, S. 19f.

[2] Nina Tecklenburg, Performing Stories. Erzählen und Narration in Theater und Performance, Bielefeld 2014, S. 55 (Hervorhebung i. O.).

[3] Vgl. Tecklenburg 2014, S. 96f.

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I Documenti d’Amore von Francesco da Barberino

Die Gesellschaft im Zeitalter Dantes ist durch politische, soziale, ökonomische und institutionelle Transformationsprozesse ebenso gekennzeichnet wie durch vielschichtige Ausdifferenzierungen soziokultureller Wertvorstellungen und erkenntnistheoretischer, astrologischer und naturkundlicher Wissensbestände aus ihren theologischen Fundierungszusammenhängen. Mit dem „Verlust des Bildungsmonopols” (August Buck), das der Klerus im Mittelalter besessen und mit dem Aufkommen einer volkssprachlichen Literarizität und städtischen Laienbildung eingebüßt hatte, auf das Engste verbunden war ein Kampf um juristische, ethische, soziopolitische und ästhetische Diskurshoheiten: Durch die Teilhabe am System der Stadtrepubliken zu politischer Macht gekommen und durch wirtschaftlichen Aufschwung zu finanziellem Einfluss und gesellschaftlichem Ansehen gelangt, fühlten sich neben der städtischen Aristokratie der Alighieri, Cavalcanti, Donati und Adimari vermehrt auch vermögende Kaufleute und umfassend gebildete Rechtsgelehrte bürgerlicher Herkunft dazu berufen, an der Sicherung der sozialen Ordnung der res publica civitatis und an der Gestaltung ihres ethischen Wertesystems mitzuwirken. Eine aktive Partizipation an den zeitgenössischen Herrschaftsdiskursen und an der Herausbildung einer „politischen Willensbildung”[1] von Seiten der gente nova manifestierte sich unter anderem darin, dass politisch engagierte Kaufleute Stadtchroniken auf Volgare verfassten und rhetorisch geschulte Notare, Dichter und Gelehrte wie Brunetto Latini, Bono Giamboni, Zucchero Bencivenni, Francesco da Barberino in Florenz oder Bonvesin de la Riva in Mailand auf Italienisch verfasste Unterweisungsschriften für Regierende, enzyklopädische Lehrgedichte oder allegorische Tugendtraktate für ein städtisches Laienpublikum schrieben, wobei die italienische Volkssprache im Rahmen säkularisierter Formen der Verschriftlichung zu einem wirksamen „strumento di realizzazione dell’attività di propaganda“[2] geworden war. Weitere Möglichkeiten, Einfluss auf die kollektiven Wertvorstellungen auszuüben und die Imagination der cittadini zu modellieren, zu regulieren und zu kanalisieren, waren vermittels medialer Symbolisierungspraktiken gegeben: So wurden zur Zeit Giottos namentlich auch profanen Bildern eine immer tragendere Funktions- und Erkenntnisleistung sowie ein neuer Wirkungsanspruch auf die Betrachtenden zuerkannt, etwa indem sie als gemalte „Konsensfiktionen“ (Stollberg-Rillinger) für die institutionelle Selbstdarstellung in Stadtstaaten, Kommunen und Signorien ideologisch aufgeladen und in Dienst genommen wurden. Vermittels ikonographischer und bildrhetorischer Kodierungen legitimierten, autorisierten und glorifizierten sie politische Ideale beziehungsweise diffamierten und desavouierten politische Feindbilder, indem sie traditionelle Wissensbestände neu konfigurierten und für ein städtisches Bürgertum erfahrbar machten oder indem sie visuelle Ordnungsmuster für aktuelle Diskurse bereitstellten und damit die Fülle an neuartigen, an bürgerlichen Lebensformen ebenso wie an Naturbeobachtung orientierten Wissensinhalten zu vermitteln, zu verbreiten, zu verwalten und somit zu sichern und zu stabilisieren halfen.

In enger konzeptueller Verschränkung mit den genannten Visualisierungsbestrebungen zu denken sind Tugenddiskurse, wie sie in politischen Unterweisungsschriften, didaktischen Traktaten, philosophischen Schriften und volkssprachlichen Predigten der italienischen Kommunen geführt und als sichtbare Konfigurationen eines tugendfundierten Wertesystems in den sich etablierenden allegorischen Bildprogrammen kommunaler Rathäuser oder politisch aktiver Zunft­organisationen in mittel- und oberitalienischen Städten visualisiert wurden. Dabei sind die Tugendkonzepte, die diesen Programmen zugrunde lagen, keineswegs als ahistorische Wissenssummen zu verstehen. Denn als historisch wandelbare Indikatoren politischer Ideale waren sie an die Legitimation, Affirmation und Kodifikation durch das jeweilige Rechtssystem der Kommunen gebunden.

Voraussetzung für diese Entwicklung war, dass es in der zweiten Hälfte des Duecento zu einer Ausrichtung christlich geprägter Tugendbegriffe auf spezifisch bürgerliche Wertvorstellungen und damit zu einer folgenreichen Resemantisierung von theologischem Wissen gekommen war. Als Schlüsseltext für ein neues politisches Verständnis von Tugend als einer gesellschaftlich ausgerichteten Wissenschaft von tugendhaftem Handeln und Regieren ist Brunetto Latinis Trésor zu nennen, der anstelle theologischer Tugendkonzeptionen die für das politische Leben der Kommune bedeutsamen Wissensgebiete in den Mittelpunkt rückt.[3] Indem Brunetto Latini den Bürgern der Stadtrepubliken ein volkssprachlich verfasstes Instrumentarium der Regierungskunst sowie ihr untergeordneter Kenntnisbereiche wie Ökonomie und Rhetorik an die Hand gab, initiierte er einen „Prozess der Kenntnisverbreitung“[4], der seinen sichtbaren Niederschlag in profanen Bildprogrammen des frühen 14. Jahrhunderts finden sollte. Darin avancierten Tugenden zum Index politischer Ideale und reflektierten in ihrer Eigenschaft als ästhetisch vermitteltes Regulativ und ideologisches Fundament bürgerlichen Selbstverständnisses das Bedürfnis der weltlichen Machthaber nach moralischer Selbstvergewisserung und Setzung normativer Instanzen in gleichem Maße wie sie den Bedarf an verfügbaren Identifikationsangeboten, vorbildhaften exempla und visuell vermittelten Handlungsanweisungen von Seiten der BürgerInnen bedienten. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass es sich bei der Anbringung personifizierter Tugendbilder an italienischen Profan- und Sakralbauten um die kommunal geprägte Kodierung christlicher Tugendwerte handelt, das heißt um einen jener historischen Momente im kulturellen Selbstfindungsprozess eines sich materiell und ideell emanzipierenden Bürgertums, in dem mittels visueller Symboli­sierungs­­­leistungen und medialer Visibilitätsstrategien politisch fundierte Wissensinhalte definiert, fixiert und in die Zukunft perpetuiert wurden.

Für das kultur- und kunsthistorische Verständnis von Zusammenhängen zwischen ethischen und ästhetischen Bedeutungsproduktionen im frühen Trecento besonders relevant sind dabei auch jene Bildfindungen, die der aktiv an zeitgenössischen Bilddiskursen partizipierende Notar und Dichter Francesco da Barberino (1264 – 1348) für sein eigenes allegorisches Lehrgedicht Documenti d’Amore (Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. Lat. 4076) entwarf und in seinem lateinischen Autokommentar so lange allegorisierte, dekodierte und interpretierte, bis sämtliche ikonographische Eigenschaften, Formen und Farben kodifiziert waren und ihr verace intendimento (Dante) weitgehend garantiert werden konnte.[5] Bereits mit seiner Umbesetzung des tradierten Tugendkatalogs durch die säkular interpretierten Tugenden Gelehrigkeit (Docilitas), Fleiß (Industria), Beständigkeit (Constantia), Unterscheidungsverschmögen (Discretio), Geduld (Patientia), weltlichem Ruhm (Gloria), Unschuld (Innocentia), Dankbarkeit (Gratitudo) und Ewigkeit (Eternitas) ist eine semantische Verschiebung zu beobachten, die als zeitgenössischer Ausdruck gesellschaftspolitischer Tugenddiskurse zu denken ist. Doch auch durch ikonographische und ästhetische Referenzen auf die bürgerliche Alltagswelt erfahren die bisher größtenteils aus konkreten gesellschaftlichen Zusammenhängen gelösten, transhistorische und transpersonale Werte vermittelnden Tugenden in Francescos Handschrift eine gesellschaftliche Kontextualisierung beziehungsweise einen Zuschnitt auf die konkreten Anforderungen, mit denen man den uomini mondani (Bono Giamboni) der italienischen Kommunen begegnete. Der mit sienesischen Kunstdiskursen um Simone Martini vertraute Miniaturmaler verfügt dabei über ein breites Spektrum an Möglichkeiten, um auf Phänomene der außerbildlichen Wirklichkeit zu rekurrieren, um Alltagsbezüge zu evozieren und um seine Miniaturen als Ausdruck einer „nuova retorica laica“[6] zu inszenieren: Die Repräsentation perspektivisch ausgerichteter Throne und Sitzmöbel, die detaillierte Wiedergabe gemusterter Kissenbezüge und Wandbehänge, die Darstellung gotischer Stilelemente und krabbengeschmückter Architekturen, die illusionistische Schilderung von Alltags- und Einrichtungsgegenständen wie Strickutensilien, Vorhangstangen und Vogelkäfigen, eine bis ins Detail durchdeklinierte Haartracht und modisch geschnittene Kleidung der Gestalten, die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe zeitgenössischer Attribute sowie ein Repertoire an psychologisch überzeugenden Gesten und Mimiken. Indem sie als genreartige Szenen ins Werk gesetzt und mit Versatzstücken aus der Wirklichkeit der BetrachterInnen ausgestattet sind, erfahren Francescos Tugendfiguren eine bildrhetorische Aufladung und einen für die visuelle Kultur der Kommunen prägenden Zugewinn an konzeptueller Plausibilität, an psychologischer verisimilitudo und an suggestiver Leistungskraft. Der Zugewinn an jenen rhetorischen und ikonographischen Bildqualitäten, die ihrerseits selbst als eine Form der virtus produktiv und wirksam werden, indem sie über die tradierten ikonographischen Wissensbestände hinaus neue, innerhalb der empirischen Erfahrungswelt der RezipientInnen nachvollziehbare Sinnaspekte sichtbar und erfahrbar machen, unterscheidet sie von den herkömmlichen Darstellungsprinzipien topisch organisierter Personifikationen und prädestiniert sie für die allegorische Ordnung, Deutung und Vermittlung bürgerlicher Wissensbestände. Francescos „crosso modo“[7] vorgezeichneten und bis dato durch keine feste Bildtradition eingeführten „novitates emergentes“[8] ist damit eine konstitutive Rolle für die Visualisierung gesellschaftspolitischer Aussagen sotto figura d’allegoria (Dante, Convivio, I.2) innerhalb der visuellen Kultur italienischer Kommunen in der ersten Hälfte des Trecento zuzuschreiben.[9] Eine Analyse ausgewählter Bildbeispiele aus Francescos Documenti d’Amore beleuchtet das dialektische Verhältnis von politischen, ikonographischen und ästhetischen Diskursen in der Malerei des frühen Trecento.

