Erzählen, zeigen

Rezension: Nina Tecklenburg, Performing Stories. Erzählen und Narration in Theater und Performance, Bielefeld: transcript 2014, 343 S.

Theater und Performance erzählen nicht, sie zeigen. Dass es sich hierbei um ein langgepflegtes, zum Teil intendiertes, zum Teil unfreiwilliges, mitunter aber produktives Missverständnis handelt, zeigt die neue Studie Performing Stories. Erzählen in Theater und Performance der Theaterwissenschaftlerin und Performance-Künstlern Nina Tecklenburg (transcript-Verlag 2014).

Traditionell wird das Erzählen literarischen Gattungen wie Roman, Epos, Erzählung, Kurzgeschichte et cetera zugewiesen. Gattungstheoretisch streng formuliert heißt es dazu etwa bei Manfred Pfister, narrative Texte seien durch eine vermittelnde Erzählinstanz ausgewiesen.[1] Das Theater hingegen erzählt nicht, sondern stellt dar. Geht es hier, ebenfalls streng gattungsgeschichtlich argumentiert, ums Erzählen, so in erster Linie dann, wenn Figuren auf der Bühne über etwas berichten, diesen Bericht oder diese Erzählung zugleich aber auch darstellen.

Diese lange Zeit Gültigkeit beanspruchende Trennung hat ebenso lange Zeit in Literaturwissenschaften sowie Theater- und Kunstwissenschaften wechselseitige, wenn nicht Ab- bis Ausgrenzungstendenzen, so doch Irritationen darüber hervorgebracht, wie denn nun aus Perspektive der jeweiligen Disziplinen mit dem Erzählen in Drama, Theater und Performance Art einerseits, oder, umgekehrt, mit performativen Aspekten des Erzählerischen andererseits, umzugehen sei.

Überdies stand das Paradigma der Narration, ideologisch wie ideologiekritisch gleichermaßen motiviert, im Verdacht, einen allzu harmonisierenden Eindruck des Realen im Fiktiven zu vermitteln, der wiederum eine manipulative Sogwirkung auf das diese Erzählung rezipierende Subjekt ausübe. Diese Auffassung der Kritischen Theorie wurde im Rahmen des Poststrukturalismus durch eine Kritik an der vermeintlichen Intentionalität des Autors und an den als Mythen verdächtigten Ursprungserzählungen erweitert. Bisweilen hat sie gar jeglichen Anspruch auf Geschlossenheit, ob in Fiktionserzählungen oder Historiografie, bis hin zur Negation des Narrativen schlechthin, in Misskredit gestellt.

Nicht zuletzt aufgrund der Transformationen in den Künsten ist dieser Abwehrreflex gegen ein Kohärenz oder Geschlossenheit vorstellendes Narrations-Paradigma längst einer interdisziplinären Ausdifferenzierung, einem integrativen Verständnis von Erzählen sowie einem Bewusstsein über Reichweite und Produktivität des Begriffs gewichen.

Es ist Nina Tecklenburgs Verdienst, „Erzählen“ und „Narration“ nun für die Beobachtung performativ-darstellerischer Phänomene fruchtbar gemacht zu haben. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist dabei die Feststellung, dass die Analyse von postdramatischen Theaterformen und Performances, die häufig ohne jede schriftliche Textvorlage auskommen, nur unzureichend auf narrative Phänomene eingegangen ist. Entweder habe man sich auf das bloße mündliche Geschichten-Erzählen im Theater beschränkt oder/und die Materialität außer Acht gelassen. Darüber hinaus seien ereignishafte, ephemere Phänomene des Aufführungsprozesses zu voreilig oder eben einem konventionellen Narrations-Paradigma entsprechend, essentialistisch interpretiert worden.

Demgegenüber plädiert Tecklenburg nun für eine Lesart, die „performativitätstheoretische, kulturanthropologisch-erzähltheoretische, geschichtsphilosophische sowie phänomenologische Ansätze“ integriert und von einer „Konzeptualisierung des Narrativen als Prozess und Performanz[2] ausgeht.

Zu ihren Forschungsergebnissen gelangte die Autorin dabei über die Beobachtung ebenso zahlreicher wie – trotz aller Gemeinsamkeit von Performance und Postdramatik – unterschiedlicher, zeitgenössischer Theater- und Performance-Arbeiten von Gruppen und EinzelkünstlerInnen wie Forced Entertainment, Gob Squad, Big Art Group, Gary Stevens, The Needcompany, Rotozaza, Uwe Mengels, The Nature Theatre of Oklahoma und vielen mehr.

Die Effekte der Konzeptualisierung von Narration als Prozess und Performanz artikulieren sich, Nina Tecklenburg zufolge, beispielsweise bei Uwe Mengels 2 ½ Million in der Form, dass die ZuschauerInnen in den Akt des Erzählens erfundener oder vergangener Ereignisse integriert würden und „mit jedem Akt eine die Anwesenden umgebende diegetische Matrix [wächst], in der sich fiktive und faktische Momente konstitutiv überkreuzen und in die alle Beteiligten nicht zuletzt moralisch eingebunden werden“. Eine „kollektive Teilhabe“ sei dabei eben gerade nicht Ergebnis einer singulären Geschichte, sondern das einer sich permanent verändernden diegetischen Wirklichkeit.[3]

Nina Tecklenburg, die nach einem ausführlichen und kritischen Forschungsüberblick zunächst sinnvoller Weise zwischen Erzählen (als Form eines Verkündens oder Aufsagens von Ereignissen) und Narration (als Form eines „In-Beziehung-Setzens“) unterscheidet, differenziert und präzisiert im Verlauf ihrer Studie verschiedene Qualitäten des Narrativen wie „narratives Wissen“ oder „narrative Energie“. Darüber hinaus beschreibt und analysiert sie unterschiedliche Strategien und Ausdrucksweisen in unterschiedlichen szenisch-erzählerischen Kontexten, wie etwa dem Erzählen in Bezug auf Räume oder Dinge. Dass bei den szenischen Präsentationen gerade das Spiel, um nicht zu sagen das Spiel im Erzählen, eine zentrale Rolle übernimmt, belegt ein ausführliches Kapitel der Studie. Mit dem Begriff des Spiels werden die lange Zeit nur als aleatorisch beschriebenen Erscheinungsformen der Performance Art durch eine philosophische Perspektive ergänzt. Nicht ganz plausibel ist dabei der Verweis der Autorin auf den Spielbegriff nach Ludwig Wittgenstein und nach Jean-François Lyotard, mit denen sie über eine reine Analogiebildung zu den von ihr beschriebenen Phänomenen nicht hinausgelangt. Man fragt sich ein wenig, warum die Wahl ausgerechnet auf diese Autoren gefallen ist und nicht etwa auf Johan Huizinga oder Hans-Georg Gadamer, die bereits bedeutende Aspekte des Spiels (in Verbindung mit Kunst) erörtert haben. Hier bleibt die Studie bisweilen in einer allzu affirmativen Position stecken, die ohnehin den Grundtenor des ansonsten äußerst lesenswerten und erkenntniserweiternden Buches bildet.


[1] Vgl. Manfred Pfister, Das Drama. Tübingen 1997, S. 19f.

[2] Nina Tecklenburg, Performing Stories. Erzählen und Narration in Theater und Performance, Bielefeld 2014, S. 55 (Hervorhebung i. O.).

[3] Vgl. Tecklenburg 2014, S. 96f.

Dr. Miriam Drewes ist Dozentin am Institut für Theaterwissenschaft der LMU München sowie Filmdramaturgin.
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