Editorial

Bei der Konzeption dieser Publikation als einem „Magazin für Kunst und Ästhetik“ war von Beginn an klar, dass sie eine weitgefasste Plattform sein soll, für Überlegungen, die nicht bloß auf Phänomene der Kunst gerichtet sind, sondern auch auf jene Fragen und Probleme, die sich auf die Bedingungen der Werkerfahrung und des Werkseins beziehen. Neben den kontextuellen Wahrnehmungsbedingungen, zu denen etwa Herstellung, Präsentation oder Dokumentation von Kunstwerken gehören, stehen dabei auch grundlegende Fragen der Wahrnehmung zur Debatte. Eine mögliche und dabei traditionsreiche Auseinandersetzung mit diesen Fragen verfolgt die philosophische Ästhetik. Als verhältnismäßig junge Disziplin gehört zu ihrem zentralen Gegenstandsbereich jene fundamentale Spannung, der sich jede wirkliche Beschäftigung mit Phänomenen der bildenden Kunst aussetzen muss: das Verhältnis zwischen sinnlicher Erfahrung und begrifflichem Denken. In ihrem Beitrag Erkenntnis als Zweifel thematisiert Ce Christina Jian wie Gerhard Richter in seiner Malerei mit diesem Spannungsmoment umgeht und dabei eine kritische Position gegenüber der pragmatischen Visualisierungspraxis der ‚harten’ Wissenschaften bezieht.

Sandra Beate Reimann untersucht die Besonderheiten und Ambivalenzen von Richard Serras Arbeit Dirk’s Pod auf dem Novartis Campus in Basel. Die Autorin zeigt auf, inwiefern die Werkerfahrung mit dem Motiv des Flusses und des Fließens verbunden ist, und welche Bedeutungen diesem Motiv in der spezifischen Umgebung des Campus zukommen.

In der Rubrik Grenzgänge werfen wir einen Blick auf die Berührungszonen zwischen Ästhetik und Politik. Juliane Rebentisch erläutert im E-Mail-Interview inwiefern Ästhetik als solche auf einen politischen Horizont perspektiviert ist und weshalb die ästhetische Erfahrung gesellschaftliches Potenzial impliziert.

Mit Blick auf die Logik der modernen Ökonomie thematisiert Maria Männig in ihrem Beitrag Artthe virtualized value wie sich die Konzeption und Entstehung des virtuellen Geldwerts auf die Geschichte der bildenden Kunst und deren zunehmend marktorientierte Strategien der Herstellung und Distribution beziehen lässt.

Die Bildstrecke für diese Ausgabe hat der Basler Künstler Walter Derungs gestaltet. Seine fotografischen Arbeiten setzen sich mit der spezifischen Qualität von Orten und Räumen auseinander und schaffen Bilder, die oft von einer intensiven Abwesenheit geprägt sind. Derungs hat für ALL-OVER eine Serie von Fotografien zusammengestellt, die den Titel Die Zentrale trägt, und damit auf einen Text von Kurt Tucholsky Bezug nimmt, der die Bildstrecke begleitet.

Burkhard Meltzer befasst sich in seinem Text mit der Zweideutigkeit von Design im Ausstellungskontext und zeigt anhand von Beispielen, wie unterschiedliche Situationen zu einer Verschiebung der Konventionen zwischen den Disziplinen Design und Kunst führen können.

Mit der Problematik der Dokumentation von Ausstellungen beschäftigt sich Katrin Kulik in ihrem Beitrag Die Macht der Dokumentation. Sie zeigt am Beispiel dreier Arbeiten von Ernst Wilhelm Nay auf der documenta III (1964) die frappante Divergenz von statischen und bewegten Aufnahmen einer Ausstellungssituation und thematisiert deren Auswirkungen auf die Werkrezeption.

Hannah Bruckmüller | Jürgen Buchinger | Dominique Laleg

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