Francesco da Barberino, Industria, Documenti d’Amore, Vatikanstaat, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. lat. 4076, fol. 32v.

Abb. 1: Francesco da Barberino, Industria, Documenti d’Amore, Vatikanstaat, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. lat. 4076, fol. 32v.

Die Miniatur auf fol. 32v der Handschrift Barb. lat. 4076 zeigt die Tugend der Industria (Fleiß) als eine junge Dame in einem modisch geschnittenen Kleid, die sich von ihrer Sitzbank aus einem seitlich neben ihr hängenden, reich verzierten und mit Quasten versehenen Täschchen zuwendet, das sie mit beiden Händen und konzentrierter Aufmerksamkeit mit einem Vogelmuster bestickt (Abb. 1).[10] Francescos Verständnis von Industria als einer geistigen Tätigkeit, vermittels derer intellektueller Scharfsinn zu erreichen ist, dokumentiert genauso wie seine Unterscheidung in eine angeborene und erworbene Fähigkeit den Einfluss der Nikomachischen Ethik des Aristoteles.[11] Als eine moralische Tugend könne dabei nur die erworbene Fähigkeit bezeichnet werden.[12] Indem Francesco den Unterschied zwischen angeborener Gabe und ausübender Tugend betont, grenzt er sich von der verbreiteten Auffassung ab, derzufolge Industria und Ingenium dieselbe Sache sei. Unter Industria ist Francescos Verständnis zufolge eine durch aktives Handeln beziehungsweise durch Tüchtigkeit erworbene Tugend „in actu“[13] zu verstehen, mit deren Hilfe die Begabung oder das Ingenium in die Tat umzusetzen ist.[14] Francesco artikuliert damit eine an der moralischen Autorität Aristoteles‘ orientierte „neue Ethik der italienischen Communen“[15], die den alltäglichen Erfordernissen der städtischen gente nova durch die Anerkennung einer auf individueller Tüchtigkeit beruhenden und prinzipiell ständeunabhängigen Leistung besser zu entsprechen vermag. Als soziale Kompetenz einer neuen bildungsorientierten städtischen Oberschicht besitzt Industria eine aktuelle Relevanz im Alltag der Kaufleute, Händler und Notare, die bildlich durch den Rekurs auf die handwerkliche Stickarbeit einer faiseuse d’aumonières und auf das alltagsnahe Motiv der bursa als einem überaus wichtigen Zubehör der männlichen wie weiblichen Garderobe suggeriert wird. Im Hinblick auf die visuelle Kultur im ersten Viertel des Trecento ist entscheidend, dass sich im Zuge des soeben beschriebenen aristotelisch geprägten moralphilosophischen Wissenswandels auch ein Wandel innerhalb der ästhetischen Repräsentation bekundet, der offenbart, dass „ethics and aesthetics went hand in hand“.[16]

Francesco da barberino, Industria (Detail), Documenti d’Amore, Vatikanstaat, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. lat. 4076, fol. 32v.

Abb. 2: Francesco da barberino, Industria (Detail), Documenti d’Amore, Vatikanstaat, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. lat. 4076, fol. 32v.

So zeigt sich der Miniator an einer detaillierten Schilderung und perspektivisch ausgerichteten Wiedergabe einzelner Bildelemente interessiert: Die bursa hängt in der Miniatur an einer mit zwei Haken an der Rückwand des Zimmers befestigten Stange. Ein beträchtlicher „realism of detail“[17] zeigt sich auch bei dem Motiv von Industrias Stickutensilien (Abb. 2), die auf einem kleinen Regal links hinter der Tugend im Sinne einer bella similitudine (Dante, Convivio, III.8) beschrieben sind und laut Autor darauf hinweisen, dass die Wissenschaften und Künste vielfältig seien, auf welche die Menschen sich durch diesen Fleiß richten.[18] Bei ihrer Ausführung scheint sich der Maler indes offensichtlich stärker an den Gesetzen einer nachvollziehbaren Bildlogik als an Francescos Textvorgabe orientiert zu haben, da er das im Kommentar kryptisch als „cannellas“ bezeichnete Attribut kurzerhand als zwei Körbchen mit gelben und grünen Wollknäuel und als zwei lange, horizontal vor die Wollkörbchen positionierte Nadeln interpretierte beziehungsweise als Stilllebenmotiv von überraschender verisimilitudo inszenierte. Zugleich bekundet der Maler mit der beschriebenen „attenzione alla verità degli oggetti”[19] seine Kenntnis und Beherrschung jener künstlerischen Parameter, die in Gestalt anekdotischer Genremotive, stilllebenhafter Elemente und scheinbar nebensächlicher, der Alltagswirklichkeit entnommener Detailbeobachtungen seit den 1320er Jahren zunehmend an Bedeutung für die Entwicklung profaner Sprachformen der Malerei gewannen, indem sie die religiösen Bilderzählungen von Simone Martini, Pietro Lorenzetti und Taddeo Gaddi mit einem „popular tone“[20] aufluden, mit einem neuen bürgerlichen Identifikationspotenzial versahen und auf diese Weise für das zeitgenössische Publikum aufbereiteten.[21] In der Buchmalerei war es in erster Linie der als Maestro del Codice di San Giorgio bezeichnete Maler, der der detaillierten Charakterisierung lebensnaher Bildgegenstände einen zentralen Stellenwert im Gesamtgefüge des Bildes einräumte und in seinen Arbeiten nicht selten ein breites Spektrum malerischer Bezugnahmen auf die Alltagswirklichkeit der BetrachterInnen entfaltete.[22] Zurecht wurde in der Forschung darauf hingewiesen, dass auch in dem ‚Objektrealismus’ der Miniaturen von Francescos Handschrift Barb. lat. 4076 der Einfluss und die Fähigkeit des Maestro del Codice di San Giorgio in Erscheinung tritt, die Wirklichkeit der RezipientInnen ästhetisch zu imitieren, zu kodifizieren und als „un momento di verità“[23] zu inszenieren. Insgesamt ist der Miniatur mit der Darstellung einer profanen Genre-Szene ein Figurationsprozess eingeschrieben, der sich durch seine konkreten, mit dem Erfahrungshorizont des Lesepublikums verlinkten Zeitbezüge von herkömmlichen, durch zeitlose Attribute wie etwa Schwert, Waage, Rad charakterisierten Argumentationsmustern grundlegend unterscheidet. Dieser sollte sich insofern als konstitutiv für die Entwicklung allegorischer Bildnarrative erweisen, als die Repräsentation alltäglicher Genre-Szenen im Gesamtgefüge politisch semantisierter Bildprogramme zunehmend als visuelle Manifestation eines viver comune lesbar wurde. Indem mit der Repräsentation handwerklicher Tätigkeiten und kaufmännischer Aktivitäten, wie sie seit dem enzyklopädischen Reliefzyklus mit den realistisch geschilderten Allegorien der Artes liberales an der Fontana Maggiore in Perugia auch in den profanen Bildprogrammen institutioneller Einrichtungen, öffentlicher Gebäude oder privat in Auftrag gegebener profaner Handschriften vermehrt zur Darstellung kamen, nichts Geringeres als das Wohl der res publica allegorisch verhandelt wurde, erwiesen sich diese Bilder oft als sozial verbindliche Dispositive, deren performative Funktion nachgerade darin bestand, die kommunale Gesellschaftsordnung ästhetisch zu konsolidieren, zu propagieren und zu reglementieren. Hinzu kommt, dass der Maler sowohl durch die Positionierung von Industria in einen klar definierten, trecentesk gestalteten Innenraum mit Kassettendecke als auch durch den Einsatz tiefenräumlicher Bildstrukturen wie Säulchen und erkerartigen Zimmernischen einem größeren Wirklichkeitsbezug mit einem höheren Identifikationspotenzial Rechnung trägt. Damit bekundet er sein (textunabhängiges) Interesse an jenen aktuellen, vornehmlich in der Tafel- und Wandmalerei geführten Raumdiskursen, die den Ort im Bild nicht mehr als architektonische Abbreviaturen im Hintergrund des Geschehens inszenierten, sondern als Bewegungs- und Handlungsraum der Figuren installierten.

Francesco da Berberino, Constantia, Documenti d’Amore, Vatikanstaat, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. lat. 4076, fol. 57r.

Abb. 3: Francesco da Berberino, Constantia, Documenti d’Amore, Vatikanstaat, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. lat. 4076, fol. 57r.

