Barbara Reisinger
Mein Ausgangspunkt für unser Gespräch sind Überlegungen zur Ausstellung als Format und auch dazu, wie Text oder Theorie in Ausstellungen funktioniert. Das scheint mir besonders virulent, wenn es um Themen- oder Gruppenausstellungen geht, die implizit voraussetzen, dass sie etwas über diese Themen aussagen, was über die gezeigten Werke oder Positionen hinausgeht. Diese Prämissen werden, wie mir scheint, selten thematisiert; es werden oft einfach Arbeiten unter einem Thema gruppiert und das ist dann eben eine Ausstellung. Die Verknüpfungen und die Beschaffenheit des Zusammenhangs zwischen künstlerischen Positionen werden eher vorausgesetzt als reflektiert.
Ihre Ausstellungen, etwa zu Marcel Broodthaers’ Videoarbeiten oder zur Systematik in der zeitgenössischen Kunst, sind stark von einzelnen Positionen oder Arbeiten geprägt.[1] Wovon gehen Sie aus, wenn Sie eine Ausstellung machen? Was steht am Anfang, ein Konzept, eine bestimmte Arbeit, oder entsteht beides parallel?
Søren Grammel
Sicherlich gibt es bei unterschiedlichen Ausstellungen auch sehr unterschiedliche Hergänge. Es sind meist unterschiedliche Prozesse, die parallel und unverknüpft stattfinden, lange bevor sie zu einem Ausstellungskonzept führen. Zum Beispiel das Interesse an bestimmten KünstlerInnen, das Lesen bestimmter Bücher, Zeitschriften und die Auseinandersetzung mit Theorie, das Gucken von Filmen oder die Frage, wie die Welt aussieht, in der man sich bewegt, und wo die eigenen Reibungsflächen liegen. Und natürlich Gespräche mit anderen, mit KollegInnen und KünstlerInnen. Das sind viele heterogene und widersprüchliche Stränge, die nicht chronologisch verlaufen und die eine Ausstellung dann temporär und in besonderer Weise verknüpfen kann.
Hinzu kommen noch andere Umstände, die nicht nur den eigenen Begehren und Interessen entspringen, zum Beispiel der konkrete Anlass, eine Ausstellung zu machen, und daran gekoppelt bestimmte technische, finanzielle, zeitliche oder auch architektonische Rahmenbedingungen. In Basel kann ich etwa auf eine Sammlung zurückgreifen, die fantastische Arbeiten beherbergt, und es gibt das wichtige Depositum der Emanuel Hoffmann-Stiftung. Man kann da – nur ein Beispiel – einfach mal einen Schatz wie elf Marcel-Broodthaers-Filme finden. Diese Möglichkeiten hatte ich zuvor nicht, weil es in Kunstvereinen ja keine Sammlungen gibt oder jedenfalls keine relevanten. Mit der eigenen Position und den Einladungen, die man bekommt, sind immer bestimmte Erwartungshaltungen und Möglichkeiten verknüpft. All diese Aspekte vermischen sich in einem bestimmten Moment oder besser gesagt: sie bringen diesen Moment, in dem ein Ausstellungskonzept Form annimmt, überhaupt erst hervor. Die Idee für eine Ausstellung beginnt also nicht damit, dass ich mich frage, was mache ich denn jetzt? Sondern eher: Was von alldem, was ich schon habe, kann ich hier einbringen, welche spezifischen Möglichkeiten und Probleme gibt es und wie kann ich auf die reagieren? Deswegen ist kuratorische Praxis ja auch viel mehr als Ausstellungen-Machen.
BR. Es sind dann also Konvergenzen von Umständen und Interessen, von Prozessen, die schon länger laufen, und Gelegenheiten, die dazu führen bestimmte Arbeiten als Ausgangspunkt für eine Ausstellung zu verwenden oder ein bestimmtes Thema.
SG. Ja, ich denke schon. Man hat im Prinzip immer bestimmte künstlerische und theoretische Positionen im „Gepäck“. Die trage ich sozusagen mit mir rum, sie verändern sich, entwickeln sich weiter, wie auch eine bestimmte Auffassung davon, welche Formen und Haltungen kultureller Produktion ich wichtig finde. Und an diesen Ideen, Interessen und Haltungen bastelt man ständig weiter. Das ist es, was ich als meine „Arbeit“ betrachte. Und dann gibt es die unterschiedlichen Jobs, die in meinem Fall auch häufig gewechselt haben und die die Möglichkeit bieten, die zuvor skizzierte Form von Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur temporär in eine Form zu bringen, durch eine Ausstellung zu konkretisieren, auszutesten.
