Ad Reinhardt wurde am 24. Dezember 1913 geboren. Sein hundertster Geburtstag soll Anlass sein für eine Würdigung seines Werks, das Gemälde, Collagen, Karikaturen und Schriften umfasst. Seine vielfältigen Tätigkeiten im New York der Jahrhundertmitte liefen stets in eine Stoßrichtung: Ad Reinhardt war Maler und als solcher um eine Bestimmung der Essenz von Malerei bemüht.
Die Gratulation greift ein „Hooray“ von Reinhardt aus dem Jahr 1963 auf: Zum 60-jährigen Bestehen der Zeitschrift Art News trat Reinhardt selbst als Gratulant auf (Abb.1). Sein „Hooray“ wirkt lustlos und ironisiert, da es sich angefangen bei den Art News über Kunst auf Leben und Leute erstreckt und in dieser Generalisierung selbst den Betrieb einschließt, dem gegenüber Reinhardt sich sonst kritisch äußerte. Dass ausgerechnet China und Albanien, die kurz nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Albanien und der Sowjetunion 1961 ein enges Bündnis eingingen, vom Hurra-Ruf ausgeschlossen sind, verdeutlicht das Interesse am Weltgeschehen des Zeitungslesers Ad Reinhardt. Der Bezug auf Politik und Gesellschaft in seiner Malerei erfolgte jedoch nicht auf direkte, illustrierende Weise. Vielmehr war er sich der Gesellschaft und, aufgrund seines Berufs, der Rahmenbedingungen des Kunstbetriebs bewusst, den er in seinen Karikaturen für die liberale New Yorker Zeitschrift PM sowie zahlreichen Schriften kritisierte. Reinhardts Position war stets umstritten und sein Werk fand spät Anerkennung. Nach wie vor ist die Rezeption verhalten: Vor der letzten großen Ausstellung seines Werks 2011 wurde Reinhardts Oeuvre zuletzt 1990 umfassend präsentiert.1 Die frühe Rezeption zu Lebzeiten des Malers ist eine Melange aus mystifizierenden Interpretationen, Ablehnungen beispielsweise durch das Attribut „dekorativ“ und Vereinnahmungen seitens der Conceptual und Minimal Art. An dieser Stelle kann Barbara Rose’ Artikel ABC Art von 1965 als Beispiel für die Kontextualisierung der Gemälde Reinhardts in die Minimal Art herangezogen werden, eine Stellungsnahme, die die Autorin 1970 revidierte: „In the sixties many, including myself, viewed the black paintings as the precursors of minimal art.“2 Diese Lesung brachte zugleich mit sich, dass der Malerei Reinhardts mit der zunehmenden Festigung der Minimal Art im Kunstbetrieb größere Aufmerksamkeit zuteilwurde, wie Lucy Lippard in ihrer Monographie anmerkt.3 Nichtsdestotrotz rührten diese Kontextualisierungen nicht an der grundlegenden und bemerkenswerten Sonderstellung von Ad Reinhardts Werk. Gabriel Ramin Schor findet in Zusammenhang mit der These einer bewussten Opposition des Künstlers zur Modernismuskonzeption Clement Greenbergs den treffenden Ausdruck einer „ahistorische[n] Stasis“ zur Beschreibung dieser Sonderstellung.4 Diese Stasis lässt sich einerseits in Negation eines linearen Geschichtsmodells verstehen, andererseits aber auch in Hinsicht auf die konkrete Wahrnehmungssituation vor einem black painting Reinhardts. Obwohl sich eine solche quadratische, 60 mal 60 Zoll messende und mit schwarzer Ölfarbe bearbeitete Leinwand dem Blick zunächst als unmittelbar zu erfassende Einheit darbietet, differenziert sich die Oberfläche bei längerer Betrachtung in Binnenflächen aus, die nicht durch deutlich wahrnehmbare Konturen, sondern lediglich durch das Aufeinandertreffen chromatisch annähernd gleicher Felder entstehen. Ein solches Gemälde zu reproduzieren, bietet sich nicht an, weswegen hier auf eine Abbildung verzichtet wird. Der Künstler schließt die Möglichkeit sogar prinzipiell aus: „Dieses Bild kann nicht kopiert, reproduziert, dupliziert werden.“5 Die Dehnung eines Zeitpunkts bei der Bildbetrachtung beschrieb Barbara Rose bereits 1970.6 Das Verharren vor einem black painting findet eine Parallele in dem Verharren dieser Werkgruppe am gewissermaßen „verlängerten Ende“ vom Gesamtwerk des Künstlers. Die thematische Ausstellung Black Paintings 2006 in München zeigte schwarze Gemälde von Ad Reinhardt, Robert Rauschenberg, Frank Stella und Mark Rothko, verbunden mit der These vom Übergang. Diese Scharnierfunktion der schwarzen Gemälde konnte lediglich bei Reinhardts Oeuvre nicht festgestellt werden, deren black paintings es vorzögen, „in diesem Stadium zu verharren, sich das Wesen des Übergangs einzuverleiben“.7 Reinhardt malte von 1953 bis zu seinem Tod 1967 black paintings, ab 1960 dann zum Teil betitelt mit ultimate painting.8 Reinhardt äußerte sich 1966 in einem Interview wie folgt: „Ich mache einfach nur das letzte Bild, das eben irgend jemand machen kann.“9