Auf fol. 57r der Handschrift Barb. lat. 4076 werden etablierte christliche Bildformulare ikonographisch assimiliert, allegorisch transformiert und politisch semantisiert.[24] Zu sehen ist die Personifikation der Constantia (Abb. 3), wie sie sich den distinktiven Angriffen auf ihre moralische Standhaftigkeit durch ihr gewappnetes Herz („armatura cordis”) zu widersetzen vermag. Die genannten „Widrigkeiten“ sind als jene vier Personifikationen bildhaft ins Werk gesetzt, welche im kanonischen Recht als vier Modalitäten eines unparteiischen Richters kodifiziert sind und von dem Autor unter der Rubrik „De Forma“ erklärt werden. Dabei erweitert der Berufsnotar seine Definition der Tugend um eine juristische Dimension, indem er Worte aus dem Decretum Gratiani zitiert und Constantia somit als politische Tugend auf die Rechtsprechung bezieht.[25] Bei den Lastern, die Constantia umgeben und bedrohen, handelt es sich somit um eben jene Gefahren, denen jeder Staatsbeamte bei der Ausübung seiner Pflichten ausgesetzt ist. Gleichzeitig ist die moralische Beständigkeit von Richtern notwendig, damit der permanente Kampf gegen die jeweiligen Bedrängnisse siegreich ausgetragen werden kann. In der Miniatur wird dieser Kampf mit einer programmatischen Bildrhetorik und visuellen Eloquenz vor Augen geführt. Zu sehen sind vier aus verschiedener Richtung kommende männliche Personifikationen der Laster, die allesamt im Begriff sind, Constantia mit ihren jeweiligen „Waffen“ anzugreifen: Corruptor, mit einem bürgerlichen, modisch unter der Brust geschnürten schwarzfarbenen mantello und einer braunen Haube bekleidet, nähert sich von rechts der Gestalt der Constantia in dem offen­sichtlichen Bemühen, sie mit einem Beutel voller Münzen zu bestechen und auf diese Weise von ihrer Rechtschaffenheit abzubringen; im linken Hintergrund ist Blanditor, das Laster der Schmeichelei, als lautenspielender, den Kopf kokett zur Seite neigender, hübscher Jüngling halbfigurig ins Bild gesetzt, wie er durch die süßen Klänge seiner Musik Constantias Wohlgesonnenheit zu gewinnen sucht; als ganzfigurige, in einen hellen Mantel mit hochgeschlossenem Stehkragen, blaue Sendelbinde und blaue Strümpfe gekleidete Rittergestalt tritt Superbus mit einem gezückten Schwert aus der linken unteren Bildecke hervor; Consanguinea ist als kindliche, dreiste Gestalt zu sehen, die im Begriff ist, ein Stück von Constantias Rocksaum abzureißen. Entscheidend für die Ausgangsfrage ist dabei, dass Francesco die Tugend der Constantia zum einen durch den expliziten Zuschnitt auf den Rechtskontext inhaltlich neu definiert und interpretiert und zum anderen durch die amplificatio in einen mehrfigurigen Handlungsraum neu konfiguriert und inszeniert. Auch die personifizierten Laster folgen keinem tradierten Lasterkanon, sondern sind nach Kriterien einer bürgerlichen Wissensordnung zusammengestellt, die vermittels neuer Attribute (Laute, Geldsack) ikonographisch neu kodiert und allegorisch konsolidiert wird. Mit der dispositio der Gestalten – mehrere angreifende Figuren sind um eine thronende Mittelgestalt gruppiert – wird dabei das bestehende religiöse Bildschema in Darstellungen der Verspottung Christi zitiert, dessen semantische Wertbesetzungen zwar übernommen, nun aber in einen profanen Bedeutungskontext überführt und mit den Signifikaten eines politischen Tugenddiskurses versehen werden.[26] Bei Francescos Aneignung eines topischen Bildformulars handelt es sich somit um semiotische Legitimierungsprozesse, die dazu dienen, das Wissen um die Tugend der Constantia als politische Norm zu etablieren, zu kodifizieren und zu stabilisieren, indem sie deren ikonographische Kompatibilität mit bereits etablierten Normsystemen suggerieren und die Bildlektüre mittels interpiktoraler Bedeutungsmechanismen vorprogrammieren.[27]

Francesco da Barberino, Patientia, Documenti d’Amore, Vatikanstaat, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. lat. 4076, fol. 64r.

Abb. 4: Francesco da Barberino, Patientia, Documenti d’Amore, Vatikanstaat, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barb. lat. 4076, fol. 64r.

Das fünfte Kapitel der Documenti d’Amore handelt von Patientia, von der es in Francescos Kommentar heißt, sie sei die Tugend, die alle Schmähungen und Beleidigungen mit der Geste der Gelassenheit abzuwehren und von sich zu weisen verstehe.[28] Das passive Ertragen von Widrigkeiten wird in der Miniatur auf fol. 64r (Abb. 4) mit bildrhetorischer Eloquenz visualisiert, indem die Tugend der Patientia als aufrecht sitzende Frauengestalt dargestellt ist, die zum Zeichen ihrer Gelassenheit die Arme vor der Brust verschränkt hat, um den Hieb („una gautata“[29]), der ihr von der sichtlich erregten Ingiuria im nächsten Augenblick verabreicht wird, mit aller Seelenruhe und größter Geduld über sich ergehen zu lassen. Mit ihrer aufrechten Sitzhaltung und dem Motiv der verschränkten Arme wird der in dem Gedicht nur angedeuteten psychologischen Bedeutungsdimension („sta secura”) eine figürliche Anschauungsform und damit ein visuell erfahrbarer Ausdruck verliehen. Ingiuria, das Laster der Beleidigung, „que recta stat“[30], ist als Ausdruck ihrer ewigen Angriffslust mit Hörnern versehen und zum Zeichen ihrer hochmütigen und widerspenstigen Wesenszüge mit ungeordnetem Haar dargestellt.[31] Gerade durch die visuell erfahrbare schwungvolle Dynamik des zum Schlag ausholenden Armes der Ingiuria gewinnt die Gestalt an psychologisch überzeugender Bedrohlichkeit und bildrhetorisch vermittelter Aggressivität, die an Giottos Repräsentation des Schergen in der Szene Christus vor Annas und Caiaphas der Arenakapelle in Padua erinnern. In ihrer emotionalen Eindringlichkeit verstärkt wird die ganze Szene zusätzlich dadurch, dass der Miniator die Personifikation der Ingiuria die geduldig abwartende und gänzlich unerschrockene Tugend beim Arm ergreifen lässt. Im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Tugendrepräsentationen folgte Francesco mit der beschriebenen Bildkonzeption einer Darstellungstradition, wie sie in zahlreichen Handschriften zu Prudentius’ Psychomachia überliefert ist.[32] Dass die Thematik in den Documenti gleichwohl in einem neuen Diskurszusammenhang steht und eine politische Aktualisierung und gesellschaftliche Kontextualisierung erfährt, liegt zuallererst an Francescos Umbesetzung der Ira durch die Personifikation der Ingiuria. Denn bei diesem Laster handelt es sich damals wie heute weniger um ein (rein moralisches) Vergehen als vielmehr um eine im italienischen Codice penale (Art. 594) kodifizierte und dem Juristen Francesco da Barberino mit Sicherheit vertraute Straftat, deren konkrete Ausprägung wie etwa das Verabreichen einer Ohrfeige in der Miniatur piktoral verhandelt wird.[33] In seinem Kommentar zeigt sich Francesco explizit um die gesellschaftliche Akzeptanz von Geduld und ihre Vereinbarkeit mit dem bürgerlichen Ehrbegriff bemüht.[34] Zu erklären ist Francescos Bemühen vor allem mit dem Verweis auf die historische Situation toskanischer Stadtrepubliken im Zeitalter Dantes: In einer Gesellschaft, die permanent von blutigen Familienfehden und zwischenmenschlichen Zerwürfnissen geprägt, von wirtschaftlichen und politischen Interessenskonflikten zwischen aristokratischen Konsuln und Vertretern des popolo, zwischen gewerblichen Zünften und kommunalen Institutionen, zwischen weltlichen Stadtherren und kirchlichen Amtsträgern sowie von bürgerkriegsähnlichen Machtkämpfen zwischen papsttreuen Guelfen und kaisertreuen Ghibellinen, zwischen weißen und schwarzen Guelfen gekennzeichnet war, musste nachgerade das diplomatische Ausüben von Geduld gegenüber politischen Provokationen und gegenüber jeder Art von Angriffen „all’onore“[35] der Beteiligten zur Maxime sozialen Handelns avancieren.[36] Schließlich waren die vor der Brust verschränkten Arme in der profanen wie sakralen Buch-, Tafel- und Freskenmalerei des Trecento zu einer topischen Figur geworden, mit der das Motiv der Geduld gegenüber widrigen Umständen, des selbstgenügsamen Gehorsams gegenüber Gott und der vertrauensvollen Gelassenheit gegenüber widrigen Geschehnissen medien-, gattungs- und kontextübergreifend repräsentiert werden konnte.[37] Gerade in der Wand- und Tafelmalerei der immer breiteren Bevölkerungsschichten zugänglichen monumentalen Kirchen- und politischen Versammlungsräume kam dieser profanen Geste durch ihren ausgesprochen lebensnahen Charakter und Diesseitsbezug die Funktion zu, heilsgeschichtliche Narrative gegenüber der Erfahrungswelt des bürgerlichen Laienpublikums zu öffnen und vermittels einer aus dem Alltagsleben vertrauten Rhetorik zu rekodieren, zu emotionalisieren und auf diese Wiese zu säkularisieren. Somit lässt die vermehrte visuelle Integration dieser virtus in die Tugendzyklen öffentlicher Bildprogramme darauf schließen, dass Geduld eine zunehmende soziale Relevanz und politische Signifikanz in der Realität italienischer Stadtrepubliken besaß.

Neben den beschriebenen bild­rhetorischen Strategien manifestiert sich auch im „architectural setting”[38] das wiederholte Bemühen des Miniaturmalers, das Geschehen in einem zeitnahen Rahmen zu verorten und es auf diese Weise der Realität der BetrachterInnen näher zu rücken: So wird in der Deckfarbenminiatur durch die versatzstückartige Bezugnahme auf eine trecenteske Formensprache (Dachgiebel mit Krabbenmotiven) und auf ein bürgerliches Wohnambiente mit kasettierten Türen und einer gotisch anmutenden Sitzbank mit imitierter Holzmaserung und gemustertem Sitzkissen eine stärker in der empirischen Wirklichkeit verankerte Bilderfahrung generiert als durch die zeichenhaft angedeutete Kulisse einer nahezu zeitlosen und planimetrisch strukturierten Bild­ordnung jener schematischen und archaisierenden Arkatur, wie sie in zahlreichen Prudentius-Handschriften zur Ausführung gelangte.

Alles in allem zeigt sich, dass Francescos Miniaturen ein epistheme aisthetike (Baumgarten) eingeschrieben ist, das durch referentielle Bezugnahmen auf eine bürgerlich-kommunale Wirklichkeit einer zunehmenden ‚Naturalisierung’ des profanen Bild- und Betrachterraums verpflichtet war. Doch anstatt sich in einer bloßen Nachahmung der außerbildlichen Wirklichkeit zu erschöpfen, werden die bildlichen Tugendallegorien über die Bedeutung einer rein abbildlichen Vergegenwärtigung hinaus auch in einer performativen, wirklichkeitsgestaltenden und wirklichkeitsstrukturierenden Bedeutungsdimension wirksam, indem sie ihren politischen Bedeutungsgehalt gegenüber einer Realitäts­dimension öffnen, die nicht ausschließlich mit der bestehenden Welt zusammenfällt, sondern zuallererst in der wiederholt zu leistenden Rezeption durch die Betrachtenden geschaffen werden muss. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich zahlreiche mittel- und oberitalienische Stadtregierungen Anfang des 14. Jahrhunderts in einer „crise de légitimité“[39] und einer „crise d’identité“[40] befunden hatten, werden die Miniaturen somit zu visuellen Dispositiven einer kommunalen Gesellschaftsordnung, die eine bürgerliche Realität eigenen Rechts ästhetisch konstituieren, legitimieren und moralisieren.