BR. Dann stellt sich im Weiteren die Frage, was dabei herauskommt, was bei einer Ausstellung eigentlich entsteht. Es entsteht ja kein theoretischer Text, keine Vorlesung – was zwar durchaus ein Teil des Rahmens sein kann, aber nicht das eigentliche Ziel. Im Unterschied zu den üblichen Formen der Theoriebildung und -vermittlung: Welche Form von Wissen oder Theorie im weitesten Sinne wird durch eine Ausstellung produziert?
SG. Für mich ist eine Ausstellung keine Formulierung von Theorie. Sondern für mich reicht es völlig aus, wenn eine Ausstellung zum Ausgangspunkt für die Formulierung von Theorien werden kann. Und das ist ein Prozess, der nicht oder nicht allein in meinen Händen liegen soll. Eine interessante Ausstellung enthält die Möglichkeit sich zu verselbstständigen – durch die Rezeption, durch das, was andere Leute damit machen, genau wie ein Buch oder Kunstwerk. Theorie ist ja kein Garant für eine gute Ausstellung. Die Ausstellung muss etwas anderes sein, sie muss selbst eine ästhetische Erfahrung bieten. Dann können sich daraus auch relevante Theorien generieren.
Man merkt nicht vorher – während des Konzeptionsprozesses, während man aufbaut oder darüber nachdenkt – sondern wirklich erst, wenn sie steht, ob die Ausstellung in diesem Sinne produktiv ist und ein Nachleben generieren kann; etwas öffnet – oder nur etwas eingrenzt. Wenn eine Ausstellung fertig ist oder kurz davor ist, fertig zu werden, merkt man das. Man steht davor und man merkt es einfach.
BR. Das interessiert mich jetzt schon, wie man das einfach merkt.
SG. Indem man wahrnimmt, dass die Ausstellung etwas aktiviert, dass sie den Boden für Assoziationen liefert anstatt nur eine Schublade zuzumachen. Die Arbeiten in der Ausstellung sprechen miteinander – oder sie tun es nicht. Es passiert etwas Neues zwischen den Teilen, das nicht programmierbar war. Die Situation geht über die Ideen hinaus, die im Vorfeld formuliert wurden. Auf den letzten Metern beim Aufbau gibt es immer diesen Moment der Wahrheit. Und wenn es schief gelaufen ist, kann man das auch nicht mehr dadurch drehen, dass man ein paar Sockel umstellt oder Ähnliches. Du merkst dann im Grunde, ob du im Prozess diese Offenheit und damit verbundene Unsicherheit genutzt und ausgehalten hast, die allein zu etwas Interessantem führen kann, oder ob du dich zu früh an ein bestimmtes Resultat geklammert hast. Man merkt das auch daran, dass Leute aktiv auf die Ausstellung reagieren. Im Positiven wie im Negativen. Dass Leute das Gefühl haben, sie müssen reagieren; die Ausstellung hat sie beglückt oder verärgert. Wie wenn man im Kino war und einen Film gesehen hat, und man merkt nach zwei Wochen, dass man immer noch darüber nachdenkt.
BR. In Ihren Statements dazu, was Sie unter Museumsarbeit oder kuratorischer Arbeit verstehen, haben Sie oft betont, dass es nicht darum geht etwas zu fixieren, sondern etwas offen zu halten und damit zu sagen, dass es kein fixiertes, natürliches Wissen gibt, sondern alles ein Vermittlungsprozess ist und sich in permanenter Formierung befindet. Das wäre also die Aufgabe einer Ausstellung: zu zeigen, dass es solche Fakten nicht gibt, auf die wir uns verlassen können oder von denen wir uns festgeschrieben sehen. Wie kann sich das zeigen?
SG. Mich interessiert die Idee von kuratorischer Praxis als Vermittlungspraxis, aber nicht in dem Sinne, dass sie etwas für die VerbraucherInnen aufbereitet oder das Gegebene im herkömmlichen Sinne erklärt. Sondern das Ziel kuratorischer Praxis sollte sein, Leute zu ProduzentInnen machen; zum Beispiel zu ProduzentInnen von Denkprozessen, die auf der Fähigkeit fußen, die ästhetische Erfahrung, die sie machen, wahrzunehmen und zu reflektieren.
BR. Es geht also beim Zusammenstellen verschiedener Arbeiten nicht darum, diese Arbeiten zu definieren und zu interpretieren. Was geschieht stattdessen durch das Zusammenstellen?