Wie ist Reinhardts Position in Zusammenhang mit der Rede vom Ende der Malerei zu verstehen? Douglas Crimp überschreibt 1981 einen Essay in der Zeitschrift October mit The End of Painting. Er bindet gesellschaftlich funktionstragende Malerei an die Vormoderne, die in der Moderne seit 1800 und spätestens mit dem Aufkommen der Fotografie zur Mitte des 19. Jahrhunderts um ihre Legitimität ringen muss und sich im Zuge dieser Defunktionalisierung zur Kunst als zeitloser Entität enthistorisiert. Crimp empfindet einen solchen Idealismus in Folge von Minimal und Pop Art als reaktionär.10 Johannes Meinhardt unterscheidet dieses materialistisch-historische vom ontologischen Verständnis vom Ende der Malerei und ordnet Ad Reinhardts Haltung in letztere Kategorie ein, in der die Frage nach der ahistorischen Essenz der Malerei im Zentrum steht. „Die Malerei der Moderne ist keine neue oder andere Malerei; sie ist die analytische Arbeit der Malerei an sich selbst.“11 Das Ergebnis einer solchen Analyse seien letzte Bilder, die zugleich reine Bilder seien und am strengsten in weißer oder schwarzer Monochromie zur Anschauung kommen.12 Diese Entleerung und Reinigung erfolge im Zuge einer Befreiung von Materialität: Bis zum Postminimalismus der 1960er Jahre galt die Sublimierung des Materials als Paradigma der bildenden Kunst; der Künstler wirkte als dem Ideellen zugewandter Beherrscher des Materiellen, unabhängig von seinen Arbeitswerkzeugen. An dieser Stelle seien die Positionen von Piet Mondrian und Barnett Newman genannt, da beide wichtige Akteure der New Yorker Kunstszene zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren. Piet Mondrian selbst äußerte sich zu immateriellen Materialien in seinem Essay Home – Street – City, der 1926 erstmals auf niederländisch erschien und die Vision einer „denaturalisierten Materie“ entwirft: „Surfaces will be smooth and bright, which will also relieve the heaviness of the materials.“13 Barnett Newmans Anspruch Materialität zu überwinden, kommt in einer Aussage von 1963 zum Tragen: „For me, the material, whether canvas or paint, has to be inert, so that I myself can create the sense of life.“14 „Inert“ ist das Adjektiv, mit dem Newman bevorzugt seine Arbeitsmaterialien beschreibt – das Leinen, die gespannte Leinwand, die Farbe – sowie das Format. Die Bedeutung reicht von „reglos“, „passiv“ über „träge“ und „undifferenziert“, hin zu „charakterlos“. Newman zeigt mit der Forderung, den Widerstand des Materials brechen zu wollen, die klassische Haltung eines autonom handelnden Künstlers.
Im bereits erwähnten Interview von 1966 äußerte sich Ad Reinhardt dementsprechend zu seiner Malerei: „[…] sie hat mit Materialien nichts zu tun“.15 In einer 1964 in der Zeitschrift Art International publizierten Schrift fordert Reinhardt die Autonomie einer der niederen Materie enthobenen Kreation ein: „Kunst-als-Kunst ist eine Schöpfung […] Künstler-als-Künstler schätzen sich selbst danach ein, wovon sie sich frei gemacht haben und was sie sich zu tun weigern.“ Auf derselben Seite zielt Reinhardt auf die Essenz von Malerei: „Kunst-als-Kunst ist eine Konzentration auf die wesentliche Natur der Kunst.“16Nach einem immanenten Ende der Malerei kann es nur noch unwesentliche Malerei geben.17 So gesehen verharren Ad Reinhardts black paintings konsequenterweise an einem in die Länge gezogenen Endpunkt der Malerei, nach dem keine anspruchsvollen Gemälde mehr möglich seien. Der Denkweise eines ontologischen Endes der Malerei folgend, formuliert Reinhardt den höchstmöglichen Anspruch für seine ultimate paintings.
Ad Reinhardt muss den Kunstbetrieb als geradezu feindliche Umgebung für seine absolute Malerei empfunden haben, was sich aus seinen zahlreichen lautstarken Kritiken, Manifesten und Streitschriften ablesen lässt. Reinhardts Schriften sind Sebastian Egenhofer zufolge als „funktionale Elemente von Reinhardts Werk“ zu verstehen, da sie die Stelle markieren, an denen die Gemälde mit der Umgebung, also der Gesellschaft, in Kontakt treten.18 Am Ende dieses Promemorias steht die Forderung, Ad Reinhardts Gemälde abseits jeglicher mystifizierender Verklärung im historischen Kontext des New Yorker Kunstbetriebs zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu betrachten. Die Position dieses Malers letzter Bilder, dem es um die Essenz der Malerei ging, lässt sich in Zusammenhang mit der ontologischen Rede vom Ende der Malerei womöglich erhellen. Ad Reinhardt sicherte seine Alleinstellung auch dadurch, dass er sich von KollegInnen distanzierte. 1954 beendete Reinhardt einen Vortrag mit – und hier sind die Malerkollegen gemeint, mit denen er nicht in Zusammenhang gebracht werden wollte: „nicht mit den Kerlen da“.19