[1] Hagen Keller, Die Veränderungen gesellschaftlichen Handelns und die Verschriftlichung der Administration in den italienischen Stadtkommunen, in: Hagen Keller, Klaus Grubmüller, Niklaus Staubach (Hg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, München 1992, S. 21 – 36, hier S. 23.

[2] Stefano Asperti, Testi poetici volgari di propaganda politica (secoli XII e XIII), in: La propaganda politica nel basso medioevo (Atti del XXXVIII Convegno storico internazionale. Todi, 14-17 ottobre 2001), Spoleto 2002, S. 533 – 559, hier S. 533.

[3] Eine Ausrichtung auf die politische Situation Italiens und der Stadtkommune wird in Bruntto Latinis Trésor ausdrücklich angekündigt: „Mais de tous se taist li mestres en cest livre, que il n’en dit noient de la signourie des autres se de ciaus non ki governet les viles per annees […] l’autre est en Ytaile, que li citain et li borgois et li communité des viles eslisent lor poesté et lor signour […] Et sor ceste maniere parole li mestres, car l’autre n’apertient pas a lui ne a son ami; et nonporquant tot signour, quel signorie k’il aient, en poroient prendre mains bons ensegnemens.” Brunetto Latini, Li livres dou tresor, Libro Terzo, zitiert nach Christel Meier, Cosmos politicus. Der Funktionswandel der Enzyklopädie bei Brunetto Latini, in: Hagen Keller, Joachim Wollasch (Hg.), Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster, Berlin, New York 1988, S. 315-356, hier Fußnote 161, S. 353.

[4] Heinz Willi Wittschier, Die italienische Literatur des Duecento. Einführung und Studienführer. Geschichte der Anfänge einer Nationalliteratur, Frankfurt a. M. 2000, S. 77.

[5] Francesco da Barberino, I Documenti d’Amore [Documenta Amoris], Tomo I: Versi volgari e parafrasi latini und Tomo II: Glossae, Lavis 2008-2011. Die zwölf Abschnitte (documenti) des Moraltraktats thematisieren neben zahlreichen Fragen zu gesellschaftlichen Verhaltensmaßregeln praktischer und moralisch-philosophischer Natur jeweils einen Tugendbegriff und sind in ihrem Gesamtaufbau als allegorischer „Instanzenweg” (Hans Robert Jauss) zu verstehen, der von dem neuen, vorwiegend aus gelehrtem Stadtadel und gehobenem Bürgertum bestehenden Lesepublikum durchschritten und erfüllt werden muss, um eine auf gegenseitiger Liebe basierende Gesellschaft zu verwirklichen. Hierzu: Hans Robert Jauss, Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, in: Ders. (Hg.), Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956-1976, München 1977, S. 154 – 218, hier S. 162. Von insgesamt fünf erhaltenen Exemplaren sind lediglich Ms. Barb. lat. 4077 mit lavierten Federzeichnungen und Ms. Barb. lat. 4076 mit Deckfarbenminiaturen versehen. Beide Manuskripte befinden sich in der Biblioteca Apostolica Vaticana und wurden mehrfach von der Verfasserin eingesehen. Ihr Dank gilt Dr. Paolo Vian, ohne dessen freundliche Erlaubnis eine Einsichtnahme nicht möglich gewesen wäre. Mit den Illuminationen von Francescos Documenti intensiv befasst haben sich: Francesco Egidi, Le Miniature dei Codici Barberiniani dei ‚Documenti d’Amore’, in: L’arte. Rivista di storia dell’arte medievale e moderna V (1902), S. 1 – 20; 78 – 95; Susanna Partsch, Profane Buchmalerei der bürgerlichen Gesellschaft im spätmittelalterlichen Florenz. Der Specchio Umano des Getreidehändlers Domenico Lenzi, Worms 1981, S. 79 – 87; Valeria Nardi, Le illustrazioni dei Documenti d’Amore di Francesco da Barberino. Il rapporto fra testo e immagine nei più antichi manoscritti di un poema in volgare e la produzione miniatoria a Firenze agli inizi del Trecento, in: Ricerche di storia dell’ arte 49 (1993), S. 75 – 92; Eva Frojmovič, Der Illustrionszyklus zu den ‚Documenti d’Amore’ des Francesco da Barberino (unveröffentlichte Dissertation am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität zu München 1994); Shelley MacLaren, ‘Or guarda tu… desta donna la forma’: Francesco da Barberino’s Poetic and Pictorial Invention (Ph D. diss, Art History Department of the Emory University, 2007).

[6] Asperti 2002, S. 559.

[7] Zitiert wird im Folgenden nach der Ausgabe von Albertazzi 2008 – 2011: Documenti d’Amore II.27: „Figuras istas, quas tu designasti, vidisti tu ibidem quomodo tu eas licet crosso modo factas, […].“

[8] Documenti d’Amore II.59.

[9] Maria Grazia Ciardi Dupré Dal Poggetto, Il maestro del Codice di San Giorgio e il cardinale Jacopo Stefaneschi, Firenze 1981, S. 182.

[10] Bei Industria handelt es sich um einen Tugendbegriff, der namentlich erst im 14. Jahrhundert im Zuge von Übersetzungen aus dem Lateinischen begegnet. Hierzu Eulen Focko, Industrie, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel/Stuttgart 1976, S. 338 – 343.

[11] Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 2, Stuttgart 1969, 1103a 14 – 33 und passim. Auf diesen Zusammenhang machte auch Eva Frojmovič aufmerksam. Vgl. Frojmovič 1994, S. 140.

[12] Documenti d’Amore II.189: „Quare ex ipso actu qui est ultra solum habitum et potentiam, dico Industriam esse virtutem cum ingenium sit vis tantum […].”

[13] Documenti d’Amore II.189: „[…] sed habere eam in actu virtus est.“

[14] Vgl. Frojmovič 1994, S. 140.

[15] Hans Robert Jauss, Brunetto Latini als allegorischer Dichter, in: Jauss 1977, S. 47 – 92, S. 72.

[16] Sylvia Huot, Visualization and Memory: The Illustration of Troubadour Lyric in a Thirteenth-Century Manuscript, in: Gesta 31 (1992), S. 3 – 14, S. 12.

[17] James H. Stubblebine, Assisi and the rise of vernacular art, New York 1985, S. 90.

[18] Documenti II.190: „Item habet iuxta se sirici varias cannellas, sicut varie sunt scientie et artes ad quas tendere homines per hanc industriam sunt reperti.”

[19] Ciardi Dal Poggetto 1981, S. 190.

[20] Stubblebine 1985, S. 90.

[21] Zu dem „new realism“ (Stubblebine) der genannten Künstler siehe Stubblebine 1985, insbesondere Kap. VI: The Rise of Vernacular Art, S. 88 – 98. Betont wird die Bedeutung von Genreszenen und Stilllebenmotive für die religiöse Historienmalerie auch von Joachim Poeschke, Wandmalerei der Giottozeit in Italien 1280 – 1400, München 2003, S. 9 – 39.

[22] Besonders einprägsam tritt diese Form von „new realism“ im Codice di San Giorgio der Vatikanischen Bibliothek (Ms. Archivio di San Pietro, C. 129) zu Tage.

[23] Hierzu: Ciardi Dal Poggetto 1981, S. 137.

[24] Vgl. hierzu Egidi 1902, S. 78, Partsch 1981, S. 81 und Frojmovič 1994, S. 141 – 150.

[25] Documenti d’Amore II.335: „Quattuor modis humanum iudicium pervertitur. TIMORE dum metu potestatis alicuius veritatem loqui pertimescimus. CUPIDITATE, dum premio animum alicuius corrumpimus. HODIO, dum contra quemlibet adversa[rium] molimur. AMORE, dum Amico vel propinquo prestare contendimus.“ Vgl. Frojmovič 1994, S. 143.

[26] Als prototypische Darstellungen für das zugrunde liegende religiöse Figurenschema sind Giovanni Pisanos Verspottung an der Kanzel des Pisaner Doms (1297 – 1301), Giottos Verspottung in der Scrovegni Kapelle in Padua (1302 – 1305) und Lippo di Benivienis Cristo deriso in Strassburg (1296 –1327) zu nennen, die allesamt nach einer ähnlichen Bildlogik funktionieren. Vgl. Maria Monica Donato, Dal Comune rubato di Giotto al Comune sovrano di Ambrogio Lorenzetti, in: Arturo Carlo Quintavalle (Hg.), Medioevo immagini e ideologie; atti del Convegno Internazionale di Studi, Parma, 23. – 27. September 2002, Milano 2005, S. 489 – 509, hier S. 497.

[27] Wörtlich zitiert wurde Francescos Figurenkonzept für die Illuminierung von Brunetto Latinis Tesoro (Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. 42, 19), wo unter der Rubrik „De la constantia“ auf fol. 47v eine gerahmte Miniatur mit goldenem Hintergrund inseriert ist, in der Constantia auf einer Bank thronend, mit einem blauen Brustschild gewappnet und in ihre Lektüre vertieft zu sehen ist, wie sie den vier angreifenden Lastern widersteht. Vgl. Partsch 1981, S. 90.

[28] Documenti d’Amore II.375: „Patientia virtus est contumeliarum et omnis adversitatis impetus equanimiter tollerans.”

[29] Documenti d’Amore I.227: „Sua figura / sta secura / ad un’ altra, che pare / che le voglia / a malavoglia / una gautata dare.” (Vers 3791 – 3796)

[30] Documenti d’Amore II.377: „scilicet iniuriam que recta stat apta ut percutiat, cuius effigiem vides turpem, quia iniuriantes displicent; cornuta est, quia semper ut ledat nititur capillis habet in altum et <ir>tis quod signamur in illa fore superbia, […]“

[31] Ungeordnetes oder flatterndes Haar galt bereits auf den Darstellungen römischer Sarkophage (z.B. Ludovisisarkophag, Rom, Thermenmuseum) als Ausdruck von „Wildheit und Ungeordnetheit” (Katzenellenbogen), so dass Francesco hier auf eine etablierte Semantik zurückgreifen konnten. Vgl. Adolf Katzenellenbogen, Die Psychomachie in der Kunst des Mittelalters von den Anfängen bis zum 13. Jahrhundert, Hamburg 1933, S. 15.

[32] Hierzu Paolo D’Ancona, L’uomo e le sue opere nelle figurazioni italiane del Medioevo (miti, allegorie, leggende), Firenze 1923, S. 38. Abgesehen von Illustrationen zu Prudentius Psychomachia hatte sich für Patientia keine nennenswerte Ikonographie entwickelt. Vgl. Michaela Bautz, Virtutes. Studien zu Funktion und Ikonographie der Tugenden im Mittelalter und im 16. Jahrhundert, Berlin 1999, S. 303.