SG. Es entstehen schon Interpretationen. Die Frage ist nur, mit welchem Gestus oder welchem Anspruch die formuliert werden und was sie mit den Arbeiten machen. Und es geht darum, dass man zwischen Arbeiten und BetrachterInnen noch genug Raum lässt. Erfahrung und Interpretation gehören zusammen. Wichtig ist mir dabei aber, das Miteinander bestimmter Arbeiten nicht durch kanonische Formen von Wissen zu legitimieren. Wenn man etwa vorab das Medium festlegt und einen Zeitrahmen absteckt, wird dieser Reflexionsraum gar nicht erst eröffnet und auch nicht der Raum für Erfahrung.
Ein Text, der mir half, über das Machen von Ausstellungen nachzudenken, ist „Der Essay als Form“ von Theodor Adorno. Gegen autoritäre Gesten angeblicher Objektivität – insbesondere gegen die Sprache wissenschaftlicher Texte seiner Zeit – bringt Adorno die Kategorie des essayistischen Schreibens in Stellung, mit all ihren Merkmalen des assoziativ verknüpfenden, springenden und spekulativen Denkens. Ein experimentelles und spielerisches Denken, das Umwege und Sackgassen zulässt. Das geschieht, indem sich der Autor oder die Autorin eines Essays nicht als objektive Instanz zeigt sondern als Vermittelnde/r. Adorno spricht davon, dass der Essay als Form auch ein Statement für die Unmöglichkeit des Unvermittelten ist. Der Essay ist etwas – und ich wünsche mir, dass auch die von mir kuratierten Ausstellungen so funktionieren –, das ein Thema, einen Gegenstand, einen Gedanken, eine Idee in einem permanenten Prozess der Selbstvermittlung hält. Dann kann man auch der Gefahr der bloßen Illustration von Themen entgehen. Eine interessante Ausstellung muss meiner Meinung nach ständig an dieser Behauptung von Autorität, von objektivem Wissen, von dem angeblichen Nicht-mehr-notwendig-Sein von Vermittlung rütteln, ansonsten macht man selbst nur wieder etwas Reaktionäres, wiederholt Autoritätsgesten. Ich glaube, dass in diesem Sinne viele Ausstellungen und Institutionen reaktionär sind und das hat gar nichts mit den jeweiligen politischen Inhalten von Projekten zu tun, sondern mit Fragen, die das jeweilige Ästhetikverständnis betreffen und die Politiken des Ausstellungsmachens selbst.
BR. Also wenn es keinen objektiven Standpunkt gibt, der nur mehr vermittelt werden muss, dann wirkt das auf die Form der Ausstellung zurück – analog zur essayistischen Form in der Theorie. Wie wirkt sich das auf die Vermittlung im Museum aus, wenn man nicht ein System hinstellen möchte, sondern eine offene Behauptung, an der weitergearbeitet werden soll oder kann?
SG. Das war gewissermaßen die Überlegung meiner Ausstellung “One Million Years – System und Symptom”. Die Ausstellung kann – in gewissem Sinne – ja selber als ein System betrachtet werden. Aber was tun, damit sie nicht die Logik normalen Systemdenkens repräsentiert? Ein System ist ja normativ, also eine Konzeption, die alles aussortiert, was nicht in ihre eigene Logik passt. Diese normative Logik gilt es aufzubrechen – und deswegen ist das Symptom so wichtig. Das muss ein Teil des Projektes sein – auch bei der Vermittlung im Museum. Symptome sind jene Momente, in denen das aus dem System Verdrängte zurückkehren kann bzw. muss. Es sind Reste dessen, was vom System noch nicht interpretiert werden konnte. Momente, die das System destabilisieren. Denkt man die Ausstellung als System, dann geht es auch darum, Raum für symptomatische Momente und Interaktionen zu lassen, nur dann entsteht, denke ich, die Widersprüchlichkeit, die das Konstrukt Ausstellung als Auseinandersetzungsfläche produktiv werden lässt – produktiv im Sinne der zuvor besprochenen ästhetischen Offenheit.
BR. Um das noch einmal anders zu formulieren: Das System – das heißt eine Behauptung von Objektivität – wird brüchig, wenn sichtbar wird, dass es sich um eine Setzung, um eine zunächst subjektive, dann verallgemeinerte Position handelt. Nun hat ja gerade das Museum den Ruf, solche Setzungen vorzunehmen – den Kanon, das bildungsbürgerliche System, vermeintlich objektives Wissen – und zwar ohne inhärente Widerlegbarkeit. Wenn man an diese Systeme mit einem veränderten Begriff von Wissen und Subjektivität herantritt, wie gerät dann all das in Fluss? Wie geht man mit einer Institution um, die den Ruf hat, den Kanon, das System usw. festzusetzen und einzusetzen?
SG. Ich würde zunächst einfach sagen, dass das ja nicht so sein muss. Das hängt von den Leuten ab, die dort arbeiten. Die KuratorInnen, zu deren Aufgabe es ja wesentlich auch zählt, die Sammlung zu zeigen und zu erweitern, müssen einen gewissen Mut haben nicht nur Positionen anzukaufen oder auszustellen, die zu den Top 50 Marktpositionen zählen, sondern auch mal auf Karrieren zu setzen, die Outsider-Karrieren sind oder abgebrochene Karrieren. Es gibt viele spannende KünstlerInnen, die tolle Arbeiten gemacht haben, aber schlechte Chancen haben im Museumskontext aufzutauchen, weil sie eben von der Bildfläche verschwunden sind, nicht mehr von einer starken Galerie vertreten werden, schwer vermittelbar sind. Ein anderes wichtiges Thema ist der Anteil von Künstlerinnen. Auch hier ist viel Spielraum für notwendige Verschiebungen gegeben. In Ausstellungen und gerade bei den Einzelausstellungen sind die Anteile weiblicher Künstlerinnen gegenüber männlichen Kollegen deutlich geringer – aber man muss sich erst einmal die öffentlichen Sammlungen unter diesem Aspekt ansehen. Deshalb ist es wichtig, dass man an Museen auch eigenwillige Persönlichkeiten hat, nicht nur Kulturbeamte, die das machen, was Status Quo ist. Das Museum muss selbstbewusst gegenüber dem Markt sein, gegenüber der Politik bzw. der Öffentlichkeit und gegenüber den vielen Erwartungshaltungen, die an so eine Institution herangetragen werden. Das Kuratorische als Instanz, die ästhetischen und ethischen Kriterien folgt, die sich von denen anderer Spieler im Kunstfeld auch deutlich unterscheiden dürfen, darf nicht – wie es heute bzw. eigentlich schon seit den 1980er Jahren der Fall ist – zunehmend weiter ausgeblendet werden. Entscheidungen sollen auch nicht aus einem falsch verstandenen Idealismus getroffen werden, aber man muss ein eigenes Profil haben, das vor allem auf inhaltlichen und nicht auf populistischen bzw. in diesem Sinne strategischen Parametern basiert. Das Stadtmarketing etwa und bestimmte Formen von Eventkultur – aber manchmal auch der Einfluss von Galerien, Sponsoren und Vorständen – konfigurieren auf ungute Weise, welche Kunst an so einem Ort überhaupt auftauchen kann.
Letzten Endes hat man in einem Projektraum aber auch nicht mehr Möglichkeiten als in einem Museum. Im Gegenteil, in einem Museum sind eigenständige Entscheidungen sogar viel wichtiger, weil sie von viel mehr Menschen wahrgenommen werden und die Spielregeln, die durch bestimmte Entscheidungen verschoben werden, viel systemrelevanter sind als irgendwo in der Peripherie.
BR. Es scheint so, als hätte man es auf allen Ebenen mit Mechanismen zu tun, die der Fixierung zuarbeiten: Kanonisierung, Institutionalisierung, Marketing – alles versucht einen offenen Bereich vorab einzugrenzen. Man muss nun diese Mechanismen gut kennen, wenn man damit arbeiten will und ein Statement setzen möchte. In der Museumsarbeit stellt sich da auch die Frage, wie jemand, der oder die in eine Ausstellung kommt und die Mechanismen der Kanonisierung überhaupt nicht kennt, die dann verstehen kann, wenn es in einer Ausstellung schon um die nächste Ebene – die Destabilisierung dieser Mechanismen – geht. Braucht es da Vermittlungsarbeit im klassischen Sinn, das heißt eine Institution, die etwas an ihre BesucherInnen heranträgt? Wenn es nicht darum geht Information aufzubereiten und zum Konsum anzubieten, wie kann dann Kunstvermittlung aussehen?