[33] Hierzu: Aniello Nappi, Ingiuria e Diffamazione, in: Enciclopedia Giuridica, Volume XVII (1989), S. 1 – 13.

[34] Documenti d’Amore II.376: „Patientia est virtus ad adversa non pavida, in adversis non mutata, et super adversis multis non turbata vilitate non tollerans sed virtute, que facit de humilitate probitatem.“ Vgl. Frojmovič 1994, S. 157.

[35] Nappi 1989, S. 1.

[36] Nähere Ausführungen hierzu bei: Walter Goetz, Die Entstehung der italienischen Kommunen im frühen Mittelalter, in: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Abteilung 1 (1944), S. 5-127; Hans Conrad Peyer, Die Geschichte Italiens im 14. Jahrhundert, in: Walter Rüegg (Hg.), Das Trecento. Italien im 14. Jahrhundert, Zürich 1960, S. 9 – 35; Lauro Martines, Power and Imagination. City-States in Renaissance Italy, New York 1979; Giuspeppe Galasso, Storia d’Italia: Città e Comuni. Nobilità e popolo, consoli e podestà, Torino 1981.

[37] Figuren mit verschränkten Armen finden sich in der religiösen Trecento-Malerei sowohl auf Tafelbildern (z.B. Simone Martinis Maestà, Sala del Consiglio, Palazzo Pubblico, Siena, 1315; Taddeo Gaddis Tryptichon, Gemäldegalerie, Berlin, 1334) als auch in der Buchmalerei (z.B. fol. 117v der Biblia in New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 215). Beispiele der profanen Kunst sind fol. 75v des Volgarizzamento del Pater Noster von Zucchero Bencivenni (Florenz, Biblioteca Centrale Nazionale, II.VI.16) oder das Portikuskapitell am Dogenpalast mit der Darstellung der Obedentia.

[38] James H. Stubblebine, Giotto. The Arena Chapel Frescoes, London 1969, S. 94f.

[39] Catherine Guimbard, Recherches sur la vie publique de Francesco da Barberino, in: Revue des Études Italiennes XXVIII (1982), S. 5 – 39, hier S. 17.

[40] Guimbard 1982, S. 17.

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Gegen den Zerfall arbeiten

Im Juli 1890 malte Vincent van Gogh mit Krähen über dem Kornfeld eines seiner letzten Bilder. Nur kurze Zeit darauf, am 27. Juli 1890, ereignete sich auf einem Spaziergang in Auvers der unglückselige Zwischenfall mit einer Pistole, an dessen Folgen van Gogh zwei Tage später verstarb. Dass Krähen über dem Kornfeld in der Folgezeit und im Hinblick auf die allgemeine Popularität seiner Malerei zu einem seiner berühmtesten Gemälde avancierte, sollte gewiss im Licht dieses Entstehungszusammenhangs betrachtet werden.[1] So überrascht auch die Ehrfurcht des amerikanischen Kunsthistorikers Meyer Schapiro vor dem Gemälde nicht, der Krähen über dem Kornfeld als van Goghs „tiefstempfundene[s] Bekenntnis“ würdigte.[2] Was für ein Bekenntnis aber soll das sein? Meint Meyer Schapiro damit ein Bekenntnis van Goghs zu seiner Malerei, zu seinem Schicksal, gar zum nahenden Ende seines Lebens?

Den symbolischen und prophetischen Interpretationen, die im Bild eine Vorwegnahme der Ereignisse ab dem 27. Juli, ja eine Art Abschiedsbild van Goghs ausfindig zu machen glauben, bietet das Gemälde reichlich Resonanzraum. Man denke dabei etwa an die drei Wege (ein Symbol drei unterschiedlicher Zukünfte?), die sich im Vordergrund gabeln oder an den Krähenschwarm (Boten des Todes?), der sich wie zahlreiche, mit der Landschaft verkeilte schwarze Schatten diagonal über den Bildraum bewegt; auf die Betrachtenden und zuvor natürlich auf den malenden van Gogh zu (Abb. 1).[3]

Vincent van Gogh, Krähen über dem Kornfeld, Juli 1890, Öl auf Leinwand, 50,5 x 103 cm, F 779, Amsterdam, Van Gogh Museum.

Abb. 1: Vincent van Gogh, Krähen über dem Kornfeld, Juli 1890, Öl auf Leinwand, 50,5 x 103 cm, F 779, Amsterdam, Van Gogh Museum.

Eine solche Deutung vereinzelter Motive wird durch den Stoff der „modernen Künstlerlegende“, den van Goghs Leben zweifellos liefert, motiviert.[4] Gottfried Boehm sieht in Vincent van Gogh sogar die Manifestation eines neuen, radikalen Künstlertypus, der seinen eigenen Körper als Ressource seiner Arbeit beansprucht und sich letztlich hervorbringt, indem er sich zerstört.[5] Dabei stellt Krähen über dem Kornfeld mit seiner erdigen, beinahe milden Farbpalette im Vergleich zu der grellen und übersteigerten Lichtpalette der Schaffensperiode in Arles, zumindest was die Farben betrifft, keine Materialisierung von van Goghs Exzess – der Giftigkeit seines Lebenswandels – dar.[6] Zum Symbol für das Dilemma von Verfügen oder Nicht-Verfügen über die eigene Existenz scheint das Bild dennoch prädestiniert zu sein. Van Goghs Briefen, deren umfassende Bewahrung für die Van-Gogh-Forschung von unschätzbarem Wert ist, lässt sich entnehmen, dass es die Tätigkeit des Malens war, die auf ihn eine ordnende und klärende Wirkung hatte. So schrieb er im Winter 1889 an seinen Bruder Theo: „Was die Arbeit anbelangt, war es im Großen und Ganzen kein schlechter Monat, und die Arbeit lenkt mich ab oder vielmehr hält mich zu geregeltem Leben an, also gebe ich sie nicht auf.“[7] Malen half van Gogh über sich selbst, über die eigene Existenz, zu verfügen. Wäre es also eine legitime Vermutung, Krähen über dem Kornfeld als Bekenntnis zur bevorstehenden „Selbstzerstörung“ anzunehmen?

Für Meyer Schapiro repräsentiert das Gemälde tatsächlich das Dilemma um die eigene Existenz, aber anders als bei Boehm nicht im Sinn einer Hervorbringung mittels Zerstörung, sondern vielmehr als Schauplatz einer existenziellen Konfrontation: der zunehmenden Verzweiflung van Goghs einerseits und seiner „Abwehr des Zerfalls [durch die Verzweiflung]“ andererseits.[8]

Es macht den Anschein, dass mit jener Abwehr des Zerfalls wirklich ein bedeutendes Moment des Gemäldes registriert wurde: „Sobald ich hier war, habe ich mich wieder an die Arbeit gemacht“, schreibt van Gogh in seinem drittletzten Brief an Theo, „der Pinsel ist mir freilich fast aus der Hand gefallen; aber da ich wusste, was ich wollte, habe ich trotzdem seither drei große Bilder gemalt.“[9] Van Gogh schildert hier eindrücklich, gegen welche Kraft des Zerfalls, die sich seiner Hand zu bemächtigen droht, er Widerstand leistet. Doch der besagte Brief gibt nicht nur Aufschluss über die Abwehr des Zerfalls, sondern auch über die erwähnten drei Bilder, mit denen sich diese Abwehr vollzieht: „Es sind endlos weite Kornfelder unter trüben Himmeln, und ich habe den Versuch nicht gescheut, Traurigkeit und äußerste Einsamkeit auszudrücken. […] Das dritte Bild ist der Garten von Daubigny, ein Bild, das ich im Kopf mit mir herumtrage, seit ich hier bin.“[10]

Während es sich bei dem letzten Bild um die Version des Garten von Daubigny handelt, die sich heute im Kunstmuseum Basel befindet, wurden die beiden erwähnten „Kornfelder“ als das Gemälde Weizenfeld unter einem Gewitterhimmel im Van Gogh Museum und das hier thematische Krähen über dem Kornfeld identifiziert.[11] Im Folgenden wird es darum gehen, diese auch brieflich für das Gemälde verbürgte Abwehr des Zerfalls in der Malerei selbst nachzuvollziehen. Hierfür leistete Meyer Schapiros bereits zitierter, wichtiger Aufsatz zum Bild freilich schon den größten Beitrag. Allerdings siedelte Schapiro den drohenden Zerfall sowie dessen Abwehr primär auf der Ebene der dargestellten Motive und der Komposition an, oder zugespitzt formuliert: auf der Ebene der dargestellten Landschaft als Symbol.

Mit diesem Aufsatz möchte ich hingegen den Versuch unternehmen, Zerfall und Abwehr in Krähen über dem Kornfeld in einem anderen Licht zu betrachten. Der weiter oben zitierte Brief liefert dazu einen Hinweis – in der Passage mit der Schilderung wie van Gogh der Pinsel „fast aus der Hand gefallen“ sei.[12] Die Abwehr des Zerfalls stellt offensichtlich nicht bloß eine geistige Angelegenheit dar, sondern umfasst ebenso eine körperliche Anstrengung. Mit der Hand bringt van Gogh allerdings nicht eine beliebige Körperlichkeit ins Spiel. Sie figuriert, gerade in diesem Brief, als „das Organ der Darstellung“.[13] Von ihr und ihrem Vermögen, den Pinsel zu halten, hängt die Entstehung des Gemäldes zuallererst ab. Die Hand, der Pinsel, die Farbe und die Leinwand: Sie konstituieren die physischen und materiellen Bedingungen des Malens, vereint durch die Tätigkeit des Malens selbst, indem der Pinsel in der Hand des Künstlers die Farbe auf die Leinwand aufträgt. Dergestalt verweist die Hand zugleich auf eine alternative beziehungsweise komplementäre Realität von Krähen über dem Kornfeld, in der die Bedeutung des Gemäldes nicht allein im Dargestellten zu verorten ist. Die Hand evoziert den Tastsinn, sie lenkt die Aufmerksamkeit vom Blick auf das Dargestellte, der das Bild sehend auf eine immaterielle Oberfläche reduziert, ab und richtet sie stattdessen auf die physische Realität des Bildes, die Opazität seiner Materialität und damit auf die indexikalische Spur der künstlerischen Geste.[14] Diese nimmt, wie sich an der exzessiven Materialität seiner Bilder unschwer erkennen lässt, in Form einer Einheit von Farbe und Strich bei van Gogh eine besondere Stellung ein.[15] „Der Körper begann [bei van Gogh]“, wie Boehm schreibt, „sich in die Faktur des Bildes einzuprägen und hinterließ eine vom Dargestellten unabhängige Spur.“[16] Diese Einprägung des Körpers markiert die taktile Realität seiner Gemälde.[17] Dass sich die taktile Realität von Krähen über dem Kornfeld den dargestellten Drohungen des Zerfalls entgegenstellt, die Schapiro auf der Ebene der dargestellten Szenerie identifiziert, lautet die zentrale These dieses Textes. Um nachstehend bis zu dieser Phänomenologie der Abwehr vorzudringen, gilt es zunächst, die biografischen Konturen des Zerfalls und dessen Prekarität mit dem Umzug nach Auvers zu umreißen.

Auvers: Beginn der letzten Lebensphase

Erst knapp drei Monate vor seinem Tod war van Gogh auf Empfehlung des Malers Camille Pissarro, den van Gogh in seinen Briefen achtungsvoll „Vater“ (franz. père) nannte, nach Auvers-sur-Oise übersiedelt.[18] Er war nicht der erste Künstler, den die kleine Stadt 20 Kilometer nordwestlich von Paris beherbergte. Bereits in den 1850er-Jahren wurde die idyllische Gegend – Charles-François Daubigny nachfolgend – von den Künstlerfreunden Camille Corot und Honoré Daumier erkundet, später folgten in den 1870er-Jahren Camille Pissarro und für kurze Zeit auch dessen Schützling Paul Cézanne.[19] Van Gogh sah seinem Umzug vom provenzalischen Süden in den Norden Frankreichs positiv, wenn auch nicht hoffnungsvoll entgegen. Kurz vor seiner Abreise nach Paris schrieb er im Mai 1890 an Theo: „Meine Geduld ist zu Ende, mein lieber Bruder, ich kann nicht mehr, eine Veränderung muss kommen, und wenn es eine Veränderung zum Schlimmeren wäre.“[20]

Wir wissen heute um die fatale Veränderung zum Schlimmeren, die nur wenige Zeit später folgen sollte, aber in den ersten Wochen, die van Gogh in Auvers zubrachte, deutete noch nichts darauf hin. Im Gegenteil schien der Künstler in den ersten Maitagen im Norden bei bester Gesundheit zu sein: „[…] bis heute geht alles gut. Und es kann noch besser werden; ich denke immer, es ist vor allem eine Krankheit des Südens, die mich erwischt hat, und vielleicht genügt die Rückkehr hierher, um alles zu verscheuchen.“[21] Auch Doktor Paul Gachet, der Nervenarzt und Künstlerfreund in Auvers, an den ihn Pissarro vermittelt hatte, wurde ihm nach anfänglicher Skepsis immer sympathischer. „Ich glaube wohl, dass ich gut Freund mit ihm bleiben und sein Porträt machen werde“, heißt es in dieser Sache in einem der ersten Auvers-Briefe an Theo.[22] Aus dem erwähnten Porträt Gachets sollten zwei werden. Überhaupt brach mit der Zeit im Norden van Goghs produktivste Schaffensphase an: In den 70 Tagen, die er noch am Leben sein würde, malte er 75 Bilder.[23] Daraus ließe sich schließen, dass sein Leben in diesen Tagen außerordentlich geregelt verlaufen musste.[24] Doch der Schein trügt.

Bereits Ende Juni hatte sich die Lage wieder zunehmend verschlechtert: „Ich versuche auch zu tun, was in meinen Kräften steht, aber ich verhehle Dir nicht, dass ich kaum mit anhaltender Gesundheit zu rechnen wage. Und wenn mein Übel wiederkehrt – verzeih ich liebe Kunst und Leben von ganzem Herzen, aber dass ich jemals eine Frau haben werde, glaube ich eigentlich nicht. Ich fürchte vielmehr, dass, sagen wir mal, wenn ich vierzig bin – aber sagen wir lieber nichts. Ich erkläre, dass ich ganz und gar nicht weiß, welche Wendung es mit mir einmal nehmen kann.“[25] Und dann schien es ihm bereits im übernächsten Brief an seinen Bruder und seine Schwägerin doch schon wieder viel besser zu gehen: „Dieser Tage geht es mir sehr gut, ich arbeite tüchtig, habe vier Ölstudien und zwei Zeichnungen [sic].“[26] Inwiefern Selbstzensur für van Gogh in dieser Zeit – Theos Sohn Vincent war zu diesem Zeitpunkt gerade heftig erkrankt – eine Rolle gespielt haben könnte, lässt sich an dieser Stelle nicht abschätzen.[27] Hingegen weiß man um das schlechte Gewissen, das van Gogh in den ersten Julitagen des Jahres 1890 plagte, weil er weiterhin von Theos finanzieller Unterstützung abhängig war, obwohl dieser nun eine eigene Familie zu versorgen hatte.[28] Jedenfalls könnten die widersprüchlichen Briefpassagen ein Indiz dafür sein, dass das Ringen um den Verstand bereits in eine Phase gegangen war, in der „die Arbeit“, wie van Gogh seine malerische Tätigkeit bezeichnenderweise nannte, keine Garantie für ein geordnetes Leben mehr darstellte. Während die Malerei zuvor noch zur größten Ablenkung und zum besten Heilmittel gegen die Verzweiflung erklärt worden war,[29] erfolgte die Abwehr des Zerfalls nicht mehr qua Malerei als Arbeit, sondern musste nun im Malen des jeweils einzelnen Bildes errungen werden. Just diese Verschiebung hin zur Arbeit am je einzelnen Bild führt uns zu Krähen über dem Kornfeld.

Symbol und taktile Realität

Eines der markantesten Merkmale des Bildes sind seine ungewöhnlichen Proportionen. Van Gogh verwendete das extreme Querformat im Juni 1890 zum ersten Mal für Die Ebene von Auvers und wird es in seiner letzten Schaffensphase noch 13 weitere Male einsetzen – bis auf das Basler Bild Mademoiselle Gachet am Klavier ausschließlich für Landschaften.[30] Durch die Verbindung zweier quadratischer Leinwände ergab sich eine Leinwand, die wie im Fall von Krähen über dem Kornfeld mehr als doppelt so breit wie hoch war. (Die genauen Maße des Gemäldes betragen 50,5 x 103 cm.) Diese Proportionen verleihen dem Gemälde einen panoramischen Charakter, weshalb Nina Zimmer die 13 querformatigen Landschaftsbilder zu Recht als Panoramazyklus von Auvers kategorisierte.[31]

Die Szenerie trägt dem besonderen Format des Bildes Rechnung, die Schapiro zufolge allerdings nicht einfach panoramisch ist. Denn das Feld – genau genommen die zwei Felder – öffnet sich den Betrachtenden vermittels der drei Wege, die sich im Vordergrund gabeln.[32] Wie schon eingangs angedeutet wurde, geht von dieser Weggabelung in Kombination mit dem Entstehungszeitpunkt des Bildes eine starke symbolische Suggestion aus. Als Symbol für den Scheideweg, für das Dilemma der Entscheidung für eine bestimmte Zukunft sollen die Betrachtenden ebenso von jener symbolischen Kraft affiziert werden wie ihnen zuvor schon van Gogh.[33] Diese Deutung, so plausibel sie in ihrem Kontext auch erscheinen mag, kann bei einem neuerlichen Blick auf das Gemälde allerdings nicht über einige darstellerische Probleme hinweg täuschen.

Van Gogh wählte für das Bild einen Betrachterstandpunkt, der sich nicht direkt auf dem dargestellten Erdniveau verorten lässt und sich folglich durch eine erhebliche Aufsicht auszeichnet. Dadurch bleibt der unmittelbare Nahraum im Bild sowie auch in Beziehung zum vorzeitigen Standpunkt des Malers beim Malen „en plein air“ verborgen. Lediglich ein ungefähr sechsgliedriges pflanzliches Gebilde rechts von der Mitte hebt sich in seiner Akzentuierung und Richtung so von der Bildfläche ab, dass es in den unmittelbaren Nahraum des Gemäldes hineinragt. Solche Details waren Richard Shiff zufolge für van Gogh nicht untypisch: „[…] he would also look downward as much as outward […]. Within relatively broad vistas, he often included a number of plants rendered with sufficient detail to be identified, even if only as caricature or abstraction.“[34] Der erhöhte Betrachterstandpunkt hingegen, könnte man argumentieren, steigert das Symbolische des Bildes noch zusätzlich. Doch der tatsächliche Effekt, den er für das Gemälde hat, ist, dass die Weggabelung selbst im Bild gar nicht zu sehen ist. Aber könnte das etwa bedeuten, dass es gar keine Gabelung gibt?

Die taktile Realität des Gemäldes gibt dieser Schlussfolgerung Recht. Denn während sich der Pinselduktus bei dieser Landschaft selbst für van Gogh’sche Verhältnisse außergewöhnlich „vielgerichtet“ darbietet, ist der „farbige Strich“ des linken und mittleren Weges vergleichsweise analogisch und kohärent.[35] Die braunroten und grünen Striche formen, je näher sie dem unteren Bildrand kommen, eine Rechtskurve, die aus den zwei Wegen über das ganze Bild gezogen einen einzelnen Weg im S-Schwung werden lässt. Die taktilen Berührungen, welche die farbigen Striche als indexikalisches Zeichen repräsentieren, legen somit nahe, dass der Blick auf die Landschaft nicht von einer Weggabelung aus erfolgt.[36] Anstatt die Öffnung des Gemäldes als Gabelung auf die Betrachtenden hin zu vollziehen, scheint der Weg im Gegenteil viel eher die ästhetische Grenze des Gemäldes zu markieren. Damit wird jedoch noch nicht primär die Abwehr des Zerfalls auf der Ebene der taktilen Realität angezeigt. Hier wird vielmehr die symbolische Plausibilität des vermeintlich Dargestellten infrage gestellt, weil die taktile Realität schlichtweg eine andere repräsentierte Realität ins Spiel bringt.

Vincent van Gogh, Krähen über dem Kornfeld (Detail), Juli 1890, Öl auf Leinwand, 50,5 x 103 cm, F 779, Amsterdam, Van Gogh Museum.

Abb. 2: Vincent van Gogh, Krähen über dem Kornfeld (Detail), Juli 1890, Öl auf Leinwand, 50,5 x 103 cm, F 779, Amsterdam, Van Gogh Museum.