SG. Das sehe ich teilweise ähnlich. Traditionell war das Museum bzw. die Ausstellung im Museum immer so aufgebaut, dass alles so gehängt und platziert war, als könnte es gar nicht anders sein. Das Museum sagte zu den BesucherInnen: „So ist es!” Ich finde aber auch, dass man so etwa ab den 1970er Jahren damit begonnen hat, Kunst so zu hängen, dass man eben den Aspekt, dass hier Kunst nur vermittelt wird, auch mitlesen kann – man gelangte sozusagen zum „So könnte es sein”.
Aber Sie fragen, wie kann Kunstvermittlung vor diesem Hintergrund aussehen? Mir geht es darum, dass das temporäre Nebeneinanderstellen bzw. Verschränken von Arbeiten mit einem spekulativen Ansatz geschieht. Dieser Ansatz muss sich auch formal auf die Art und Weise übertragen, wie gehängt und installiert wird. Nur ein Beispiel: die Vitrinen und alles, was wir zuletzt im Museum für Gegenwartskunst an Display-Elementen gebaut haben, sind aus Spanplatten gebaut. Das ist ein billiges Material mit einer sehr offenen Oberfläche, die den Aspekt betont, dass etwas nur für diese Situation so gebaut wurde, und anschließend vielleicht wieder weggeworfen wird. Das Material hat etwas Provisorisches. Und es ist für jeden ersichtlich, dass es nicht Teil der ausgestellten Arbeit ist. So wird auch deutlich, dass die Stücke nicht notwendigerweise immer so präsentiert werden müssen. Sondern dass dies eine spezifische Entscheidung dieser Ausstellung ist. Und das ist, so selbstverständlich es auch scheinen mag, eine interessante Information für AusstellungsbesucherInnen, die sich über die Optik von Ausstellungen vermitteln lässt. Die Beweglichkeit der Konstellationen – und dass sie überhaupt beweglich sein darf – wird dadurch greifbarer, sowohl formal als auch gedanklich.
So versuche ich auch die Texte, die ich für Ausstellungen schreibe, zu formulieren, indem ich darin relativ produktionsästhetisch vorgehe und erstmal nur klären möchte, was bei einer Arbeit überhaupt passiert ist, was jemand gemacht hat, und zwar ohne allzu weitreichende Einordnungen – seien diese kunsthistorischer oder allgemeiner Art.
BR. Das ist eine Ebene, die in Wandtexten und anderen ausstellungsbezogenen Texten häufig übersprungen wird, zugunsten einer assoziativen, interpretativen Ebene.
SG. Ja, genau das ist es. Im Gegensatz zu dieser zweiten, symbolisch aufgeladenen Ebene hat mich die Textrhetorik des altmodischen Saalblattes wieder gereizt: Ich möchte das Werk nicht nur benutzen, um es im System des von mir geschaffenen Interpretationszusammenhanges ‚Ausstellung‘ einzubinden, über den wir schon geredet hatten. Die Produktionsweise zu erkennen, die ein Werk ausmacht, ist auch für die BesucherInnen die Grundvoraussetzung, um solche Arbeiten erst einmal zu verstehen. Man gibt ihnen die Mittel in die Hand, die sie brauchen, um den künstlerischen Prozess zu verstehen. Auf diese Weise kann jeder oder jede die einzelnen Arbeiten in einen eigenen Rezeptionsprozess einbauen. Häufig werden diese basic informations gar nicht mehr seriös geliefert, gleichzeitig wird die Sache aber schon wieder verwertet – durch die KuratorInnen, durch die Ausstellungsthematik, durch das Museum. Man beginnt häufig bei der kuratorischen Metaebene – und ob es sich eigentlich um einen Film oder ein Video handelt, ist dann nur noch Kleinkram, etwas für Pedanten. Ist es aber eben nicht. Und häufig sind Künstler ja Pedanten, weil sie nämlich, positiv ausgedrückt, extrem präzise entscheiden, was sie machen, mit welchem Material sie arbeiten, was sie zeigen – und was nicht. Daher mochte ich auch früher die Saalblätter in Museen, die man mitnehmen konnte. Man musste also keinen Katalog kaufen – sozusagen die „ganze Story“ – sondern konnte auch nur die Blätter zu den Arbeiten mitnehmen, die einen gerade interessierten. Man konnte sich daraus eine eigene Auswahl zusammenzustellen und hat die Ausstellung quasi für sich nochmal nach-kuratiert. So wie man sich als Kind vielleicht aus Fussballaufklebern seine eigene Traummannschaft zusammengestellt hat.