Auch die Krähen, die eingangs als zweites symbolische Moment angeführt wurden, sind von dieser Infragestellung betroffen. Von ihnen schreibt Schapiro, dass sie durch ihre Zickzacklinien immer offenkundiger der unsicheren und schwankenden Form der drei Wege gleichen.[37] Und schließlich: „Der Maler-Betrachter ist, schreckensstarr und gespalten, zum Ziel der nahenden Krähen geworden, deren Zickzacklinie, wie wir sahen, sich in den auseinander laufenden Linien der drei Wege wiederholt.“[38] Gleich mehrere Aspekte der zitierten Beschreibung bedürfen der Revision. Erstens kann sich die Zickzacklinie nicht in den Linien der drei Wege wiederholen, da das Bild im Anschluss an den vorangegangenen Abschnitt keine drei Wege darstellt. Zweitens ist es verwunderlich, dass Schapiro mit „Zickzacklinie“ zur Beschreibung zwar einen Begriff verwendet, der auf den indexikalischen und nicht auf den ikonischen Aspekt des Dargestellten verweist, aber dennoch darauf verzichtet, auf die evidente Differenz von Zickzacklinie und Vogel oder das Verhältnis von Zickzacklinie und Hintergrund einzugehen.[39] Außerdem verweist die Bewegung der Zickzacklinie aufgrund der impulsiven Bewegung, der sie bedarf, gerade nicht auf eine „Schreckensstarre“ des Maler-Betrachters. Aber Schapiro fährt damit fort, die Bewegung und die räumliche Folge der Vögel zusätzlich als eine temporale Perspektive zu beschreiben, die „die stets wachsende unmittelbare Bedrohung des nächsten Augenblicks“ darstellt. Für eine derartige Deutung der Darstellung wäre indes gerade bei einem Vogel – repräsentiert durch eine Zickzacklinie – ein differenziertes Verhältnis zum Hintergrund Voraussetzung. Abgesehen von der farblichen Differenz, die zugegebenermaßen sehr markant ist, verfügen die „Zickzacklinien-Krähen“ jedoch über keine plastische Modellierung. Im Gegenteil unterscheiden sich insbesondere die Krähen, die über dem Kornfeld fliegen, in der Art und Richtung des Pinselstrichs kaum von den gelben und braunroten Pinselstrichen der Felder (Abb. 2). Richard Shiff nannte dieses Darstellungsphänomen in Bezug auf Paul Cézanne den „paronymous touch“, die Darstellung eines Gegenstandes vermittels eines Pinselstrichs, der die Repräsentation des Gegenstandes zugleich in partielle Ähnlichkeit zu anderen Elementen des Bildes bringt.[40] In Cézannes Basler Stillleben Weinglas und Äpfel zum Beispiel werden die Blätter, die eigentlich das Muster der hintergründigen Tapete bilden, so um das Weinglas modelliert, dass sie wie tatsächliche Blätter erscheinen (Abb. 3).[41] „The play between literal surface and figured depth, or between signifier and signified“ ist es, wie Shiff sehr anschaulich darlegt, was Cézanne uns hier vorführt.xlii

Paul Cézanne, Weinglas und Äpfel, 1879 – 1882, Öl auf Leinwand, 31 x 40 cm, Basel, Kunstmuseum.

Abb. 3: Paul Cézanne, Weinglas und Äpfel, 1879 – 1882, Öl auf Leinwand, 31 x 40 cm, Basel, Kunstmuseum.

Bei van Gogh ist das Spiel zwischen physischer Bildoberfläche und bildräumlicher Tiefe bei weitem nicht so elaboriert, wie das bei Cézanne der Fall ist. Es ist nicht das Thema seiner Malerei. Gerade aber für Krähen über dem Kornfeld gilt, dass es sich dabei gleichermaßen um Krähen im Kornfeld handelt oder anders ausgedrückt: um Zickzacklinie in Zickzacklinie. Diese Beziehung partieller Ähnlichkeit führt zu einem Wahrnehmungsphänomen, in dem die Wahrnehmung der Betrachtenden fortlaufend zwischen der dargestellten Realität und der taktilen Realität oszilliert. Das wiederum verhindert, dass die Vögel – wie Schapiro vorgeschlagen hatte – in Bewegung oder zeitlicher Perspektive wahrgenommen werden können. Die partielle Ähnlichkeit führt stattdessen dazu, dass jeder Eindruck von Bewegung arretiert wird, da die Krähen bei jedem zweiten Hinsehen als Kontrastfarbe in der Darstellung des Kornfelds oder des Himmels wahrgenommen werden. Selbst wenn man die Krähen als symbolische Ankündigung des nahenden Unheils interpretierte, folgte daraus, dass die Krähen aufgrund ihrer taktilen Realität optisch fortlaufend in ihren Hintergrund und damit zugleich in die Materialität der Bildoberfläche „zurückgedrängt“ wirken. In diesem Effekt manifestiert sich nichts anderes als van Goghs Abwehr des Zerfalls an der Schnittstelle zwischen taktiler und dargestellter Realität. Der dargestellten Drohung des Zerfalls stellt sich die taktile Realität des Gemäldes – die Einprägung von van Goghs Körper auf die Leinwand als expressiver Strich – entgegen.

Die beinahe Menschenleere des Bildes

Eine Beobachtung, die den Betrachtenden kurioserweise ihre Zeit abverlangt, ist die bemerkenswerte Menschenleere des Bildes. Gewiss wird die dargestellte Natur, immerhin ein wahrscheinlich von Menschen angelegtes Feld, von Wegen durchzogen, die ex negativo auf die Präsenz des Menschen in dieser Landschaft verweisen. Im Vergleich zu früheren Bildern aber scheint dieses von Menschlichem geradezu entledigt.[43]

Dabei gehörten in früheren Phasen gerade die Felder zu denjenigen Motiven, die van Gogh speziell mit menschlicher Präsenz ausstattete. Zu denken wäre an einschlägige Bilder wie das Zürcher Paar bei der Feldarbeit von 1885, ein Bild mit klarem Bezug zu van Goghs Vorbild François Millet,[44] oder Bilder aus der Zeit in Arles wie Acker mit pflügendem Bauern und Mühle von 1889. Beide zeigen das Feld als einen Ort der Arbeit und in diesem Sinn auch als einen genuin menschlichen Ort. Dazu gesellen sich weitere Bilder, in denen sich die Präsenz des Menschen noch vielschichtiger gestaltet. Unter ihnen befindet sich Sommerabend, das 1888 in Arles entstanden ist und sich heute im Kunstmuseum Winterthur befindet.

Vincent van Gogh, Sommerabend, Juni 1888, Öl auf  Leinwand, 74 x 92 cm, F 465 Winterthur, Kunstmuseum.

Abb. 4: Vincent van Gogh, Sommerabend, Juni 1888, Öl auf Leinwand, 74 x 92 cm, F 465, Winterthur, Kunstmuseum.

Hinter einem enorm weiten und tiefen Feld, auf dem wiederum zwei Personen, vermutlich Bauern, zu sehen sind, zeichnet sich dort am Horizont die Stadt Arles ab (Abb. 4). Bei genauerem Hinsehen lässt sich erkennen, dass van Gogh neben einem vor der Stadt vorbeifahrenden Zug nicht weniger als sieben rauchende Schornsteine malte. Offenbar interessierte er sich mit seiner Malerei nicht nur für die menschliche Präsenz der Landwirtschaft und somit für das Lokale und Überschaubare, sondern gleichermaßen auch für die Fabriken der Industrie, den Orten der kapitalistischen Warenproduktion, sowie für die Eisenbahn, die Mensch und Ware in bisher unbekannter Geschwindigkeit mit der Welt verband und vernetzte.[45] Van Gogh gibt sich hier als ein Maler zu erkennen, der sich ebenso auf den Nahraum des Feldes bezieht, in dem er selbst malend steht, wie auf eine Dezentrierung der Malerei, die an den mechanischen und chemischen Abläufen einer industrialisierten Welt beteiligt ist.[46]

In Sommerabend markieren insbesondere die heftig rauchenden Schornsteine der Fabriken von Arles den Bereich einer Malerei, die sich in den Worten Ralph Ubls „den Kräften einer technischen und ökonomischen Produktion von Wirklichkeit aussetzt, Kräften, die, metaphorisch gesprochen, das Zwiegespräch von Körper und Leinwand auf den Lärm der modernen Welt hin öffnen“.[47] Die schwarzblauen Pinselstriche, die den Rauch, der aus den Schornsteinen emporsteigt, so eindrücklich modellieren, verweisen nicht bloß auf den Nahraum des Malers, der mit seinen akzentuierten und intimen Bewegungen seinen Körper in die Leinwand einprägt. Sie binden das Gemälde mittels der exzessiven Materialität der Farbe in diesen Bezirken wiederum zurück an die Industrie und die Fabriken, denen die Schornsteine angehören (Abb. 5). Denn die Farben, die van Gogh verwendete, stellte er weder selber her noch mischte er sie auf der Palette.[48] Er ging stets von den Farben aus, die er in Tuben kaufen konnte und die dergestalt von „äußeren Gegebenheiten“ stammten.[49] Er bestellte sie zum Beispiel bei seinem Bruder, der sie in Paris beschaffte und dann an den jeweiligen Aufenthaltsort des Bruders sendete.[50] Folglich entpuppt sich ausgerechnet die Farbe, der in der Form des farbigen Strichs so viel Subjektivität und Intimität anhaftet, als bestechendes Element einer industrialisierten und dezentrierten Malerei van Goghs.

Vincent van Gogh, Sommerabend (Detail), Juni 1888, Öl auf  Leinwand, 74 x 92 cm, F 465 Winterthur, Kunstmuseum.

Abb. 5: Vincent van Gogh, Sommerabend (Detail), Juni 1888, Öl auf Leinwand, 74 x 92 cm, F 465, Winterthur, Kunstmuseum.

Wendet man den Blick nun wieder dem Bild Krähen über dem Kornfeld zu, sind die Schornsteine der Fabriken dort verschwunden. Aber jenes harte Preußischblau des Himmels mit Spuren von Schwarz ist dasselbe wie beim Rauch in Sommerabend. Vielleicht liegt es also an der wiederholt exzessiven farblichen Materialität des Himmels und der Felder, verbunden mit der Expressivität des farbigen Strichs, dass sich die Beobachtung der Menschenleere in Krähen über dem Kornfeld nur verzögert einstellt. Beide Faktoren scheinen die Anwesenheit des Menschen, in seinem Nahraum wie als Öffnung auf äußere Gegebenheiten, buchstäblich an die Bildoberfläche zu bringen und hierbei die dargestellte Menschenleere zu überbieten. Kurt Badt sah in der unverbundenen und unvereinbaren Verteilung der Grundfarben auf die verschiedenen Bildelemente in Krähen über dem Kornfeld das Äquivalent zu den Trümmern einer zerrissenen Welt.[51] Doch auch in dieser Beziehung wird der Eindruck des Zerfalls auf der Ebene der taktilen Realität abgewehrt. Die farbliche Fragmentierung aufgrund der harten Kontraste, auf die sich Badt bezieht, wird in Bezug auf das Bildganze durch den wilden, teilweise unkoordiniert wirkenden Malgestus verhindert, denn dieser überspannt die gesamte Leinwand, ohne sich in Bezug auf die einzelnen Farben zu verändern.

Die Ursache für die Menschenleere von Krähen über dem Kornfeld, um abschließend wieder auf die dargestellte Realität zurückzukommen, liegt sicherlich in der Tageszeit mitbegründet. Obwohl van Gogh Menschen auch in Nachtbilder integrierte (beispielsweise Sternennacht über der Rhône, 1888, Musée d’Orsay), stellt gerade das Feld als Arbeitsplatz zu Recht einen nachts menschenleeren Ort dar. Dass im Bild nächtliche und zugleich farblich leuchtende Dunkelheit herrscht, bringt das Taktile auf eine bisher ungeahnte Art ins Spiel.

Der Tastsinn wird gemäß Niklaus Largier auch „der dunkle Sinn“ genannt.[52] Während Sehen und Hören mit Wort und Licht assoziiert werden und beispielsweise den Bereichen klarer visueller Perspektive, diskursiver Transparenz und intellektueller Distinktion zugeordnet werden, gehört die taktile und haptische Sphäre sinnlicher Erfahrung in die verworrene und dunkle Welt der Gefühle und des Körperlichen.[53] In dieser Beziehung suggerieren auch die beiden auffallend schwachen Lichtquellen oder Wolken im Hintergrund von Krähen über dem Kornfeld eine privilegierte Stellung der taktilen Realität für die Bedeutung des Gemäldes. In der Dunkelheit der Nacht ist das Auge des Lichts – der Bedingung seiner Funktionstüchtigkeit – beinahe vollständig beraubt. Dadurch geht auch die ordnende und strukturierende Kraft der visuellen Wahrnehmung verloren, welcher der Tastsinn üblicherweise subordiniert wird.[54] Wie sich die visuelle Kontrolle über das Taktile ausformen kann, zeigt sich exemplarisch im Gemälde Umfriedetes Feld mit jungem Korn bei Sonnenaufgang, das über eine klare und helle Lichtquelle verfügt (Abb. 6). Die konzentrischen Pinselstriche um die gelbe kreisrunde Sonne weisen eine geometrische Ordnung und Stabilität auf, die sich auf das ganze Bild übertragen hat. So ziehen sich auch die Feldbahnen derart geordnet und aufeinander abgestimmt über die Bildfläche, wie man es in Krähen über dem Kornfeld nur für die Wege teilweise behaupten kann.

Vincent van Gogh, Umfriedetes Feld mit jungem Korn bei Sonnenaufgang, November 1889, Öl auf Leinwand, 71 x 90,5 cm, F 737, Privatsammlung.

Abb. 6: Vincent van Gogh, Umfriedetes Feld mit jungem Korn bei Sonnenaufgang, November 1889, Öl auf Leinwand, 71 x 90,5 cm, F 737, Privatsammlung.

In letzterem Bild ist das Taktile der visuellen Wahrnehmung nicht mehr untergeordnet. Die Hand ist durch die zunehmende Umnachtung des Künstlers auf sich alleine gestellt. Doch die Umnachtung – man erinnere sich diesbezüglich an den Brief zu den Kornfeldern – erschwert es dem Künstler immer mehr, den Pinsel nicht aus der Hand fallen zu lassen. Unter exzessiver Anstrengung und ohne sich im Dunkeln auf die visuelle Wahrnehmung verlassen zu können, arbeitet van Gogh hier daran, seinen Darstellungsgegenstand – die Felder, den Himmel, die Wege und die Wolken – nicht dem Zerfall zu überlassen. Das Chaotische und Unkontrollierte im Pinselduktus auf dieser Leinwand ist nicht das Resultat von van Goghs Verzweiflung. Vielmehr tritt darin die Kraft an die Bildoberfläche, die er aufwenden muss, um – den Pinsel haltend – sowohl seinen Zerfall als auch den des Bildes abzuwenden.


Gottfried Boehm, Auge und Emotion – van Goghs Landschaften, in: Kunstmuseum Basel (Hg.), Vincent van Gogh zwischen Erde und Himmel. Die Landschaften (Kat.), Ostfildern 2009, S. 41.

[2] Meyer Schapiro, Über ein Bild von van Gogh (1952), in: Ders., Moderne Kunst. 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1982, S. 94.

[3] Schapiro 1982, S. 97.

[4] Boehm 2009, S. 31.

[5] Boehm 2009, S. 31.

[6] Vgl. Kurt Badt, Die Farbenlehre van Goghs, Köln 1981, S. 171.

[7] Vincent van Gogh. Sämtliche Briefe, hg. von Fritz Erpel, Berlin 1965 – 1968, Bd. 4, B 576, S. 245. Am Anfang dieses Briefes informiert Vincent seinen Bruder, dass – sozusagen im Gegensatz zum Malen – sein Arzt ihm Spaziergänge sowie geistige Arbeit strengstens verboten hätte.

[8] Schapiro 1982, S. 97.

[9] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 649, S. 389. In der deutschen Gesamtausgabe der Briefe von Fritz Erpel fehlt für diesen Brief die Datierung. Die im Internet abrufbare Datenbank der Briefe van Goghs, die das Van Gogh Museum in Amsterdam zur Verfügung stellt, legt für diesen Brief aber den 10. Juli 1890 fest. Vgl. dazu URL: http://vangoghletters.org/vg/letters/let898/letter.html [07. 09. 2014].

[10] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 649, S. 389.

[11] Der Nachweis für diese Zuordnung der Gemälde zu B 649 findet sich unter Anmerkung 4 der Brief-Datenbank des Van Gogh Museums. Vgl. dazu URL: http://vangoghletters.org/vg/letters/let898/letter.html |07. 09. 2014].

[12] Vgl. Endnote 9.

[13] Boehm 2009, S. 41.

[14] Richard Shiff, Cézannes’s physicality: The politics of touch, in: Salim Kemal/Ivan Gaskell (Hg.), The language of art history, Cambridge/New York 1991, S. 131 und 134.

[15] Badt 1981, S. 10.

[16] Boehm 2009, S. 41.

[17] In Anlehnung an Richard Shiffs „physical ‚reality‘“, Shiff 1991, S. 131.

[18] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 609, S. 331. Theo van Gogh nahm, nachdem sich Vincent van Gogh zunehmend nach einer Veränderung gesehnt hatte, bereits im Oktober 1889 Kontakt zu Camille Pissarro auf, der ihn an Dr. Gachet in Auvers weiterempfahl. Vgl. Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 6, B T18, S. 25f.

[19] Seraina Werthemann/Nina Zimmer, Katalog der ausgestellten Werke, in: Kunstmuseum Basel 2009, S. 269.

[20] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 631, S. 367.

[21] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 637, S. 375. Auch Dr. Gachet hielt van Gogh Anfang Juni 1890 für „geheilt“, wie sich einem Brief Theos an Vincent vom 5. Juni 1890 entnehmen lässt. Vgl. Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 6, B T36, S. 43.

[22] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 635, S. 372.

[23] Nina Zimmer, Van Goghs in Serie. Zyklen, Gruppen, Triptychen, in: Kunstmuseum Basel 2009, S. 117.

[24] Vgl. Endnote 7.

[25] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 646, S. 385f. Der Brief datiert vom 30. Juni 1890.

[26] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 648, S. 387.

[27] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 6, B T39, S. 45.

[28] Werthemann/Zimmer 2009, S. 271.

[29] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 602, S. 303.

[30] Werthemann/Zimmer 2009, S. 270.

[31] Zimmer 2009, S. 111.

[32] Schapiro 1982, S. 94.

[33] Schapiro 1982, S. 94.

[34] Richard Shiff, Matière très Matière, in: Ottawa National Gallery of Canada (Hg.), Vincent van Gogh: Up close (Kat.), New Haven 2012, S. 142.

[35] Boehm 2009, S. 41.

[36] Shiff 1991, S. 134.

[37] Schapiro 1982, S. 97.

[38] Schapiro 1982, S. 97.

[39] Shiff 1991, S. 134.

[40] Shiff 1991, S. 132.

[41] Vgl. Shiff 1991, S. 140/142.

[42] Shiff 1991, S. 142.

[43] Seraina Werthemann und Nina Zimmer haben ebenfalls auf die reduzierte Präsenz von Personen in van Goghs Panoramazyklus hingewiesen, vgl. Werthemann/Zimmer 2009, S. 271.

[44] Boehm 2009, S. 35.

[45] Eine kleine Auswahl weiterer Bilder, die diese Tendenz hervorragend zur Schau bringen, sind: Fabriken von Asnières, vom Quak de Clichy aus gesehen, 1887, Saint Louis Art Museum; Rhonebarken (Boote mit Sandausladenden Männern), 1888, Museum Folkwang, Essen; Pont de Gleise bei Arles, 1888, Pola Museum of Art, Kanagawa und Die Brücken von Asnières von 1887, Stiftung Sammlung E. G. Bührle, Zürich.

[46] Ralph Ubl, Die Entzweiung der Malerei. Géricault um 1820, in: Magazin 31, Vol. 14/15, 2010, S. 153. Ralph Ubl entwickelt die „Entzweiung der Malerei“ allerdings nicht in Bezug auf van Gogh, sondern am Werk Théodore Géricaults.

[47] Ubl 2010, S. 150.

[48] Badt 1981, S. 32.

[49] Badt 1981, S. 31.

[50] Van Gogh 1965 – 1968, Bd. 4, B 645, S. 383.

[51] Badt 1981, S. 177.

[52] Niklaus Largier, Gefährliche Nähe. Sieben Anmerkungen zum Tastsinn, in: Magazin 31, Vol. 12/13, 2008, S. 44. Die gesamte Ausgabe 12/13 des Magazins 31 widmete sich dem Thema „Taktilität – Sinneserfahrung als Grenzerfahrung“.

[53] Largier 2008, S. 44.

[54] Shiff 1991, S. 160.

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Of being content or container

Exercises of indicating , through the body of a container, the space dedicated to or intended for a content. And filling it up.

I have collected a number of exhibition catalogue texts with no – or no clear – reference to an author, describing artists and their work. Within these texts I have found passages where the content or substance can be altered, by replacing words pointing to the specific artist or practice. Considering parts of the texts content and other parts containers.

What happens when refilling containers with a different content – To what extent is it possible to maintain a certain sense within text when it becomes subordinate to its own formal shape? How does the container affect the content and vice versa?

The artist and artwork (i. e. content) remain undisclosed and can – as the words – be replaced.

See the contribution of Birke Gorm here (pdf).

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