BR. Damit wäre auch die Aufgabe der Vermittlungsarbeit genauer spezifiziert, wenn eine Ausstellung im Sinne Adornos ‚essayistisch’ funktioniert: Sie erklärt nicht die ganze Ausstellung als Gesamtbild, sondern versucht die einzelnen Bestandteile so zugänglich zu machen, dass sich ein Spiel entwickeln kann, das BesucherInnen, VermittlerInnen, Arbeiten, Ideen und Interessen des Kurators oder der Kuratorin mit umfasst.
Wenn Sie nun zum Abschluss noch einmal an die Bedingungen in verschiedenen Ausstellungsräumen bzw. Institutionen denken, haben Sie da Präferenzen? In welchen Räumen arbeiten Sie gerne? Wir hatten ja vorhin darüber gesprochen, dass es wichtig ist darauf Bezug zu nehmen, also dass man nicht so tut als bewege man sich auf total neutralem Feld. Der White Cube wird ja immer noch oft als so ein Feld, als ein neutraler Raum charakterisiert.
SG. Die Idee und Kritik des White Cube in der Theorie von O’Doherty war natürlich super wichtig – überhaupt gar keine Frage.[2] Was sie aber auslässt, ist meiner Meinung nach, dass es diesen einen White Cube ja gar nicht gibt. Wenn ich mir zwei Galerien angucke und beide haben komplett weiß gestrichene Wände, so habe ich trotzdem zwei komplett unterschiedliche Räume gesehen. Der eine hat vielleicht Fenster, und der andere nicht. Bei einem höre ich den Lärm der Straße, der andere hat eine niedrige Decke. Bei einem merkt man, dass das Haus für industrielle Zwecke gebaut wurde, beim anderen handelt es sich um ein ehemaliges Geschäftslokal. Mal ist man im vierten Stock, mal ebenerdig; man sieht Dächer, woanders wiederum den Bürgersteig und parkende Autos. Aber es geht nicht nur um bauliche Eigenschaften. Der eine Raum liegt vielleicht in einem Viertel, das sich seit fünf Jahren in einem Prozess der Gentrifikation befindet. Hier ist die Frage, welche strategische Position der Kunstraum selbst in diesem Prozess einnimmt. Kurz: jeder White Cube ist komplett unterschiedlich, auch wenn das die Außerirdischen nicht gleich bemerken, wenn Sie auf die Welt zufliegen.[3]
BR. Aber haben Sie denn nun Präferenzen?
SG. Nein, eigentlich nicht. Es geht immer um die besondere Herausforderung, darum, mit den konkreten Gegebenheiten oder Kontexten eines Raumes zu arbeiten, mit seiner Problematik. Der Raum ist ein Teil des Gebäudes, der Stadt und des Landes, in dem man sich befindet – er ist nicht unabhängig von seinem unmittelbaren und territorialen Kontext, sondern Teil verschiedener Ökonomien. Es geht auch darum, mit den möglichen konzeptuellen Extensionen dieses Ortes zu arbeiten. Es stellt sich für jeden Raum die Frage: Wie kann ich die Gegebenheiten und Vereinbarungen, die diesen Raum betreffen, noch einmal neu zur Disposition stellen?
Søren Grammel ist seit November 2013 Leiter des Museums für Gegenwartskunst in Basel. Zuvor war er unter anderem als Direktor des Kölnischen Kunstvereins und des Grazer Kunstvereins tätig.
[1] Die beiden Ausstellungen am Museum für Gegenwartskunst in Basel waren: One Million Years – System und Symptom, 11. Oktober 2014 – 6. April 2015 und Le Corbeau et le Renard. Aufstand der Sprache mit Marcel Broodthaers, 22. März 2014 – 17. August 2014. Beide tragen die Titel jeweils einer Arbeit (Broodthaers, Le Corbeau et le Renard, Filminstallation, 1967) oder eines Werkkomplexes (On Kawara, One Million Years [Past], 1970 – 1971, und [Future], 1980 – 1987).
[2] Brian O’Doherty, Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space, Santa Monica 1986 [erstmals publiziert als eine Reihe von Essays in drei aufeinander folgenden Ausgaben Artforum, 1976].
[3] “A recurrent scene in sci-fi movies shows the earth withdrawing from the spacecraft until it becomes a horizon, a beachball, a grapefruit, a golf ball, a star. […] Indeed, tradition itself, as the spacecraft withdraws, looks like another piece of bric-a-brac on the coffeetable – no more than a kinetic assemblage glued together with reproductions, powered by little mythic machines and sporting tiny models of museums. And in its midst, one notices a evenly lighted ‘cell’ that appears crucial to making the thing work: the gallery space.” O’Doherty, Inside the White Cube, 7f.